Dieses Theaterstück will den Opfern von Niels Högel eine Stimme geben
Die Klinikmorde des Pflegers Niels Högel als Theaterstück – das hat zunächst für viel Kritik der Angehörigen von Opfern gesorgt. Doch Högel kommt im Oldenburger Stück nicht vor.
Das Bühnenbild ist minimalistisch und kalt. Blechbläser imitieren die Geräusche von Beatmungsgeräten einer Intensivstation. Gepresste Luft, monotones Pfeifen und Zischen. Vor einer weißen Wand sitzen vier Menschen, unterhalten sich über die Mordserie des Krankenpflegers Niels Högel. Über die wohl mindestens 100 Morde in den Krankenhäusern von Delmenhorst und Oldenburg.
Er könne sich an nichts erinnern, sagt ein Schauspieler in der Rolle eines Kollegen von Niels Högel. Er habe keine Erinnerung. An Gespräche erinnere er sich nicht. Er schwöre, er könne sich nicht detailliert erinnern, wiederholt er immer und immer wieder.
Verantwortung in den Krankenhäusern immer weiter geschoben
Ein anderer sagt, wenn man sich nicht erinnere und das konstant sage, dann könne einem auch keiner nachweisen, dass man sich erinnert. Monologe, die das Verhalten von Kollegen und Vorgesetzten des Krankenpflegers auf die Bühne des Staatstheaters Oldenburg bringen. Die zeigen sollen, wie in den Krankenhäusern die Verantwortung immer wieder weggeschoben wurde, wie Kollegen Verdacht schöpften, tuschelten, sogar vom "Todes-Högel" sprachen, und doch nichts unternahmen.
Ein kollektives Versagen, das nun ein Göttinger Ensemble in dem Stück "Überleben" erneut ins öffentliche Bewusstsein rücken will. Die Gruppe aus Südniedersachsen hat sich auf Interview-basierte Dokumentar-Theaterstücke spezialisiert. Für die Auseinandersetzung mit den Klinikmorden hat sich die Göttinger Gruppe die Bühne in Oldenburg ausgesucht. Vor zwei Jahren kam Regisseurin Julia Roesler auf die Idee.
Wir haben das in der überregionalen Presse gelesen und haben gedacht: 'Ah, das wäre spannend.' Wir hatten schon mal mit dem Staatstheater Oldenburg kooperiert. Die Kollegen vom Staatstheater hier zu fragen, was bedeutet das eigentlich für euch? Wie nimmt man das in der Stadt war?
Julia Roesler, Regisseurin
Es habe sich gezeigt, sagt Julia Roesler, dass es in Oldenburg und Delmenhorst kaum öffentlichen Raum für die Auseinandersetzung mit den Klinikmorden gebe. Der einzige Ort seien bisher vor allem Gerichtsverfahren gewesen, wie zuletzt in den Oldenburger Weser-Ems-Hallen. Nüchtern und juristisch, auf strafrechtliche Aspekte beschränkt, so hätten viele Hinterbliebene der von Niels Högel getöteten Menschen die Aufarbeitung der Mordserie wahrgenommen, sagen die Göttinger Theatermacher. Monatelang interviewten sie Angehörige in Oldenburg und Umgebung. Vor allem ihnen will die Regisseurin nun einen Raum geben.
Es geht einerseits ganz stark darum, tatsächlich den Menschen, die Opfer geworden sind, weil sie zum Beispiel Angehörige sind von Menschen, die durch Högel ermordet worden sind, dass man diesen Opfern einen Raum gibt, eine Stimme gibt, die Möglichkeit gibt, ihre Geschichten öffentlichen zu erzählen, und auch begreift, dass das Teil der Geschichte ist.
Julia Roesler, Regisseurin
Angehörige der Mordopfer zunächst schockiert
Von dem Theaterprojekt waren viele der Angehörigen zunächst aber gar nicht angetan. Sie befürchteten, dass die Serienmorde als Unterhaltungsprogramm auf die Bühne kommen und die Gräueltaten theatralisch ausgeschlachtet werden sollten. Das Vorhaben wurde öffentlich, als der Prozess gegen Niels Högel noch lief. Eine besonders emotionale Phase für viele Angehörige, erklärt Christian Marbach, der als Sprecher der Hinterbliebenen auftritt.
Da war viel Angst, da war viel Sorge, da war viel Aufregung im Vorfeld ohnehin schon. Und dann die Nachricht mit so einem Theaterstück, auch ohne Erklärung, da konnte sich auch keiner was drunter vorstellen.
Christian Marbach, Sprecher der Hinterbliebenen
Erst als klar wurde, dass sich das Stück vor allem den Hinterbliebenen widmet – und Niels Högel gar nicht vorkommt – änderte sich die Meinung vieler Angehöriger. Und auch die von Christian Marbach. Er habe sich einen Ruck gegeben und habe mal nachgefragt, was die Göttinger da so vorhaben. Am Ende habe er das Theaterensemble sogar unterstützt.
Ich habe dieses Stück jetzt im Hintergrund gut begleitet bei den Recherchen, habe auch selbst meinen Anteil dazu beigetragen, und ich freue mich sehr auf die Premiere, weil ich hoffe, dass wir damit eine Diskussion eröffnen in einer Gesellschaft, auch in Oldenburg insbesondere, wo man sich bisher wegduckt.
Christian Marbach, Sprecher der Hinterbliebenen
Theaterstück feiert am 29. Februar in Oldenburg Premiere
Julia Roesler und ihr Team haben aber nicht nur mit Hinterbliebenen der Högel-Opfer gesprochen, sondern auch mit Historikern, Psychiatern und einer Pastorin. Von der anfänglichen Kritik sei sie überrascht gewesen, sagt die Regisseurin, auch wenn sie verstehe, dass die Klinikmorde ein sehr emotionales Thema seien. Aber schließlich sei das Theaterstück doch auch eine Chance, sich dem Unfassbaren erneut zu stellen.
Wenn man sich vorstellt, wie viele Menschen an jeder einzelnen Tat dranhängt, dann kommt man schnell auf eine riesige Zahl von Betroffenen, und die leben ja alle hier, die sind ja alle hier in dieser Stadt oder in beiden Städten in Delmenhorst und in Oldenburg. Und das bedeutet was. Und ich glaube, es ist gut, da mehr Bewusstsein zu schaffen.
Julia Roesler, Regisseurin
Das Stück "Überleben" feiert am 29. Februar am Oldenburgischen Staatstheater Premiere. Bis Mitte Juni wird es dort zehn weitere Vorstellungen geben.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 17. Februar 2020, 19:30 Uhr