Wie dieser junge Ukrainer in Bremen vom Verlieben träumt

Ein junger Ukrainer arbeitet in einer Bar in Bremen
Nguyen An gefällt seine neue Arbeit im vietnamesisch-japanischen Restaurant. Bild: Radio Bremen

19 Jahre ist Do Nguyen An jung. Seit Kriegsbeginn musste er schnell erwachsen werden. In Bremen hat der junge Mann einen Job gefunden – und kann langsam wieder Teenagerträume träumen.

Der Duft würziger Kräuter und von frischem Fisch zieht durch das asiatische Restaurant im Zentrum von Bremen. Lächelnd öffnet ein Mitarbeiter die Tür und bittet die Gäste hinein. Das Lokal ist gut besucht, fast jeder Platz besetzt, ob für ein romantische Date, ein geschäftliches Meeting oder nur ein schnelles Mittagessen. Der 19-jährige Do Nguyen An ist aus der Ukraine geflohren und das jüngste Mitglied im Team. Blitzschnell und stets mit einem Lächeln erledigt er seine Aufgaben, bewegt sich zwischen den Tischen und nimmt Bestellungen auf wie ein erfahrener Kellner.

In nur sechs Monaten hat er sich mit jeder Ecke des Restaurants vertraut gemacht. Mixt er in einem Moment Getränke an der Bar, bereitet er im nächsten eine Soße in der Küche zu, um direkt im Anschluss den nächsten Tisch zu bedienen. "Es gibt viel Arbeit, man ist ständig in Bewegung. Am Anfang durfte ich nur an der Bar arbeiten, dann ist aufgefallen, dass ich schnell lerne. Ich konnte die ganze Speisekarte innerhalb eines Tages auswendig, ich war motiviert und habe gelernt, in der Küche zu arbeiten. Deshalb bin ich jetzt Barkeeper und Kellner gleichzeitig", sagt Nguyen An.

Eltern wollten in der Ukraine Geld verdienen

Ein junger Ukrainer arbeitet in einer Bar in Bremen
Nguyen An hat alles schnell gelernt und ist jetzt Kellner und Barkeeper gleichzeitig. Bild: Radio Bremen

Im Februar waren er und seine Familie gezwungen, vor den russischen Raketen ins sichere Deutschland zu fliehen. Dank seiner Erfahrung in der Gastronomie fand er schnell einen Job in dem Bremer Restaurant, das vietnamesische und japanische Küche serviert. Nguyen spricht kein Deutsch, für die Arbeit reichen seine Englisch- und Vietnamesisch-Kenntnisse. Sushi rollen, Soßen kochen, Fleisch marinieren, Bestellungen servieren und beim Küchenputz helfen – das gehört alles zu seinen Hauptaufgaben. Und Arbeit hilft ihm, sich von dunklen Gedanken abzuwenden und neue Freundschaften zu schließen.

Doch Nguyen Ans Lieblingsküche ist eigentlich die ukrainische. Trotz seiner vietnamesischen Wurzeln sieht er sich als Ukrainer. Nguyen An ist in Charkiw geboren und aufgewachsen und hat seine Schul- und Studienzeit dort verbracht. Vor 35 Jahren waren seine Eltern aus der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi in die Ukraine gezogen, um Geld zu verdienen. "Nach dem Krieg, gab es keine Arbeit in Vietnam und die Familien waren groß", erzählt Nguyen. "Das interessanteste an der Sache ist, dass obwohl meine Eltern beide aus Hanoi kommen, sie sich erst in Charkiw kennengelernt dort geheiratet haben. Das war einfach Schicksal."

Die Vernunft führte nach Bremen

Nguyen An begann direkt nach dem Schulabschluss zu arbeiten, um eigenes Geld zu verdienen. Seine Eltern waren sein Vorbild, die Tag und Nacht arbeiteten, wie der 19-Jährige erzählt. "Mein erster Job war als Barkeeper. Aber nach drei Monaten wurde mir langweilig und ich habe angefrangen in einer Sushi Bar zu arbeiten."

Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine studierte Nguyen An im dritten Jahr an der Universität Charkiw Tourismus. Als der Krieg ausbrach, zogen Nguyen An, sein älterer Bruder und seine Eltern zunächst nach Lviv in den Westen der Ukraine, um dort das Ende der Kämpfe abzuwarten. Doch sie stellten fest, dass sie einen Plan B brauchten. "Meine Eltern haben entschieden, dass wir keine wertvolle Zeit damit verschwenden dürfen, auf ein baldiges Ende des Kriegs zu hoffen", sagt er. "Als erstes sind wir nach Berlin gegangen, wo die Freundin meiner Mutter wohnte. Und von dort aus sind wir nach Bremen gekommen, wo unser Onkel und unsere Tanten seit 25 Jahren leben."

Von Bremen aus Hilfe für die Armee in der Ukraine

 Trümmer, ein zerstörtes Wohnhaus
Große Teile von Do Nguyen An Heimatstadt Charkiw im Osten der Ukraine, nahe der russischen Grenze, sind zerstört. Bild: dpa | Sven Simon/The Presidential Office of Ukrain

Nguyen An und sein älterer Bruder haben es trotz des Wehrpflichtalters geschafft, die Ukraine verlassen. Zunächst wollte er seine Heimat nicht verlassen, aus Angst, sein Leben dort aufzugeben und in einem Land, dessen Sprache er nicht spricht, bei null anfangen zu müssen. Doch der Gedanke, zur Waffe greifen zu müssen, beunruhigte ihn: "Ich bin Pazifist, ich wurde erzogen Konflikte zu vermeiden, lieber leise zu sein und nicht zu provozieren", sagt der junge Mann. Dennoch würde er, wie er sagt, für sein Heimatland dem Militär beitreten, wenn es keine Alternative gäbe.

Ich denke, dass jede Art der Beteiligung für den Sieg wichtig ist, auch die kleinste. Ich versuche also finanziell die Armee zu unterstützen. Ich tue was ich kann, egal wo ich bin.

Do Nguyen An

Verglichen mit seiner Arbeit in Charkiw verdient Nguyen An in Bremen zwar mehr. Trotzdem gebe er nur das Nötigste für sich selbst aus und versuche, Geld zu sparen, sagt er. Schritt für Schritt baut der Ukrainer sich sein Leben auf. Einen konkreten Plan hat er bisher aber nicht. In seiner Geburtsstadt ist es nach wie vor gefährlich, das Haus seiner Familie steht noch. Vor kurzem schlug aber eine Bombe in der Nähe ein und tötete seinen Lehrer, sagt Nguyen An.

In Bremen "erschöpft vom Thema Krieg"

Ständig bekommt Nguyen An neue Nachrichten und Meldungen zugeschickt, weshalb er sein Handy bei der Arbeit leise stellt. Er meidet Gespräche über den Krieg, sogar mit seinen Freunden in der Ukraine, da es ihn sehr belastet. "Die Ukraine wird sich bis zum letzten Mann verteidigen und Russland wird bis zum letzten Moment angreifen und töten. Ich bin erschöpft vom Thema Krieg, also lenke ich mich mit Arbeit ab."

Ich hatte große Angst und diese Angst hat mir gezeigt, die Dinge im Leben anders anzugehen – kühler und vernünftiger.

Do Nguyen An

Am 24. Februar endete für Nguyen An seine Zeit als Teenager. Von da an musste er schnell erwachsen werden. "Seit dem 24. Februar, bin ich ein anderer Mensch geworden", sagt Nguyen An selbst. Er sei sich seiner großen Verantwortung bewusst, sagt Nguyen An. Er dürfe keine Zeit verschwenden: "Weder für einen Spaziergang noch um rumzuliegen. Ich bin verpflichtet zu arbeiten, da es meiner Mutter hier schwerfällt. Sie kennt die Sprache nicht und braucht meine Unterstützung".

Nguyen An ist vielleicht ernster geworden, eine jugendliche Verträumtheit hat er aber beibehalten. Nachdem er wieder auf die Beine gekommen ist, wünscht er sich nun "einfache" Dingen: "Ich träume davon mich zu verlieben, mein Mädchen zu finden, meine Muse. Ich träume von einer großen und starken Familie, damit ich meinen zukünftigen Kindern ein würdiger Vater sein kann, so wie es mein Vater und meine Mutter für mich sind."

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Bild: Radio Bremen

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    Anna Chaika Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. August 2022, 19.30 Uhr