Darum werden Geflüchtete aus der Ukraine und Syrien ungleich behandelt

2015 haben viele Flüchtende aus Syrien Zuflucht in Bremen gesucht, 2022 sind es vor allem Menschen aus der Ukraine. Sind die Szenarien von damals und heute vergleichbar?

Viele diskutieren gerade darüber und es gibt ein diffuses Gefühl: Werden Geflüchtete aus der Ukraine anders behandelt als Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern? Auch in der buten-un-binnen-Community ist diese Frage immer wieder Thema – zum Beispiel bei Hilfs- und Spendenaktionen für geflüchtete Menschen aus der Ukraine.

Gute Aktion, aber wo sind die Kriegs Flüchtlinge aus den anderen Ländern? Gibt es Unterschiede wo gerade Krieg ist? Gibt es schlechte oder gute Flüchtlinge?

Angelika Feldmann - 12. April 2022, 08:00 Uhr.

Solche Fragen erreichen uns immer wieder. Wir blicken auf die rechtliche Lage. Um mögliche Unterschiede im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Herkunftsländern nachzuvollziehen, ist es wichtig, die sogenannte "Massenzustrom-Richtlinie" zu kennen. Sie trat 2001 in Kraft – damals vor dem Hintergrund der Fluchtbewegungen während der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren.

In der Richtlinie enthalten ist ein Mechanismus, der eine unbürokratische Aufnahme von Flüchtenden jenseits des Asylverfahrens sicherstellen soll. Dieser temporäre Schutz für bestimmte Flüchtlinge muss allerdings von der EU beschlossen werden. 2015 nutzte die EU diese Rechtsgrundlage für Flüchtende aus Syrien nicht. Die Massenaufnahme von aus Syrien geflüchteten Menschen geschah am 4. September 2015 auf Grundlage einer Entscheidung der deutschen Regierung. Anders im Jahr 2022: Hier entschieden die EU-Mitgliedstaaten am 3. März, die "Massenzustrom-Richtlinie" für Flüchtlinge aus der Ukraine erstmals zu aktivieren.

So sehen Betroffene und Experten die Unterschiede bei Integration und Willkommenskultur:

1 Wohnen: Ukrainische Geflüchtete profitieren von EU-Beschluss

Für die Unterbringung in Bremen ist es egal, ob Flüchtlinge aus Syrien, der Ukraine oder anderen Herkunftsländern kommen. "Da gilt ein Gleichbehandlungsgrundsatz", sagt Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts.

In einer Sporthalle sind mehrere behelfsmäßige Betten
Viele Geflüchtete leben derzeit in Notunterkünften wie dieser Turnhalle. Bild: dpa | Robert Michael

Und doch gibt es einen Unterschied zwischen 2015 und 2022. Denn ukrainische Flüchtlinge dürfen – anders als zum Beispiel Flüchtlinge aus Syrien – direkt in Privatwohnungen untergebracht werden. Grundlage dafür ist das deutsche Aufenthaltsgesetz. Dort heißt es in Paragraf 24, Absatz 1: "Einem Ausländer, dem auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union […] vorübergehender Schutz gewährt wird [...], wird für die […] Dauer des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt."

Anders als 2022 gab es 2015 im Zuge der Syrien-Krise keinen entsprechenden EU-Beschluss, die "Massenzustrom-Richtlinie" zu aktivieren. Weshalb aus Syrien und anderen Herkunftsländern geflüchtete Menschen zunächst ein individuelles Asylverfahren durchlaufen müssen – und damit rechtlich verpflichtet sind, nach ihrer Ankunft in einer Gemeinschaftsunterkunft zu leben – anders als die Menschen aus der Ukraine.

Awo und Co. organisieren Wohnungen für Geflüchtete

Geflüchtete, die bereits eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, dürfen sich in Bremen hingegen eine private Unterkunft suchen. Viele tun dies seit 2013 über das Projekt "Zukunft Wohnen", das von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) und weiteren sozialen und kirchlichen Trägern in Bremen und Bremerhaven organisiert und von der Senatorin für Integration gefördert wird. 2016, also im Zuge der Syrien-Krise, wurde die Mitarbeiterzahl für das Projekt von 18 auf 35 verdoppelt.

Seitdem vermittelt "Zukunft Wohnen" rund hundert Wohnungen im Monat an Geflüchtete – mehr als 11.000 seit 2013. Die Unterkünfte werden dem Projekt von städtischen Wohnkonzernen wie der Gewoba oder der Brebau, aber auch von privaten Wohnbaukonzernen wie Vonovia angeboten. Darüber hinaus gibt es ein ebenso großes Kontingent an Unterkünften, die Privatleute zur Verfügung stellen.

Mit Ausbruch der Ukraine-Krise sind nochmal hunderte Angebote von Privatanbietenden bei uns eingegangen.

Andrea Nolte-Buschmann, Projekt-Koordinatorin von "Zukunft Wohnen"

Natürlich könne es auch mal vorkommen, dass jemand nur an Menschen aus der Ukraine vermieten wolle, sagt Projektkoordinatorin Andrea Nolte-Buschmann. "Dann sagen wir: Es gibt unser Projekt, das gilt für alle Geflüchteten." Wer dies nicht akzeptiere, für den stellen Nolte-Buschmann und ihr Team zwar den Kontakt her. Die Organisation rund um die Beschaffung von Mietübernahmebescheinigungen, Sprachvermittlern oder Beratungen zum Energieverbrauch müssen die Vermietenden dann aber selbst organisieren.

2 Bildung: Gleiche Rechte, viel Improvisation

"Unser primäres Ziel ist es, allen Kindern und Jugendlichen, die nach Bremen kommen, so schnell wie möglich einen Schulplatz anzubieten", sagt Maike Wiedwald, Sprecherin des Bildungsressorts. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine gerät die Hansestadt allerdings an Grenzen.

Tablets werden im Unterricht eingesetzt
In Bremen hat jedes Schulkind ein Recht auf ein Tablet – egal welcher Herkunft. Bild: dpa | Uli Deck

Statt der erwarteten 4.000 ukrainischen Frauen und Kindern kamen bis zu den Osterferien mehr als 7.000 geflüchtete Menschen. Die Anzahl der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen lag dabei zu diesem Zeitpunkt im Land Bremen bei rund 2.500. Mittlerweile haben sich in der Hansestadt etwa 700 von ihnen für einen Schulplatz gemeldet, 500 sind mittlerweile Schulen zugewiesen worden.

Eigentlich sind für alle geflüchteten Kinder und Jugendlichen Vorkurse vorgesehen, in denen sie vor allem Deutsch lernen. Schon 2015 wurde dieses Kursangebot deutlich ausgebaut, an Bremer Schulen kamen weitere 77 und in Bremerhaven weitere sechs Vorkurse dazu. Derzeit plant Bremens Regierung angesichts der hohen Schülerzahlen eine weitere Verdoppelung der Vorkurse von derzeit 92 auf mehr als 180.

Das ist eine riesige Herausforderung und lässt sich zeitlich auch nicht so schnell umsetzen.

Maike Wiedwald, Sprecherin der Senatorin für Bildung

Um die vielen Schülerinnen und Schüler auch kurzfristig fördern zu können, hat Bremen, anders als 2015, inzwischen auch sogenannte zentrale Willkommensklassen eingerichtet – die erste gibt es seit dieser Woche in Bremen-Ohlenhof. Die Klassen sind gezielt für ältere ukrainische Schüler gedacht. Sie haben dort unter anderem die Möglichkeit, besser am Online-Unterricht des ukrainischen Schulsystems teilzunehmen, das parallel zum Krieg im Land aufrechterhalten wird.

Eine Bevorzugung sieht Bildungsressortsprecherin Wiedwald in den Willkommensklassen nicht. "Geflüchtete Kinder aus anderen Herkunftsländern bekommen eine Förderung und ein iPad wie alle anderen auch", sagt sie.

Krieg verhindert Abiprüfung – Studium trotzdem möglich

Bei der Zulassung zum Studium gelten grundsätzlich erstmal für alle Geflüchteten die selben Rechte, erklärt eine Sprecherin des Bremer Wissenschaftsressorts. Auch hier bestehen aber Unterschiede durch den Aufenthaltsstatus. Wer, wie Geflüchtete aus der Ukraine, einen gültigen Aufenthaltstitel hat und die Voraussetzungen für den Hochschulzugang erfüllt, darf sich auf das Studium bewerben. Ähnliches gilt für den BAfÖG-Anspruch. Dagegen müssen geduldete Geflüchtete mindestens 15 Monate ununterbrochen in Deutschland leben, um BAfÖG bekommen zu können.

Einen Unterschied gebe es aber für Geflüchtete aus der Ukraine, die in diesem Jahr ihr Abi gemacht hätten und diesen Abschluss wegen des Krieges nicht regulär machen konnten. Sie dürfen sich laut Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) ausnahmsweise ohne abgeschlossenes Abitur auf ein Studium in Deutschland bewerben. "Das bedeutet nicht, dass sie dann automatisch zum Studium zugelassen werden", erklärt das Wissenschaftsressort. Um studieren zu können, müssen sie dann nämlich auch die weiteren Voraussetzungen, zum Beispiel Sprachkenntnisse, erfüllen, sagt die Sprecherin.

2015 gab es diese Regelung für Geflüchtete aus Syrien nicht. Damals hatte sich die Kultursministerkonferenz darauf geeinigt, dass Geflüchtete, die ihren Abschluss nicht nachweisen konnten, die Abschluss-Anerkennung durch eine Prüfung bekommen können.

Alle Geflüchteten können sich vorab über die Ausländerquote auf einen Studiengang in Bremen bewerben, der zugangsbeschränkt ist. Laut Sprecherin des Wissenschaftsressorts sei die Quote von acht Prozent in der Vergangenheit nicht ausgeschöpft worden.

3 Soziales: Anspruch auf Hartz IV wohl ab 1. Juni

Bisher bekommen Geflüchtete aus der Ukraine, wenn sie hier registriert sind, Geld über das Asylbewerberleistungsgesetz. Das gilt auch für alle anderen Geflüchteten, die in Deutschland Asyl beantragen, aber die noch nicht als Geflüchtete anerkannt sind. Ab 1. Juni greift dann auch hier die "Massenzustrom-Richtlinie" – für Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland. Damit ändert sich ihr Status. Sie bekommen direkt den Schutz als anerkannte Geflüchtete ohne vorherige Prüfung.

Ein Schild mit dem Logo des Jobcenters.
Das Jobcenter ist ab 1. Juni für viele Geflüchtete aus der Ukraine zuständig. Noch muss der Übergang geklärt werden. Bild: Radio Bremen

Menschen aus der Ukraine bekommen dann Anspruch auf Sozialleistungen wie Hartz IV und sie werden zum Beispiel auch regulär krankenversichert. Alleinstehende Erwachsene aus der Ukraine haben dann regulär Anspruch auf 449 Euro im Monat – für nicht anerkannte Geflüchtete sind es dagegen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 82 Euro weniger. Weil die EU die Massenzustrom-Richtlinie 2015 nicht in Kraft gesetzt hatte, bekamen auch Menschen aus Syrien damals zunächst Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Beträge lagen auch zu dieser Zeit unter den Hartz-IV-Regelsätzen.

Der Deutsche Bundestag wird diese Änderungen für ukrainische Geflüchtete wohl erst am 20. Mai beschließen. Eine Zustimmung gilt zwar als sicher, trotzdem muss das Jobcenter so lange warten, bis geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer sich dort anmelden können. In der kurzen Zeit bis Anfang Juni könne das Jobcenter nicht alle geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer registrieren, sagt Thorsten Spinn, der Geschäftsführer des Jobcenters Bremen. Deshalb soll es wohl eine Übergangsphase geben. Das Sozialressort könnte möglicherweise ukrainischen Geflüchteten den Hartz-IV-Satz überweisen. Das Jobcenter würde dann die Differenz bezahlen. Wichtig sei, dass der Übergang nicht zum Nachteil für die ukrainischen Geflüchteten wird, fordert Spinn.

Wir müssen verhindern, dass die Geflüchteten von Behörde zu Behörde geschickt werden.

Thorsten Spinn, Geschäftsführer des Jobcenters Bremen

Arztbesuche: Wenig Unterschiede in Bremen, dafür im niedersächsischen Umland

Für ukrainische Geflüchtete, die im Land Bremen leben, ändert sich ab 1. Juni bei der Gesundheitsversorgung wenig. Denn alle Geflüchteten bekommen schon jetzt, direkt bei ihrer Registrierung, eine Gesundheitskarte. Damit können sie ohne Weiteres zum Arzt gehen und bekommen alle wichtigen Behandlungen. Geflüchtete haben allerdings keinen Anspruch auf Vorsorge, die sie für ihre Gesundheit nicht unbedingt brauchen.

Abgesehen von Delmenhorst gibt es im niedersächsischen Umland aber andere Regeln, wie ein Sprecher des niedersächsischen Sozialressorts buten un binnen bestätigt. Dort rechnen die jeweiligen Kommunen die Arztbehandlungen von Asylbewerbenden ab, das macht es komplizierter: Geflüchtete, die noch keinen Asylanspruch haben, müssen sich hier vor jedem Arztbesuch einen Krankenschein bei der Kommune abholen. Wer aus der Ukraine geflüchtet ist, hat also in Niedersachsen ab 1. Juni bei Arztbesuchen weniger bürokratische Hürden als Asylbewerber aus anderen Herkunftsländern.

Wichtig ist aber auch: Alle Geflüchteten, die in Deutschland anerkannt sind, bekommen die selben Sozialleistungen, also Ukrainerinnen und Ukrainer genauso wie Geflüchtete aus Syrien mit gültigem Aufenthaltstitel.

4 Arbeit: Ukrainische Geflüchtete dürfen sofort anfangen

Auch beim Thema Arbeitserlaubnis greift die "Massenzustrom-Richtlinie" der EU. Sie garantiert den Geflüchteten aus der Ukraine den Aufenthalt. Dadurch dürfen sie auch direkt anfangen zu arbeiten und brauchen dafür von der Ausländerbehörde zunächst nur eine vorläufige Erlaubnis, eine sogennannte "Fiktionsbescheinigung". Geflüchtete aus anderen Ländern müssen erst ein Asylverfahren durchlaufen und dadurch einen gültigen Aufenthaltstitel bekommen, bevor sie mit der Arbeit anfangen dürfen. Wer den gültigen Aufenthaltstitel hat, hat unabhängig von Herkunft und Staatsbürgerschaft Anspruch auf den Mindestlohn, erklärt das Bremer Wirtschaftsressort.

Schild in den Farben der Ukraine-Flagge mit der Aufschrift "Job in Germany"
Ukrainische Geflüchtete dürfen direkt in Deutschland anfangen zu arbeiten. Bild: dpa | Oliver Berg

Ab 1. Juni haben Geflüchtete aus der Ukraine dann den Anspruch auf alle Weiterbildungen, die das Jobcenter anbietet. Laut Thorsten Spinn, dem Chef des Jobcenters Bremen, habe die Sprache die oberste Priorität: "Für alle Geflüchteten, die in der Lage sind zu Arbeiten und auch wollen sind die Themen Sprache und Spracherwerb die zentralen Anliegen." Dafür organisiere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Integrations- und Sprachkurse. Im Moment sei man in der Planung: Was könnten die Menschen brauchen? "Dafür wollen wir die Menschen kennenlernen: Welche Weiterbildungen benötigen sie? Wir wollen natürlich nicht an den Bedarfen der Menschen vorbei planen", sagt Spinn.

Bei der Anerkennung von Ausbildungen wird laut Wirtschaftsressort kein Unterschied zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern gemacht. Reglementierte Berufe würden auch bei Geflüchteten aus der Ukraine anerkannt, wenn die Ausbildung gleichwertig mit der deutschen Ausbildung sei, sagt Christoph Sonnenberg, Sprecher des Bremer Wirtschaftsressorts. Ausbildungen werden dabei unabhängig vom Aufenthaltsstatus anerkannt, erklärt Sonnenberg.

Wie Bremerinnen und Bremer ukrainische Geflüchtete aufnehmen

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 2. Mai 2022, 6:35 Uhr