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Bremer Experte hält längere Arbeitszeiten für den falschen Weg

 Blick in durch eine offene Glastür in einem Büro. Ein Mann sitzt an seinem Schreibtisch (Symbolbild)

Debatte um Arbeitszeit – warum arbeiten Deutsche so wenig?

Bild: Imago | Sven Simon

Eine Studie untermauert die Aussage des Bundeskanzlers: Deutsche arbeiten im Schnitt weniger als andere. Woran das liegt und was sich ändern muss, erklären Bremer Experten.

Zuletzt hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit der Aussage für Aufsehen gesorgt, die Deutschen arbeiteten zu wenig. Ein Vergleich von Daten aus den Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kommt zu dem Ergebnis, dass nur Menschen in Frankreich und Belgien noch weniger arbeiten als in Deutschland.

Arbeiten Deutsche wirklich so wenig?

Deutsche arbeiten im Vergleich mit Menschen in anderen Wirtschaftsnationen im Schnitt deutlich weniger: Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft. Die Studienautoren untersuchten dafür Daten aus den OECD-Ländern. Zur OECD-Gruppe gehören 38 Nationen, viele von ihnen sind wirtschaftsstark. Für die Studie wurden die Arbeitsstunden insgesamt auf alle Menschen im Erwerbsalter zwischen 15 und 64 Jahren umgerechnet.

Im Jahr 2023 arbeitete ein Deutscher zwischen 15 und 64 Jahren demnach im Schnitt 1.036 Stunden. Deutschland landete damit auf dem drittletzten Platz, nur in Frankreich (rund 1.027 Stunden) und Belgien (rund 1.021 Stunden) wurde weniger gearbeitet. Zum Vergleich: Eine Griechin arbeitete im Schnitt 1.172 Stunden, ein Pole 1.304 Stunden. In keinem untersuchten Land lag die Zahl der Arbeitsstunden höher als in Neuseeland. Dort waren es sogar mehr als 1.400 Stunden im Jahr 2023.

Wie viel arbeiten die Menschen in Bremen?

Für Bremen gibt es zwar keine direkt vergleichbaren Zahlen. Laut einer repräsentativen Befragung, die das Sozialforschungsinstitut infas für die Bremer Arbeitnehmerkammer durchgeführt hat, arbeiten die Beschäftigten im Land Bremen im Schnitt 35,6 Stunden pro Woche. Überstunden sind darin bereits enthalten. Nach den Ergebnissen der Befragung arbeiten Männer durchschnittlich 38,7 Stunden, Frauen 32 Stunden. Die Arbeitnehmerkammer verweist auf große Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen.

Gut 70 Prozent der Befragten seien in Vollzeit beschäftigt. Unter den Geschlechtern ist das Verhältnis von Vollzeit und Teilzeit aber sehr ungleich verteilt: Während fast 90 Prozent der Männer einer Arbeit in Vollzeit nachgehen, sind es bei den Frauen weniger als die Hälfte. Für die Befragung wurden von Februar bis Mai 2023 2.940 Gespräche mit in Bremen wohnenden Beschäftigten und Einpendlerinnen geführt.

Wie ist der Vergleich zu anderen Bundesländern?

Als Zwei-Städte-Staat ist Bremen zwar nicht in jeder Hinsicht mit Flächenländern vergleichbar. Eine Auffälligkeit gegenüber anderen Bundesländern, was die Struktur der Erwerbstätigkeit angeht: Im Bundesländervergleich gibt es laut Arbeitnehmerkammer Bremen sowohl bei Männern als auch noch stärker bei Frauen besonders niedrige Erwerbsquoten. Das heißt, es nehmen im Land Bremen besonders wenige Menschen am Arbeitsmarkt teil.

Auch die Teilzeitquote bei den Frauen sei im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr hoch. "Insgesamt wird das Arbeitszeitpotenzial im Land Bremen unzureichend genutzt", so Tim Voss, Abteilungsleiter der Politikberatung bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. 

Welche Anreize könnte die Arbeitszeit einzelner erhöhen?

Bei der Arbeitnehmerkammer Bremen ist man überzeugt, dass man mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren sollte und Teilzeitarbeitende die Möglichkeit bekommen, ihre Stundenzahl zu erhöhen, und so insgesamt mehr gearbeitet würde. Die individuelle Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten zu erhöhen, sei der falsche Weg. Die Arbeitnehmerkammer verweist darauf, dass "ein beachtlicher Anteil der Teilzeitbeschäftigten unfreiwillig in Teilzeit" arbeite. Um das zu ändern, brauche es eine bessere Infrastruktur bei der Kinderbetreuung und in der Pflege.

Letzteres sieht auch Cornelius Neumann-Redlin von den Unternehmensverbänden Bremen so. "Wenn es mehr Frauen ermöglicht würde, Vollzeit zu arbeiten, wäre das ein großer Fortschritt", sagt der Hauptgeschäftsführer. Seiner Erfahrung nach ist Geld nicht immer und in jeder Branche der entscheidende Anreiz: "Meine Erfahrung ist, dass etwa in den Branchen Chemie und Metall/Elektro, wo die tariflichen Bedingungen sehr gut sind, ein Trend dahin geht, dass sich Beschäftigte lieber für mehr Freizeit als für mehr Gehalt entscheiden. Diesen Trend nehme ich sowohl in Bremen als auch bundesweit wahr."

Neumann-Redlin sieht das größte Problem bei einem geringen Arbeitsvolumen für das aktuelle Rentensystem. "Das Problem ist, dass eine immer geringer werdende Zahl von Erwerbstätigen eine immer größere Zahl von Rentenempfängern wird finanzieren müssen – das kann nicht funktionieren, wenn Menschen immer weniger arbeiten."

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Bild: Radio Bremen

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Autorin

Quellen: buten un binnen und AFP.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 19. Mai 2025, 8:36 Uhr