Wie ein Teil des Bernsteinzimmers in Bremen wieder auftauchte

Bild: dpa | Monika Zucht/Der Spiegel

Seit Kriegsende galt das Kunstwerk als verschollen. Vor 25 Jahren lockte ein Kaufgebot die Kunst-Fahnder nach Bremen. Sie gingen auf den Deal ein – trotz großer Zweifel.

Das Bernsteinzimmer ist ein ganzer Raum aus Gold, Edelsteinen, Bernstein und Spiegeln. 1716 schenkte es Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. dem russischen Zaren Peter I., und bekam dafür 248 groß gewachsene, russische Soldaten – als Zeichen der Freundschaft. Nach mehreren Umzügen blieb es schließlich für fast 200 Jahre im Sommerpalast der Zarin Elisabeth I., 25 Kilometer vor den Toren von Sankt Petersburgs.

Dann kam der Zweite Weltkrieg. Deutsche Soldaten brachten das Bernsteinzimmer, verpackt in 27 Kisten nach Westen, nach Königsberg, ins heutige Kaliningrad. Kurz war es ausgestellt, dann wurde es wieder in Kisten verpackt und im Keller vor Bombenangriffen in Sicherheit gebracht. 1945 verliert sich die Spur. Das Schloss brannte bis auf die Grundmauern nieder. Nicht der kleinste Teil des achten Weltwunders wurde je wiedergesehen – bis 1997 eines der Mosaike auf dem Schwarzmarkt zum Verkauf stand.

Konnte es wirklich echt sein?

Das Bernsteinzimmer im Katharinenpalast bei Sankt Petersburg, Russische Föderation
Ein Rekonstruktion des Bernsteinzimmers kann im Katharinenpalast bei Sankt Petersburg besichtigt werden. Bild: Imago / Photothek

Peter Schultheiß war damals Polizeidirektor in Potsdam und hatte sich auf den Ankauf vermisster Antiquitäten spezialisiert. Er hatte Wind von dem 55 mal 70 Zentimeter großen Bild aus Marmor und Onyx bekommen. Es zeigt zwei Paare in einer Gartenlandschaft. Ein Ölgemälde des italienischen Malers Giuseppe Zochi diente als Vorlage. Zunächst war der Ermittler fest davon überzeugt, dass es sich um eine Fälschung handeln müsste. Aber dann schickte ihm der Verkäufer ein Video, in dem er das Kunstwerk präsentierte. Schultheiß ging auf das Angebot ein und kam am 13. Mai 1997 under cover nach Bremen. Bei einem Notar in der Sögestraße sollte der Deal für 2,5 Mio US-Dollar über den Tisch gehen.

Ich bin dann von dem Mittelsmann und einer Frau in ein Notariat geführt worden, habe Kaufinteresse gezeigt, habe mir die Geschichte des Bildes erzählen lassen. Als unser Experte, den wir mitbrachten, sagte: "Jawohl, das könnte echt sein", kam es zum Zugriff.

Peter Schultheiß, verdeckter Ermittler beim Ankauf von Antiquitäten

Auf dieses Stichwort hatten die zivilen Polizisten gewartet, die sich am Vormittag in der Fußgängerzone postiert hatten. Mitten in der Kaufverhandlung stürmten sie die Kanzlei und beschlagnahmten das Mosaik. Gegen den Notar und seinen Klienten wurde ein Verfahren wegen versuchten Betrugs und Beihilfe dazu eingeleitet.

Wie war es nach Bremen gekommen?

Viele Jahre hatte es gut versteckt auf einem Dachboden im Bremer Steintor-Viertel gelegen. Ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier hatte sich das Mosaik aus dem Bernsteinzimmer bereits unter den Nagel gerissen, als es 1941 aus dem Zarenpalast nach Königsberg geschafft worden war. Dort ist es also nie angekommen. Als der Soldat 1978 starb, entdeckte es sein Sohn und hängte es über sein Sofa. 19 Jahre später wollte er es verkaufen.

Obwohl "Mr. X", wie sein Anwalt ihn nennt, die Herkunft des Mosaiks kannte, hatte er ein gutes Gewissen. Denn er glaubte, er habe sich das Eigentum über Jahre "ersessen" und setzte also auf Verjährung. Er wollte das Bild sogar an Coca Cola verkaufen, damit die es dann Russland schenken können, um dann dort mehr ihrer Brause verkaufen zu können. Als Mr. X und sein Anwalt aufflogen, kam ihr Fall vor Gericht: Der Notar wird verurteilt, sein Mandant, der Mann aus dem Steintor, ist da schon verstorben.

Wie wurde es zurückgegeben?

Henning Scherf
Henning Scherf hoffte durch die Rückgabe auf ein Stück Versöhnung mit Russland. Bild: Radio Bremen

Es war eine Sensation, die da in einer Bremer Anwaltskanzlei aufgetaucht war. Und neben allen kriminalistischen Fachfragen wurde auch schnell klar, das Mosaik hat eine wuchtige politische Strahlkraft. Davon war auch Bremens damaliger Bürgermeister Henning Scherf überzeugt: "Das Bernsteinzimmer ist wie ein Paradebeispiel, ob man die Unrechttaten des Zweiten Weltkrieg wieder ein Stück gutmachen kann."

Mittlerweile ist das Bernsteinzimmer als Rekonstruktion wieder aufgebaut worden – in einer Art Bausatz. Darin ist das Bremer Mosaik bis heute das einzige Original aus den Wandelementen, das nach dem Krieg wieder aufgetaucht ist.

Von russischer Seite lag schnell ein Tauschangebot vor: Der stellvertretende russische Kulturminister wollte 101 Blätter zurückgeben, die aus dem Besitz der Bremer Kunsthalle stammten.

Wolfgang Eichwede
Wolfgang Eichwede hat die Bremer Interessen – speziell der privaten Sammlung der Kunsthalle – eisern vertreten. Bild: Radio Bremen

An die schwierigen Verhandlungen kann sich der Historiker Wolfgang Eichwede von der Forschungsstelle Osteuropa gut erinnern. Er hatte an der Rückgabe mitgearbeitet und spricht heute von einer "hohen Schule auf diplomatischen Schleichwegen" von Bremer Seite. Wie konnte man die Bilder aus der russischen Botschaft nach Bremen bekommen? Und wie das Mosaik nach Petersburg? War das nicht eigentlich eine Arbeit für das Auswärtige Amt? Oder für das Kanzleramt?

Bremens eigenständige Außenpolitik wurde argwöhnisch beäugt von der Bundesregierung, bis man sich dann doch endlich einigen konnte – nach etlichen Hakeleien. Und das Mosaik wurde endlich, auch dank einer Spende des Bremer Kaufmanns Bernd Hockenmeyer, juristisch frei zur Rückgabe.

Zudem war durch den Presserummel noch eine kostbar gearbeitete Kommode aus dem Bernsteinzimmer in Berlin aufgetaucht. Im Austausch für beide Teile sollte Russland in einem Atemzug im Krieg erbeutete deutsche Kunst zurückgeben.

Hat diese Geschichte ein Happy End?

Der deutsche Staatsminister für Kultur, Michael Naumann (vorn), Russlands Präsident Wladimir Putin (M) und Museumsdirektor Iwan Saitow (l) betasten ein Marmor-Mosaik aus dem Bernsteinzimmer.
Rückgabe mit Bremer Begleitung in zweiter Reihe: Henning Scherf, Wolfgang Eichwede und Bernd Hockemeyer. Bild: Picture Alliance / dpa | EPA Itar-Tass Pool

Erst einmal ja, denn das Mosaik ist seit dem Jahr 2000 wieder im Zarenschloss in Petersburg, großer Bahnhof mit russischem Präsidenten und viel Hoffnung, dass die Rückgabe des Mosaiks als Zeichen für Verständigung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern weitere folgen könnten. "Da kommt ein Stück nationalen Heiligtums zurück", sagt Russlands Präsident Wladimir Putin, als er im Thronsaal des Katharinenschlosses bei Sankt Petersburg das Bild in Empfang nimmt.

Als dort 2003, nach mehreren Jahrzehnten aufwändiger Rekonstruktion, das so genannte achte Weltwunder wiedereröffnet wird, mimt der russische Präsident noch den friedlichen Europäer. Immerhin hatte aber auch der andere Deal geklappt: Die Bremer Kunsthalle bekam auf der gleichen Reise einen Teil ihrer Blätter zurück; darunter Toulouse-Lautrec, Goya, ein lang ersehnter Dürer. Das war damals ein Feiertag für das Bremer Museum, der sich so schnell wohl nicht wiederholen wird.

Autoren

  • Jens Schellhass
    Jens Schellhass Redakteur
  • Markus Daschner
    Markus Daschner Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. Mai 2022, 19:30 Uhr