Interview
Streit um Meinungsfreiheit: Wie viel Hass darf erlaubt sein?

Immer mehr Menschen ziehen sich wegen Online-Hass aus dem Netz zurück. Wir haben mit einem Bremer Medienexperten über den Umgang mit Hasskommentaren gesprochen.
Am 23. Mai ist die Delmenhorster Sängerin Sarah Connor zu Gast in der Talkshow 3nach9 von Radio Bremen – und bringt ein Thema mit, das aktueller kaum sein könnte: Hass im Netz. In ihrem neuen Song "FICKA" rechnet sie offen mit den Anfeindungen ab, denen sie selbst online ausgesetzt ist.
Gleichzeitig hat sich die Bremer FDP dafür ausgesprochen, die Regulierungen von Plattformen im Namen der Meinungsfreiheit zurückzufahren und entsprechende Beschwerdestellen abzuschaffen. Der Bremer Kommunikations- und Medienwissenschaftler Cornelius Puschmann erklärt im Gespräch mit buten un binnen, wie wir mit Hass im Netz umgehen sollten und was er von dem Vorschlag der FDP hält.
In ihrem neuen Song "FICKA" setzt sich Sarah Connor mit Hasskommentaren im Internet auseinander. Helfen solche Songs gegen Hass im Netz?
Es ist schwer bei irgendeiner Art Medienformat, das den Umgang im Internet thematisiert, eine Auswirkung auf die Gesellschaft feststellen zu können. Ganz grundsätzlich gilt aber, dass es eine Awareness dafür braucht, warum das ein gesellschaftliches Problem darstellt. Erst dann kann man es lösen.

Was kann das mit Menschen machen, wenn sie über lange Zeit Hass im Netz ausgesetzt sind?
Dadurch, dass Menschen sich Hasskommentaren ausgesetzt sehen, nehmen viele nicht mehr am Diskurs im Internet teil und ziehen sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Andere verändern ihre Art der Teilnahme, um Hasskommentare zu vermeiden. Das kann dazu führen, dass Standpunkte von betroffenen Gruppen, die beispielsweise aufgrund ihres Geschlechts, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Religion zur Zielscheibe werden, nicht mehr artikuliert werden.
Wo ist überhaupt der Unterschied zwischen Hasskommentar und Meinungsäußerung?
Krasseste Beschimpfungen und Todesdrohungen sind natürlich Hasskommentare und auch solche Kommentare, die Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe angreifen. Andere Kriterien sind erfüllt, wenn beispielsweise das Gegenüber entmenschlicht wird. Aber zu sagen, dass jemand völlig inkompetent oder ein Idiot ist, ist was Anderes. Besonders für Politikerinnen und Politiker gilt, dass das auch eine Art von Kritik sein kann, die man in einer Demokratie aushalten muss. Nicht alles, was mir nicht gefällt, ist gleich Hatespeech.
Die Bremer FDP fordert die Abschaffung des Tatbestandes der Politikerbeleidigung, da dies eine Ungleichbehandlung sei. Was halten Sie davon?
Es gibt da Argumente für beide Seiten. Man kann viele Beispiele für Hasskommentare finden, die sich auf Politikerinnen und Politiker beziehen. Das hat auch Konsequenzen, weil dadurch weniger Menschen bereit sind, politische Ämter auszufüllen und sich zu engagieren. Das spricht dafür, dass Politikerinnen und Politiker besonders berücksichtigt werden sollten. Auf der anderen Seite kann man auch kritisieren, wenn eine Gruppe besonders hervorgehoben und somit auch privilegiert wird.
Ist es ein Problem, wenn Politiker Beleidigungen im Internet systematisch anzeigen oder müssen Personen des öffentlichen Lebens so etwas aushalten?
Die Anzeigen sind nicht die Lösung des Problems. Gleichzeitig sind sie aber auch nur eine Reaktion auf das Problem. Denn das Problem ist, dass sie mit Hasskommentaren überzogen werden. Ich verstehe, warum massenhaft Anzeigen zu stellen, in der Situation wie die einzige Lösung erscheint, besser wäre es aber, das Problem gesellschaftlich zu lösen.
Wie viel Regulierung braucht es denn im Internet?
Die Regulierung kann man sich wie ein Pendel vorstellen. Wenn es auf die eine Seite ausschlägt, ist alles erlaubt. Das ist problematisch, weil sich dann Menschen aus dem Diskurs zurückziehen und nur die bleiben, die am lautesten schreien. Wenn das Pendel aber in die andere Richtung ausschlägt, ist es zu schnell so, dass politisch unliebsame Meinungen oder sehr robuste Kritik direkt als Hatespeech deklariert werden und der öffentliche Diskurs geschmälert wird. Wie das Pendel genau in die Mitte kommen kann, ist also die Frage.
Und in welche Richtung schlägt das Pendel derzeit aus?
Es war früher sicher so, dass viel erlaubt war. Es galt das Recht des Lautesten. Das hat sich über die Jahre in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Plattformen haben angefangen, Inhalte zu löschen, weniger sichtbar zu machen und es wurden immer mehr Anzeigen gestellt. Ob das zu weit ging, mag ich nicht sagen. Seit der Wahl von Donald Trump befinden wir uns aber wieder in einer Pendelbewegung zurück. Dahinter steht die Vorstellung, dass sonst die Redefreiheit zu stark eingeschränkt werden würde. Die Plattformen – allen voran X – haben ihre Richtlinien gegen Hatespeech alle demontiert.
In welcher Verantwortung sehen sie die Plattformen und was kann die EU gegen Hasskommentare tun?
Die EU hat Möglichkeiten, Hasskommentare zu sanktionieren. Also den Plattformen zu sagen, wenn ihr euch daran nicht haltet, dann gehen wir gegen die Plattformen vorgehen. Das kann von Strafzahlungen bis zum Verbot der Plattform gehen. Das befindet sich aber alles noch in der Aushandlung, deswegen bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen gegen Hasskommentare in der EU im selben Umfang abgebaut werden, wie in den USA.
Wer ist noch verantwortlich, um gegen Hass im Netz vorzugehen?
Eigentlich ist jeder Nutzer gefordert. Ob wir Hasskommentare tolerieren, ist eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Es ist wichtig, dass Leute im Netz dagegenhalten. Entweder als einzelne Nutzer oder aber auch als Initiativen, die sich gegen Hass im Netz stark machen. Es ist also nicht nur alleine eine Frage der Gesetzgebungen und der Verantwortung der Plattformen.
Die Bremer FDP fordert außerdem die Abschaffung von Meldestellen und der Antidiskriminierungsbeauftragten für Betroffene digitaler Gewalt. Wäre das sinnvoll?
Ich denke nicht, dass das die Situation besser machen würde. Meldestellen sind eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie groß das Problem ist, da sie Vorfälle dokumentieren. Das Schaffen von Strukturen löst das Problem nicht einfach, aber umgekehrt löst es auch nicht das Problem, wenn man die Meldestellen abschafft und dann weniger über das Phänomen weiß.
Dieses Thema im Programm: 3nach9, 23. Mai 2025, 22 Uhr