Interview

Bremer Forscher: "Verständnis für andere Lebensrealitäten ist wichtig"

Zwei Personen reichen sich die Hände (Symbolbild)

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Bild: Imago | Westend61

Was hält uns als Gesellschaft zusammen? Und wie stärken wir diesen Zusammenhalt? Diese Fragen erforscht Olaf Groh-Samberg. Hier erklärt er, worauf es ankommt.

Herr Groh-Samberg, wie definieren Sie gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Der Begriff ist nicht so einfach und klar zu definieren. Wir sprechen eher von einem Diskurs und schauen uns an, wer verwendet den Begriff auf welche Weise. Im Grunde beschreibt er die Qualität der gesellschaftlichen Beziehungen. Auf das Lokale, wie ein Dorf oder Stadtteil, runtergebrochen wird er definiert durch das Vertrauen, die Übereinstimmung der Werte, die Kooperation und die Unterstützung, die man sich innerhalb der Gruppe gibt.

Gesamtgesellschaftlich ist es schwieriger zu sagen, da es viele unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Positionen gibt. Da ist ein Dialog miteinander wichtig und es kommt darauf an, wie gut man sich wechselseitig versteht und kennt.

Schwierig wird es, wenn Gruppen gar nicht mehr miteinander reden können – und wenn Meinungen besonders stark sind und Regeln des demokratischen Diskurses missachtet werden.

Olaf Groh-Samberg, Professor an der Universität Bremen

Das haben wir ja in den USA beispielsweise erlebt, wo eine Wahl nicht mehr akzeptiert worden ist oder aber Wissenschaft als Fake News abgetan wurde.

Wie sehen Sie die Entwicklung des gesellschaftlichen Zusammenhalts?

Das ist eine schwierige Frage. Schon früher gab es in der Gesellschaft große Konflikte – zum Beispiel in den 70er Jahren. Aber Streit gehört zu einer Demokratie dazu.

Wenn wir uns heute den gesellschaftlichen Zusammenhalt anschauen, dann haben unsere Forschungen gezeigt, dass es drei Konfliktachsen gibt, an denen sich Spaltung zeigt.

Die erste ist der Kosmopolitismus. Damit ist gemeint, wie jemand zu den Themen kulturelle Vielfalt, Flucht und Migration, zu Gender-Fragen, Gleichberechtigung und dem Klimawandel steht. Wir in diesen Fragen für Vielfalt, Toleranz, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit eintritt, hat in der Regel auch starkes Vertrauen in die politischen und demokratischen Institutionen.

Die zweite Konfliktachse nennen wir Konventionalismus. Damit ist gemeint, wie rigide und autoritär gesellschaftliche Normen durchgesetzt werden sollen. Menschen, die dies befürworten, sind in der Regel für Autorität und scharfe Sanktionen.

In unserer Forschung zeigt sich, dass diese beiden Achsen schräg zu einander stehen: Kosmopoliten lehnen Konventionalismus tendenziell ab, und umgekehrt – beide stehen sich trotzdem nicht diametral gegenüber, denn es gibt auch Überschneidungen.

Dann gibt es noch eine dritte und unabhängige Achse und die zeigt, wie jemand zu sozialen Ungleichheiten steht.

In ihrer Forschung beschäftigen Sie sich vor allem mit der Mittelschicht. Welche Rolle spielt diese Gruppe, wenn es um den Zusammenhalt in der Gesellschaft geht?

Über die Mittelschicht ist wichtig zu sagen, dass sie in viele kleinere Teilgruppen zerfällt, zum Beispiel eine obere und eine untere Mittelschicht, aber auch in eine "kosmopolitische" und eine "konventionalistische". Eigentlich hat diese Gruppe ein großes Solidaritätspotenzial. Das bedeutet, ihnen ist es ein Bedürfnis, Solidarität mit anderen zu zeigen. Gleichzeitig gibt es einen enormen Statusdruck, was sich unter anderem in dem Streben nach Bildung oder Karriere zeigt.

Es ist also spannend zu betrachten, inwieweit die Mittelschichten gefangen sind zwischen dem Solidaritätsbedürfnis und ihrem Statuserhalt. In welche Richtung wird es gehen – hin zu einer positiveren Entwicklung für die Gesellschaft oder zum individuellen Vorteil? Wie viel Verantwortung wird diese Schicht übernehmen?

Und wie können wir Spaltung in der Gesellschaft entgegenwirken?

Die oben genannten Achsen beschreiben auch unterschiedliche Vorstellungen davon, wie gesellschaftliches Zusammenleben funktionieren soll. Die einen sind eher dafür, dass Meinungen in der Gesellschaft ausdiskutiert werden sollen, die anderen eher für eine Law-and-Order-Haltung. Sie fordern klare Regeln und jemand, der sagt, wo es langgeht.

Damit die Spaltung weniger wird und der Zusammenhalt wachsen kann, ist es wichtig, Verständnis für andere Lebensrealitäten aufzubauen. Gerade in den oberen Schichten, ist das Verständnis für das Leben anderer Milieus abhanden gekommen.

Olaf Groh-Samberg, Professor an der Universität Bremen

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage, die ja durchaus von Krisen gezeichnet ist, mit Blick auf die Gesellschaft?

In der aktuellen Energiekrise sehe ich das Gießkannen-Prinzip der Hilfsmaßnahmen sehr kritisch. Das geht zwar schnell, aber es sollten sich vor allem die einschränken, die es sich leisten können. In diesen Schichten ist zwar häufig das ökologische Bewusstsein größer – der Schaden, den sie anrichten, aber trotzdem höher. Simpel und einfach, weil es sich Menschen mit weniger Geld beispielsweise gar nicht leisten können, zwei Autos zu fahren oder eine Sauna zu haben. Diese Krise trifft vor allem das untere Drittel der Bevölkerung mit wenig Geld – und da sind wir alle gefragt, etwas dagegen zu tun. 

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Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 8. November 2022, 8:10 Uhr