Dutzende weitere mögliche Opfer von Niels Högel entdeckt

Der wegen Mordes an Patienten verurteilte ehemalige Pfleger Niels Högel ist den Ermittlern zufolge wahrscheinlich für den Tod von Dutzenden Menschen verantwortlich. Von inzwischen 99 exhumierten ehemaligen Patienten des Klinikums Delmenhorst seien bei 27 von ihnen Rückstände eines Herzmedikaments entdeckt worden, sagte der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme.

Bild: Radio Bremen

Vor seinen Taten am Klinikum Delmenhorst hat der ehemalige Krankenpfleger demnach auch am Klinikum Oldenburg mehrere Patienten getötet. Die Behörden informierten auf einer Pressekonferenz in Oldenburg über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Der ehemalige Krankenpfleger hatte bereits im Prozess gegen ihn ausgesagt, dass er rund 90 Patienten in Oldenburg und Delmenhorst das Herzmittel Gilurytmal gespritzt hatte. Mehr als 30 Patienten könnten daran auch gestorben sein.

Das Grauen hört nicht auf. Die Ermittlungen können noch nicht abgeschlossen werden. Die Soko "Kardio" wird weiterhin in der gebotenen Intensität arbeiten müssen.

Johann Kühme, Oldenburger Polizeipräsident

Die Ermittler haben inzwischen zahlreiche Patientenakten geprüft und Exhumierungen angeordnet. "99 Verstorbene mussten aus ihren Gräbern geborgen, rechtsmedizinisch untersucht und im Anschluss wieder bestattet werden. Eine unvorstellbar grauenhafte, unfassbare Zahl.", berichtet Polizeipräsident Kühme.

Deutlich mehr Opfer vermutet

Der Oldenburger Polizeipräsident geht davon aus, dass es noch deutlich mehr Opfer gibt. Die Ermittler konnten bislang in insgesamt 33 Fällen am Klinikum in Delmenhorst, die tödlich verlaufen waren, den Wirkstoff Ajmalin nachweisen, der in dem Herzmedikament Gilurytmal enthalten ist. Der frühere Krankenpfleger hat Patienten jedoch auch Kalium verabreicht, um einen Herzstillstand zu provozieren und sich mit der Reanimation vor Ärzten und Kollegen beweisen zu können. Kalium lässt sich im Vergleich zu Ajmalin jedoch nicht längerfristig nachweisen, sodass Gutachter auffällige Krankenakten ausgewertet haben.

"Wir haben neun Sterbefälle durch einen Gutachter prüfen lassen", sagte Arne Schmidt, Leiter der Soko Kardio. "Wir haben bei diesen neun Sterbefällen Kaliumvergiftungen festgestellt, die nach gutachterlicher Einschätzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine von außen herbeigeführte Manipulation zurückzuführen sind."

Wie sicher sind Patienten in Kliniken?

Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt sieht durch die aufgedeckten Fälle nach eigenen Angaben auch strukturelle Defizite beim Thema Patientensicherheit. Nach Rundts Worten hat der Fall zu einer genauen Analyse möglicher Schwächen geführt. Ihrer Meinung nach kann es sich nicht nur um Einzeltaten eines wirren Mörders handeln. Dass die Taten nicht aufgefallen seien, deute auf Strukturprobleme hin, die nun nach und nach behoben würden, so die SPD-Politikerin.

Verurteilung bislang wegen Mordes in zwei Fällen

Der heute 39-jährige ehemalige Krankenpfleger war lediglich wegen zweifachen Mordes, zweifachen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Ermittelt wird auch gegen fünf Klinikmitarbeiter in Delmenhorst und drei in Oldenburg. Die stark erhöhte Sterberate und der hohe Medikamentenverbrauch hätten aus Sicht der Ermittler auffallen müssen.

"Warum seinerzeit die staatlichen Behörden nicht eingeschaltet worden sind, weiß ich nicht. Es kann daher nur eine Spekulation sein, ob den damals Verantwortlichen des Klinikums Oldenburg der gute Ruf des Hauses wichtiger war als das Wohlergehen der Patienten", sagte Kühme. Und: "Nach unseren heutigen Erkenntnissen spricht vieles dafür, dass die Morde von Niels Högel im Klinikum Delmenhorst hätten verhindert werden können."

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. Juni 2016, 19:30 Uhr

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