Interview

AWI-Forscher: Diese Folgen hätte ein dauerhafter Temperatur-Anstieg

Ein Mann lacht in die Kamera.
Gerrit Lohmann ist Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Bild: AWI

Laut UN könnte bis 2026 die 1,5-Grad-Marke gerissen werden. Sollte das dauerhaft der Fall sein, drohe ein hoher Anstieg des Meeresspiegels, so Klimaforscher Gerrit Lohmann.

Die Erderwärmung wird der UN zufolge in den kommenden fünf Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent die Schwelle von 1,5 Grad überschreiten – zumindest zeitweise. Laut eines am Dienstag veröffentlichten Klimaberichts der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) lag die Wahrscheinlichkeit für eine solche Entwicklung 2015 noch nahe Null. Für Klimaforscher Gerrit Lohmann vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) ist die Entwicklung keine Überraschung.

Herr Lohmann, was bedeutet es, dass die 1,5-Grad-Marke mindestens in einem der kommenden fünf Jahren überschritten werden könnte?

Es ist sehr bedauerlich, dass wir schon so nah dran sind an dieser Marke. Es können dann relativ unangenehme Sachen passieren, zum Beispiel Kipppunkte. Das heißt, das antarktische Eisschild kann uns verloren gehen. Auch für die Vegetation oder für Klimaextreme können solche Punkte sehr relevant sein. Man hat sich drauf festgelegt, dass man das komplexe Klimasystem auf Zahlen runterbrechen muss und diese 1,5 oder 2 Grad haben sich als die herausgestellt, mit denen man operiert.

Ist alles zu spät, wenn es wirklich so kommt?

Ich würde es nicht überdramatisieren. Für den Verlust des westantarktischen Eisschildes ist ein Jahr etwas wärmer als 1,5 Grad wahrscheinlich noch nicht so schlimm. Wenn wir allerdings dauerhaft über 1,5 oder 2 Grad kommen, dann erleiden wir einen unwiederbringlichen Verlust großer Teile des Eisschildes. Und erfahren damit auch einen Meeresspiegelanstieg in der Größenordnung von drei bis sechs Metern.

Einzelne Jahre, die über 1,5 Grad gehen, sind im Einzelfall vielleicht dramatisch, weil sie dann regional sehr starke Erwärmung mit sich bringen. Dann hat man Hitzewellen. Das heißt, dass Menschen darunter leiden, weil sie gesundheitliche Probleme bekommen. Oder auch, dass bestimme Regionen nicht genug Wasser bekommen und Menschen Probleme haben, sich zu versorgen.

Sie sind weniger über den Bericht überrascht, als über die Überraschung darüber – warum?

Wir wissen ja ungefähr, wieviel wir emittieren. Die Menschheit hat in den letzten Jahrzehnten eigentlich immer mehr emittiert und nicht weniger, obwohl seit den 1980er Jahren sehr gut bekannt ist, dass die vermehrte Emission von Treibhausgasen zu einem dramatischen Anstieg der Temperaturen führen wird.

Wenn man das von den letzten zehn Jahren extrapoliert, weiß man ziemlich genau, dass man in den nächsten fünf bis acht Jahren in die Größenordnung von 1,5 Grad kommt. Es ist eher die Überraschung, dass die Menschen das nicht ernst nehmen und sich sehenden Auges auf etwas zu bewegen, was immer stärkere Auswirkungen für bestimmte Regionen der Erde hat.

Also hätte auch die Politik viel früher etwas tun können und müssen?

Ja, eindeutig. Es lag alles auf dem Tisch, Wissenschaftler haben gemahnt. Durch die Fridays-for-Future-Bewegung ist es nochmal richtig ins Bewusstsein der Leute gekommen. Die jüngere Generation hat klargemacht, dass es auch ein Generationenkonflikt ist und sie nicht mehr bereit ist, diese Fehlentscheidungen mitzutragen. Es geht für die zukünftigen Generationen auch um die Ressourcen und um die Umgebung, in der sie leben.

Das ist für die größere Öffentlichkeit durch diese Bewegung nochmal sichtbar geworden. Aber die Warnung gibt es schon lange. Man muss nur die Initiative ergreifen und Schritt für Schritt vorgehen, um auf andere Energieformen zu kommen.

Es gab zuletzt immer wieder Extremwetter mit Trockenheit, Stürmen oder Fluten – inwiefern hat die Entwicklung Einfluss darauf?

Die letzten Jahre – gerade die Sommer – waren viel zu trocken. Das bewirkt, dass die Feuchtigkeit im Boden sich über mehrere Jahre nie erholen konnte und der Wasserspeicher im oberen Bereich des Bodens nicht ausreichend war. Das hat riesen Auswirkungen auf die Landwirtschaft, auf unsere Umwelt und die Vegetation, die wir unbedingt brauchen, um uns in der Natur zu erholen.

Diese Faktoren waren dramatisch und sichtbar. Man konnte mit bloßem Auge sehen, dass Pflanzen diesen Wasserstress nicht mehr abkonnten. Das ist in Deutschland vielleicht neu, in anderen Regionen aber nicht. Dadurch gibt es ganze Hungersnöte und Menschen müssen ihr Land verlassen. Das ist sehr offensichtlich. Betroffene Ländereien werden dann noch intensiver beackert und nachher sind Landstriche unbewohnbar. Große Teile im Mittelmeerraum haben schon Wasserprobleme und sind für die kommenden Jahrzehnte höchstgefährdet.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 10. Mai 2022, 18 Uhr