"Kämpfe mit den Tränen": Das verbinden Bremerhavener mit dem Molenturm

Ob Knutschplatz oder Ausflugsziel: Der Molenturm in Bremerhaven hat für viele vor Ort großen Wert. Nun droht er umzukippen. Das verbinden Seestädter mit "ihrem" Turm.

Noch steht er, der vom Einsturz bedrohte schiefe Molenturm an der Einfahrt zur Geeste in Bremerhaven. In der Nacht zum Donnerstag sackte die Nordmole, an deren Spitze der Turm steht, ab. Das mehr als 100 Jahre alte Bauwerk befindet sich seitdem in einer bedrohlichen Schieflage. Viele Bremerhavenerinnen und Bremerhavener machten sich am Tag danach selbst ein Bild – das sind ihre Reaktionen.

Ein Mann steht am Wasser vor einer Hafenkulisse.
Bernd Gundermann aus Mulsum Bild: Leonard Steinbeck

Bernd Gundermann verbindet mit der Mole seine Kindheit und Jugend. "Als Kind waren wir immer hier, auch mal mit der Freundin. Das war einfach ein schönes Plätzchen." Für ihn ist der Turm ein Wahrzeichen. "So langsam geht hier alles kaputt", sagt er. "Es ist einfach schade und traurig, dass das nicht erhalten wird. Das fing mit der 'Seute Deern' schon an. Echt traurig."

Das wissen die seit Jahren. Das ist ein Denkmal für Bremerhaven. Da hätte man seit Jahren für Geld ... es wird für so viel ... (schluchzt) ... Geld rausgehauen ... und für so ein Wahrzeichen ist nichts da ... das ist traurig.

Michael von Minden
Eine Frau steht am Wasser vor einer Hafenkulisse.
Birgit Bild: Radio Bremen | Leonard Steinbeck

Auch Birgit, die ihren Nachnamen für sich behalten möchte, hat romantische Verbindungen zu dem Bauwerk. "Das war der Liebesturm", sagt sie. "Als Liebespärchen war man da ein bisschen alleine und hatte trotzdem einen tollen Blick und Sonnenuntergang."

Das ist einfach mein Zuhause. Wenn irgendetwas war, sind wir einfach hierhin zum Deich gegangen. Zur roten Mole hin, haben aufs Wasser geguckt. Mein Vater war Schiffbauer.

Karin Köhler
Eine Frau steht am Wasser vor einer Hafenkulisse.
Gudrun Maag aus Bremerhaven Bild: Radio Bremen | Leonard Steinbeck

In der Erinnerung von Gudrun Maag spielte der Turm eine wichtige Rolle beim Heranwachsen. "Als Jugendliche war das unsere Knutschecke. Man konnte sich so schön dahinter verstecken. Abendrot – das war immer toll." Wie viele andere auch, sieht sie den Turm als Wahrzeichen der Seestadt und hält mit ihrem Unverständnis für den Verfall nicht zurück. So lange sei bekannt gewesen, dass die Mole kaputt ist. "Dass Bremenports nichts gemacht hat, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist wirklich ein Verlust für Bremerhaven. Unheimlich traurig. Es hängt mir in der Kehle."

Ich bin Bremerhavener und als ich das bei Freunden in der Whatsapp-Story sah, da hat es mir schon das Herz gebrochen. Dann habe ich mich entschlossen hinzufahren und mir das selbst anzugucken.

Nils
Ein Mann steht am Wasser vor einer Hafenkulisse.
Karsten Hein aus Bremerhaven Bild: Radio Bremen | Leonard Steinbeck

Karsten Hein findet ein drastisches Wort für die Geschehnisse: "Katastrophe!" Für den Bremerhavener ist es nicht das erste Mal, dass ein wichtiges Symbol der Seestadt betroffen ist. "Genau das gleiche, wie mit der 'Seute Deern'. Einfach zu traurig. Das ist ein Wahrzeichen."

Ganz traurig bin ich und kämpfe mit den Tränen. Das ist ein Wahrzeichen und unser alter Knutschplatz aus meiner Jugend. Ich verbinde da ganz viele Erinnerungen mit und finde es so schade, dass es so weit in Bremerhaven immer kommen muss, bevor etwas passiert.

Das ist so eine Mischung aus Traurigkeit und Wut. Vor allen Dingen über die Verantwortlichen. Das hätte man alles verhindern können, weil es ja schon seit Jahren Baustelle ist. Wie so oft hier: Es passiert nichts. Aber Hauptsache die hohen Herren haben alle ihren Hintern im Trockenen.

Meike Raab
Eine Frau steht am Wasser vor einer Hafenkulisse.
Kirstin Nordmann aus Bremerhaven Bild: Radio Bremen | Leonard Steinbeck

Eine weitere Bremerhavenerin, die romantische Erfahrungen mit dem Ort am Wasser verbindet, ist Kirstin Nordmann. "Ich war mit meinem ersten Freund dort", sagt sie. "Da saßen wir da immer auf einer Bank, haben das erste Mal geknutscht. Das war total romantisch mit dem Sonnenuntergang über dem Wasser. Echt traurig, dass es so weit kommen musste."

Als ich herzog, konnte man noch rauf, jetzt ist es gesperrt. Viele Menschen haben sich da getroffen, auch abends. Ich finde es äußerst schade. Auch für die Schifffahrt. Dass man den Turm nicht erhalten, nicht vorher hat abtragen können, ist unendlich traurig.

Heike Bremer
Eine Frau steht am Wasser vor einer Hafenkulisse.
Inka Flemke aus Bremerhaven Bild: Radio Bremen | Felicia Lemke

Inka Flemke befürchtet, den Molenturm womöglich nie wieder sehen zu können. "Ich bin ein bisschen skeptisch. Ich habe gehört, dass alles abgetragen werden soll und gedacht: 'Wer weiß ob das überhaupt alles gut geht?'." Aus dem Grund habe sie noch einmal an die Mole fahren wollen, bevor nachher alles zusammenbreche. "Wenn das Kind erst in den Brunnen gefallen ist, kommen die schlauen Köpfe drauf: 'Oh, da sollten wir vielleicht mal was machen'", sagt die Bremerhavenerin. Gleichzeitig drückt sie die Daumen, dass es nicht zum Äußersten kommt: "Ich hoffe natürlich, dass alles gut geht und der Turm wieder in alter Schönheit da stehen kann."

Ich bin gebürtige Bremerhavenerin und in der Mittagspause hergekommen. Ein Wahrzeichen und auf unendlich vielen Medien von Bremerhaven: vom Maler Paul-Ernst Wilke bis hin zur Werbung der BIS-Fördergesellschaft. Dieser Kontrast ist so schön: Im Hintergrund das Sail City Hotel, was den Neuanfang und die Moderne darstellt, und dann dieser uralte, traditionelle Turm der Geesteeinfahrt. Super schade, dass diese Baufälligkeit schon so lange bekannt und dieser Abschnitt so lange gesperrt ist. Und es ist einfach nichts gemacht worden. Irgendwie kann man da auch eine Parallele zur "Seute Deern" und ihrem Schicksal ziehen.

Bremerhaven hat bestimmt mit seiner Neuausrichtung im Bereich Tourismus und Kreuzfahrt einen guten Pfad beschritten. Aber ich finde, was identitätsstiftend ist und die Stadt ausmacht, da wird zu wenig Fokus draufgelegt. Und zu wenig dafür gesorgt, dass diese Dinge auch erhalten und berücksichtigt werden.

Meine Mutter ist 86 und nicht mehr gut zu Fuß. Wenn wir spazieren gehen, dann hierhin. Das ist unser Ankerpunkt, weil wir auch mit der Geschichte der Fischerei verwurzelt sind und hier die Fischdampfer gekommen und weggefahren sind. Als ich im Studium war und zu Weihnachten und Ostern nach Bremerhaven gekommen bin, war der erste Gang auch immer hierhin. Das gehört zum Stadtbild dazu.

Silke Brinkmann

So soll es mit dem beschädigten Molenturm in Bremerhaven weitergehen

Bild: Radio Bremen

Autorinnen und Autoren

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 18. August 2022, 15:10 Uhr