Frieden, Krieg, Zuflucht: Ukrainer in Bremen erzählen in 3 Bildern

Eine Mutter mit ihren Kindern, evakuiert aus Mariupol, kommt mit dem Bus in Saporischschja an
Bild: dpa | Zumapress.com | Rick Mave

Wie sah ihr Leben vor dem Krieg aus? Wie auf der Flucht und dann in Bremen? Ukrainerinnen und Ukrainer, jung und alt, zeigen ihre privaten Fotos und erzählen ihre Geschichte.

Mehr als fünf Millionen Ukrainer sind wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine aus ihrer Heimat geflohen. Jede dieser fünf Millionen Geschichten ist einzigartig.

Wir haben mit fünf Ukrainern gesprochen, die aus verschiedenen Städten evakuiert wurden und nun in Bremen sind. Wir haben sie gebeten, die gleichen Fragen zu beantworten und drei Fotos zur Verfügung zu stellen. Das erste Foto stammt aus Friedenszeiten, das zweite wurde während des Krieges in der Ukraine aufgenommen, und das dritte Foto haben sie in Bremen gemacht.

3er Collage aus Bildern einer ukrainischen Schülerin aus Odessa
Lolita ist 17 Jahre alt und stammt aus Odesa. Sie ist Schülerin der 11. Klasse. Bild: Radio Bremen

Mir wurde klar, dass der Krieg begann, als...

... ich eine sehr laute Explosion hörte, es war kurz vor fünf Uhr morgens. Am 24. Februar habe ich nachts nicht geschlafen, weil ich den Film "8 beste Dates" mit Vladimir Zelensky gesehen habe. Ein Film mit unserem Präsidenten in der Hauptrolle.

Ich hörte eine Explosion... aber aus irgendeinem Grund habe ich ihr keine Bedeutung beigemessen und bin eingeschlafen. Ich dachte, das Geräusch sei so etwas wie ein umgekippter Müllwagen. Gegen zehn Uhr weckte mich meine Mutter auf. Sie weinte und sagte: "Steh auf, der Krieg in der Ukraine hat begonnen, ich bin schon am Packen!" Ich stand unter Schock und hatte keinerlei Gefühle. Meine Mutter war dabei, unsere Sachen und Lebensmittel für den Luftschutzkeller zu packen.

Ich beschloss, die Ukraine zu verlassen, als...

... meine Mutter mir sagte, dass wir gehen würden. Wir planten, die Ukraine für höchstens ein oder zwei Wochen zu verlassen. Es war der sechste Tag des Krieges. Meine Mutter war verzweifelt und sagte, sie habe Angst um unser Leben. Zu dieser Zeit waren meine Patentante und ihr Sohn bereits mit ihren Freunden in Moldawien. Meine Mutter, meine beiden Schwestern und ich beschlossen, uns ihnen anzuschließen. Wir alle, 15 Personen, wohnten zusammen in einem Haus, das von Freiwilligen zur Verfügung gestellt wurde. Wir beschlossen, zwei Wochen später nach Deutschland zu fahren, weil mein Vater dort lebt. Ich hatte meinen Vater seit acht Jahren nicht mehr gesehen.

Bis zum 24. Februar hätte ich nie gedacht, dass...

... ich in Deutschland leben werde. Vor dem Krieg war ich noch nie in meinem Leben ins Ausland gereist.

Mein Weg nach Bremen war...

... anstrengend. Wir fuhren 35 Stunden mit dem Bus. Von Kischenow nach München. Dann noch sechs Stunden mit dem Zug nach Bremen.

Meine Pläne in Bremen sind jetzt...

... solange es die Möglichkeit gibt, möchte ich ein bisschen reisen. Ich möchte nach Hamburg fahren, denn da wird es eine Demonstration zur Unterstützung der Ukraine geben. Außerdem war ich kürzlich in Warschau, wo ich meine Freundin und ihre Großmutter abgeholt habe. Sie kommen auch aus Odessa und leben jetzt in Bremen. Es ist schwer, Pläne zu machen, solange in meinem Land Krieg herrscht.

Ich bin jetzt in der elften Klasse und lerne weiterhin aus der Ferne mit meinen Klassenkameraden aus der Ukraine. Aber wenn die Sirene in Odessa losgeht, ist der Unterricht vorbei. Ich weiß noch nicht, ob ich die Schule hier fortsetzen werde. Ich möchte zukünftig bei der Polizei oder bei der Feuerwehr arbeiten.

Wenn die Ukraine gewinnt und der Krieg vorbei ist, werde ich als erstes...

... schreien! Vor Freude! Ich werde nach Odessa zurückkehren und bei der Schutzpolizei anfangen.

3er Collage aus Bildern eines ukrainischen Jungen (7 Jahre) aus Czernnowitz
Mark Goncharyuk, 7 Jahre alt kommt aus Czernowitz und steht kurz vor dem Start in die Schule. Bild: Radio Bremen

Mir wurde klar, dass der Krieg begann, als...

... ich meine Großmutter Katya besuchte. Ich kam in die Küche und hörte, wie Tasia, meine Tante, sagte: "Weißt du was? Krieg!“ Und ich dachte, sie würde lügen. Krieg ist, wenn Menschen getötet werden. Ich weiß das, denn ich habe früher Computerspiele gespielt. Russland hat uns angegriffen, weil sie uns vernichten wollen. Ich will zurück schießen, weil ich meine Mutter beschützen will. Und meine ganze Familie.

Ich habe beschlossen, die Ukraine zu verlassen, als...

...meine Mutter das gesagt hat. Wir waren in Czernowitz, konnten nicht über die Grenze und lebten eine Woche lang im Keller. Es gab viele Sirenen, auch einige große. Die Sirene bedeutet, dass wir uns im Keller verstecken müssen, sie hilft uns. Und wir haben die Nachbarn geweckt. Sie schnarchen wie Pferde. (Anm. d. Red.: In der Stadt, in der die Familie lebte, weckt der oder die Erste, der oder die von der Gefahr erfährt, alle Nachbarn.)

Ein Mann mit seinem Hund hatte sich bei uns im Keller versteckt. Ich hatte dort eine Freundin, Zlata. Ihr sind auch die Zähne ausgefallen, genau wie mir. Wir sind in denselben Kindergarten gegangen, aber sie hat mich anfangs nicht erkannt und ich sie auch nicht. Jetzt sind wir mit ihr befreundet. Wenn wir erwachsen sind, werde ich sie heiraten.

Ich habe eine Spielzeugkatze mitgenommen – Kisu. Und ich habe das Bukvar mitgenommen! (Anm. d. Red.: eine Fibel) Ich habe mich auf die Schule in der Ukraine vorbereitet und deshalb ukrainische Buchstaben gelernt. Als es keine Sirenen gab und Russland mal keine Raketen abwarf, sagte meine Mama, dass wir die Ukraine verlassen würden. Bevor wir uns auf den Weg machten, gab mir meine Mama noch einen Kakao.

Bis zum 24. Februar hätte ich nie gedacht, dass...

... ich von zu Hause weglaufen und meine Spielsachen zurücklassen muss.

Mein Weg nach Bremen war...

... sehr lang und kalt. Früh am Morgen sind wir über die Grenze gelaufen. Und dann kamen wir nach Rumänien und ich schlief dort auf einer Matratze, die sie uns gaben. Und sie gaben uns kostenlosen Tee. (Anm. d. Red.: In Rumänien wohnte die Familie in einem Flüchtlingszentrum.)

Wir sind nach Bremen zu meinem Vater gefahren, er arbeitet hier und hat auf uns gewartet. Papa hat uns abends in Rumänien abgeholt und wir haben in einem Hotel übernachtet. Am nächsten Morgen sind wir dann nach Ungarn gefahren. In Ungarn haben wir im Auto geschlafen, weil wir nicht passieren durften. Aber mir war nicht kalt, ich war mit einer Decke zugedeckt.

Meine Pläne in Bremen sind jetzt...

... hier zu leben. Ich werde essen. Ich will eine Arbeit finden. Ich will ein Polizist werden. Ich werde Diebe und schlechte Menschen fangen. Aber dann muss ich zurück nach Czernowitz, weil ich dort Zlata heiraten werde. Und wir werden mit ihr in einem Haus in der Ukraine leben.

Wenn die Ukraine gewinnt und der Krieg vorbei ist, werde ich als erstes...

... ich weiß es nicht. So lange kann ich nicht warten. Ich will in die Ukraine, zu Olichka! (Anm. d. Red.: Olichka ist Marks Großmutter, die in der Ukraine geblieben ist.)

3er Collage mit Bildern von Dmytro Zaimenko, Rentner aus Kiew
Bild: Radio Bremen

Mir wurde klar, dass der Krieg begonnen hat, als...

... ein Nachbar, der Soldat ist, mir schrieb: "Er hat begonnen!". Ich beschloss sofort, dass ich etwas tun musste und ging zum Bezirksamt für die Einberufung zum Militär. Da war eine riesige Schlange, etwa 300 Leute vor mir! Junge Leute! In diesem Büro sagte man mir, dass ich zu alt sei für den Militärdienst. Und ich beschloss, mich auf eigene Faust zu verteidigen. Zusammen mit meiner Frau wohne ich in einem Haus in der Nähe des Waldes, von wo aus alle Sabotage- und Aufklärungsgruppen kamen.

Am achten Tag des Krieges gab es eine gewaltige, laute Explosion. Die Fenster in meinem Haus flogen auf und ich merkte, dass irgendwo in der Nähe eine Granate eingeschlagen war. Ich öffnete das Fenster und sah, dass eine Rakete in das Haus des Nachbarn geflogen war! Die Entfernung zwischen unseren Häusern beträgt 40 Meter. Der Schuss durchschlug ihren Betonzaun wie ein Sieb.

Als ich sah, dass alles in Flammen stand, rannte ich zu meiner Nachbarin, einer älteren Frau. Es waren bereits zwei Männer in dem brennenden Haus und wir begannen alle, sie zu retten. Sie lag ohne Beine im Bett... Ich nahm das Internetkabel und begann, ihre Beine zu abzubinden. Aber ohne Erfolg, sie hat nicht überlebt. Ich war wie betäubt. Mir wurde klar, dass dies ein echter Krieg war.

Danach zog ich in den Keller, um dort zu leben. Zwei weitere Familien lebten mit meiner Frau und mir im Keller. Aber diese Familien, unsere Nachbarn, wurden ein paar Tage später evakuiert und wir lebten neun Tage lang im Keller.

Ich beschloss, die Ukraine zu verlassen, als...

... zwei weitere Granaten einschlugen und zwei weitere Häuser der Nachbarn verbrannten. Meine Frau Tanya sagte zu mir: "Wir müssen gehen. Dieses 'russische Roulette' könnte bald uns treffen." In der Ukraine sind Männer unter 60 Jahren wehrpflichtig. Da ich 66 Jahre alt bin, beschloss ich, meine Familie an einen sicheren Ort zu bringen.

Bis zum 24. Februar hätte ich nie gedacht, dass...

... Russland die Ukraine angreifen würde. Bis 2014, vor der illegalen Annexion der Krim und Russlands Angriff auf den Donbas, hätte ich Russland geholfen, wenn es angegriffen worden wäre. Aber jetzt ist mir klar, dass es keine Verbrüderung zwischen uns geben kann.

Mein Weg nach Bremen war...

... Gott sei Dank ohne Zwischenfälle, aber sehr intensiv!

Wir wussten nicht, welchen Weg wir nehmen sollten, denn einige Straßen waren bereits mit russischen Soldaten belagert. Wir sind über Umwege nach Lemberg gekommen. Von Lemberg wurden wir mit dem Bus nach Berlin gebracht.

In Berlin gab es schon so viele Ukrainer, also wurden wir nach Hamburg geschickt. In Hamburg war es auch zu voll und die Regierung hat uns nach Bremen umgesiedelt. In Bremen kamen wir in einer Flüchtlingsunterkunft in den Messehallen unter. Wir waren zu neunt, meine Frau, drei Nichten, die Freundin des Freundes meines Sohnes und der Freund meiner Schwester mit zwei Kindern.

Ich hatte keine Angst um mich selbst. Für die Mädchen und die Kinder war es beängstigend. Aber was ist mit mir? Ich bin ein alter Mann, ich habe mein Leben schon gelebt.

Meine Pläne in Bremen sind jetzt ...

... in Bremen leben. Und wenn der Krieg vorbei ist, will ich zurück in die Ukraine. Ich habe dort mein Haus, ein schönes Haus. Ich hoffe, es wird nicht bombardiert!

Wenn die Ukraine gewinnt und der Krieg zu Ende ist, werde ich als erstes...

... meine Frau umarmen und ihr sagen: "Schatz, wir gehen nach Hause!" Und wenn wir in die Ukraine kommen, werden wir Fleisch braten und alle unsere Freunde und Verwandte zum Feiern einladen!

3er Collage aus Bildern einer ukrainischen Gymnastiklehrerin in Kiew
Bild: Radio Bremen

Mir wurde klar, dass der Krieg begann, als...

... mein Freund mich um fünf Uhr morgens anrief und mir sagte, ich solle alle notwendigen Dinge und Dokumente zusammenpacken. Während unseres Gesprächs hörte ich im Hintergrund Explosionen. Ich hatte Angst. Ich war allein in der Wohnung und es schien, als würde die Rakete genau hier in meine Wohnung fliegen.

Ich beschloss, die Ukraine zu verlassen, als...

... ich sechs Tage ohne Licht, Wärme und Wasser unter den ständigen Raketeneinschlägen verbrachte. Mein Ziel war es, zu überleben. Auf der einen Seite hatten wir die Zhytomyr-Autobahn, auf der anderen Bucha, Vorzel, Irpin. Alles stand in Flammen, wir waren eingekesselt. All diese Granaten und russischen Flugzeuge, flogen durch unseren Ort. Wir sahen überall zerstörte Raketen, und die Reste flogen umher und zerstörten Häuser. Wir haben bereits gelernt, anhand des Geräusches zu erkennen, was genau geschossen wird (Raketen, Panzer, Artillerie). Auch wie weit es von uns entfernt ist, ob noch Zeit ist, zum Brunnen zu rennen oder ob man hinter den Mauern sitzen kann. Am elften Tag des Krieges verließ ich mein Zuhause. Meine Eltern sind jetzt arbeitslos und mir wurde klar, dass ich ihnen finanziell helfen und für mich selbst sorgen musste.

Bis zum 24. Februar hätte ich nie gedacht, dass ...

... sich mein Leben so dramatisch verändern könnte. Jetzt verstehe ich, dass es unmöglich ist, irgendetwas zu planen. Für mich liegt das Glück in den einfachen Dingen. Selbst morgens eine Tasse Kaffee zu trinken ist so aufregend! Wenn man in Sicherheit ist, gibt es Wasser, Licht und etwas zu essen.

Mein Weg nach Bremen war...

... ein Glücksfall! Das Schwierigste war die Evakuierung aus Kiew. Wir sind durch die Dörfer gefahren, damit das russische Militär nicht auf unser Auto schießt. Als wir die Zhytomyr-Autobahn verließen, sahen wir das absolute Grauen.

Wir bewegten uns auf feindlichem Gebiet und wussten nicht, ob wir unseren Kontrollpunkt erreichen würden. Ich habe noch nie so viel Angst gehabt! Autos wurden beschossen und zertrümmert, eine Straße wurde zertrümmert, Leichen wurden vernichtet, Panzer und andere militärische Ausrüstung wurden zerstört und feindliche Hubschrauber flogen in der Nähe. Aber Gott sei Dank haben wir es geschafft, durchzukommen.

Wir fuhren über Warschau nach Deutschland, direkt nach Bremen. Denn hier hatten wir einen Bekannten aus Kiew, der uns bei der Familie seines Kollegen unterbrachte.

Meine Pläne in Bremen sind jetzt...

... zu arbeiten. Nach zwei Wochen Aufenthalt in Bremen fand ich durch eine Bekannte einen kleinen Raum für die rhythmische Sportgymnastik. Ich fing an, drei Mal pro Woche ehrenamtlich und kostenlos Mädchen zu trainieren. Es half mir, mich abzulenken und nicht an den Krieg zu denken. Vor einer Woche wurde mir eine offizielle Stelle in einem Sportverein angeboten! Ich bin sehr glücklich!

Jetzt trainiere ich kleine deutsche Turnerinnen. Es gibt einige unter ihnen, die Russisch verstehen, also kann ich Bemerkungen auf Russisch sagen. Ich durfte auch ukrainische Turnerinnen zum Training in diesen Sportverein mitnehmen. Bis zum Ende des Jahres können sie kostenlos trainieren.

Wenn die Ukraine gewinnt und der Krieg vorbei ist, werde ich als erstes...

... zu meinen Verwandten und Freunden nach Kiew fahren. Nach unserem Sieg werde ich jede Sekunde meines Lebens genießen. Da ich in einem anderen Land bin, so weit weg von meiner Heimat, liebe ich die Ukraine jeden Tag mehr und mehr!

3er Collage mit Bildern von Victoria Fust, Fachberaterin in Saporischschja
Bild: Radio Bremen

Mir wurde klar, dass der Krieg begann, als...

... ich um 5:10 Uhr von einer so lauten Explosion geweckt wurde, dass die Wände und Fenster der Wohnung vibrierten. Mir wurde klar, dass das Schlimmste, was mir in meinem Leben hätte passieren können, der Krieg war. Mein Mann musste eine lange Reise nach Polen antreten und ich schlief schlecht, weil ich so nervös war. Ich erinnere mich, dass er mich am Tag zuvor bat, einen Notfall-Koffer zu packen, und ich scherzte zurück, weil ich sicher war, dass es keinen Krieg geben würde. Aber als ich merkte, wie ernst alles war, verspürte ich das erste Mal Panik und Angst.

Ich hatte Angst, dass Soldaten des russischen Militärs unsere Mädchen vergewaltigen würden. Ich habe eine Tochter, Yulia, die zu dieser Zeit beruflich in den Karpaten war. Ich rief sie sofort an und bat sie, dort zu bleiben, bis der Krieg vorbei ist.

Ich beschloss, die Ukraine zu verlassen, als...

... meine Tochter anrief und während eines Telefongesprächs ein Militärflugzeug über unser Haus flog und mit der Bombardierung begann. Davor gab es keinen Luftalarm. Die Ankunft der Raketen war unerwartet, ich hatte keine Zeit, mich zu verstecken. Ich erinnere mich, dass ich einfach das Telefon fallen ließ und in den Keller rannte. Im Keller umarmte ich unseren Hund Yalinka und begann zu beten: "Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name...".  Ich war hysterisch, ich konnte nicht glauben, dass es geschah.

Mein Mann, der von seiner Reise nach Polen zurückkam, bestand darauf, dass ich evakuiert werden müsse. In 15 Minuten holte ich meine Koffer, packte Dokumente und Medikamente in eine Tasche, in die andere die Sachen unseres Hundes Yalinka.

Ich ging in das Zimmer meiner Mutter und bat sie, mit mir zu kommen, aber sie weigerte sich. Sie wurde in den 1940er Jahren geboren und sagte: "Ich wurde während des Krieges geboren und ich hätte nie gedacht, dass ich während eines Krieges sterben würde." Am folgenden Tag, dem neunten Tag des Krieges, wurde ich mit dem Zug aus Saporischschja evakuiert.

Bis zum 24. Februar hätte ich nie gedacht, dass...

... ein Krieg möglich ist. Ich hatte viele Freunde aus Russland. Als der Krieg begann, rief ich sie an und bat sie, zur Demonstration zu gehen und etwas zu tun! Sie sagten: "Wir haben Angst. Wir wollen nicht ins Gefängnis." Jetzt habe ich keine Freunde aus Russland mehr.

Mein Weg nach Bremen war...

... die anspruchsvollste Reise meines Lebens. Von Zaporizhzhia nach Vinnytsia, Vinnytsia nach Lviv,  Lviv nach Uzhhorod, und von Uzhhorod nach Bremen. Wir haben oft die Straßen und Transportarten gewechselt. Meine Ex-Schwiegermutter lebt in Bremen. Ich lebe nun mit ihr und bin dafür sehr dankbar. Meine Tochter Yulia wurde mit mir evakuiert und die Tatsache, dass sie bei mir ist hilft mir.

Yalinka, unser Hund, ihr Name kann aus dem Ukrainischen mit Weihnachtsbaum übersetzt werden, lässt bei uns auch keine Langeweile aufkommen. Ich bin fasziniert davon, wie Yalinka die Straße überlebt hat. Sie ist acht Jahre alt und ein Zwergpinscher, ein sehr aktiver, lebhafter und bellender Hund. Während des Krieges hat sie das neue Kommando "Leise" gelernt. Und sie ist grau geworden. Manchmal gaben wir ihr Beruhigungstabletten, damit sie nicht so ängstlich und besorgt war.

Meine Pläne in Bremen sind jetzt...

... noch nicht vorhanden. Mein Ehemann sagt mir, ich solle erst einmal hier bleiben. Aber ich vermisse die Ukraine sehr. Ich habe immer von einem Haus am Meer geträumt, in dem ich viel Zeit mit meinen Kindern und Enkelkindern verbringen kann. Aber ich habe durch den Krieg alles verloren. Deshalb lebe ich jetzt im Moment. Ich weiß nicht, was morgen passieren wird.

Ich bin am Boden zerstört, als hätte ich meine Familie und Freunde verraten! Sie leben in Gefahr, unter den Raketen, und ich bin hier, wo alles ruhig ist. Ich kann mir nicht verzeihen, dass ich Angst habe.

Wenn die Ukraine gewinnt und der Krieg vorbei ist, werde ich als erstes...

... meine Lieben, die ich hier habe, umarmen und küssen. Ich möchte meinen Ehemann und meine Mutter sehen! Mir ist klar, dass der Flugverkehr nicht am selben Tag, an dem wir gewinnen, seine Arbeit wieder aufnehmen wird. Wenn ich also einen Luftballon hätte, würde ich mich sofort darauf setzen und nach Hause zu meiner Familie fliegen!

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Bild: Radio Bremen

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    Anna Chaika Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. Mai 2022, 19:30 Uhr