Interview

Klimakiller Wohnen: Darum muss Bremen besonders viele Gebäude sanieren

Baustelle mit Kran in Bremen
Im Land Bremen gibt es viele Altbauten, die in Zukunft saniert werden müssen, um die Klimaziele einzuhalten. Bild: Radio Bremen | Niklas Hons

Wer wohnt, verbraucht Energie – zum Beispiel fürs Heizen. Im Land Bremen sind viele Gebäude dabei in schlechtem Zustand. Ein Experte erklärt, wie Bremen das ändern kann.

Was kann das Land Bremen gegen den Klimawandel tun? Diese Frage sollte die Klima-Enquete-Kommission beantworten. Die Runde sollte konkrete Wege suchen, wie Bremen und Bremerhaven ihren CO2-Fußabdruck schnell reduzieren können. Das Ziel: Das Land will bis 2038 Klimaneutral werden. 2021 hat die Kommission ihre Ergebnisse vorgestellt.

Zur Bürgerschaftswahl am 14. Mai werfen wir einen Blick darauf, wie Bremen mit den selbst gesteckten Zielen vorankommt. Ist das Land auf dem richtigen Weg? Hans Erhorn war Teil der Bremer Klima-Enquete-Kommission. Er ist Experte vom Fraunhofer-Institut für Energiesparendes Bauen. Im Interview mit buten un binnen erklärt er, wie es um die Bremer Gebäude bestellt ist – und was jetzt die wichtigsten Schritte für klimaneutrale Gebäude sind.

Wie stehen Bremen und Bremerhaven bei der Energieeffizienz der Häuser da?

Die anderen Großstädte sind ähnlich strukturiert wie Bremen: An den Gebäuden wurde bisher überall wenig gemacht. Trotzdem ist das Land Bremen etwas Besonderes: Hier machen Neubauten nur einen Anteil von circa zehn Prozent am gesamten Gebäudebestand aus. In Stuttgart, einer Stadt, die ähnlich groß ist wie Bremen und Bremerhaven zusammen, liegt der Anteil von Neubauten bei fast 30 Prozent.

Seit ungefähr 40 Jahren gibt es energetische Anforderungen an den Gebäudebestand – da macht der Anteil an Neubauten natürlich etwas aus.

Eine Porträtaufnahme von Hans Erhorn, Experte für die Enquete-Kommission
Hans Erhorn, Experte für energiesparendes Bauen am Fraunhofer Institut

Und das Land Bremen ist anders, weil es hier einen hohen Anteil von Wohnungseigentumsgesellschaften gibt. Das Problem dabei ist: Diese Gesellschaften kommen nur sehr schwer und langsam zu Entscheidungen. Oft tagen sie nur einmal pro Jahr. Bis es da zur Entscheidung kommt, dass ein Gebäude saniert wird, dauert es häufig sehr lange. In vielen Fällen wird diese Entscheidung Jahr für Jahr vertagt. Wenn es über 100.000 solcher Wohnungen gibt, gibt es auch potenziell 100.000 Entscheider. Das macht es kompliziert.

Energiekennwerte von Wohngebäuden in Bremen und Bremerhaven

Bundesländer-Vergleich der Energiekennwerte von Wohnhäusern Quelle: McMakler Daten 2021 A+ A B C D E F G H 9,5% 61,9% 28,6% A+, A, B C, D, E, F G,H Land Bremen Legende
Bild: Radio Bremen

Wie wichtig ist der Gebäude-Sektor bei der Einhaltung der Klimaziele?

Auch da ist Bremen ein Sonderfall, weil hier die Stahlindustrie angesiedelt ist. Das Stahlwerk macht ungefähr die Hälfte aller Emissionen im Bundesland aus. Die müsste man also wegnehmen, damit der Vergleich nicht stark verzerrt ist.

Ich glaube, es ist wichtig, sich auch die Verursacherbilanz anzuschauen. Die bekommt man, wenn man sich anschaut, wer welche Emissionen tatsächlich verursacht hat, zum Beispiel indem man die Heizung oder den Herd anmacht. Nach dieser Verursacherbilanz liegt der Gebäudesektor zwischen 25 und 30 Prozent der Emissionen.

Welche Stellschrauben gibt es, um Häuser effizienter zu machen?

Um zu schauen, wie viel verbraucht wird, muss man drei wesentliche Faktoren miteinander multiplizieren: Die Energieeffizienz, also den Verbrauch der Gebäude in Kilowattstunden je Quadratmeter und Jahr. Ein zweiter Multiplikator ist die Fläche, die ich beheize und der dritte Multiplikator ist der Emissionsfaktor der eingesetzten Energieträger – also wie klimaschädlich ist die Energie, die man verbraucht. Wenn ich komplett mit eigenen Solarsystemen heize, habe ich insgesamt auch null Emissionen beim Heizen.

Ein Problem, das wir bisher haben: Die pro Person genutzte Wohnfläche ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer weiter angewachsen. Die größeren Wohnungen werden vor allem von älteren Menschen bewohnt, die den großen Platz eigentlich nicht komplett brauchen. In Bremerhaven ist die durchschnittliche Wohnfläche etwas größer als in Bremen.

Bremerhavener leben durchschnittlich auf einer zwei Quadratmeter größeren Mietfläche als Bremer. Ich kann mir vorstellen, dass das mit den unterschiedlichen Mietkosten zusammenhängt.

Eine Porträtaufnahme von Hans Erhorn, Experte für die Enquete-Kommission
Hans Erhorn, Experte für energiesparendes Bauen am Fraunhofer Institut

Lässt sich da denn konkret etwas tun?

Wir hatten ja gerade in den vergangenen Monaten im Zuge der Inflation oft die Frage: Muss ich die ganze Wohnung heizen? Reichen vielleicht bestimmte Räume oder auch das Heizen zu bestimmten Zeiten? Es hat sich gezeigt, dass wir mit einer gezielteren Beheizung nur durchs persönliche Verhalten schon 20 bis 25 Prozent einsparen konnten.

Bei der Seite der Energieträger kann der Einzelne eher wenig tun. Natürlich gibt es die Entscheidung zwischen Wärmepumpe oder Gaskessel. Aber diese Entscheidung wird von der Politik langsam genommen. Ich glaube aber, dass Bremen mit der Entscheidung für den Ausbau des Fernwärmenetzes in der Frage gut aufgestellt ist.

Energiekennwerte von Wohngebäuden im Land Bremen im Bundesländervergleich

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Im Bericht der Klima-Enquete-Kommission wurde dargelegt, dass es für Bremen noch keine offiziellen Erhebungen über die Anteile der verschiedenen Effizienzklassen der Gebäude gibt. Wobei könnten die Daten helfen?

Es wäre sinnvoll, wenn man ein Klassifizierungssystem für alle Gebäude im Land standardisiert einführen würde. Im Moment ermitteln wir zwar im Energieausweis für Wohngebäude eine Energieeffizienzklasse, aber diese Information ist nicht flächendeckend verfügbar.

Aktuell wird auf EU-Ebene diskutiert, dass wir uns den ganz schlechten Altbau energetisch nicht mehr leisten können.

Eine Porträtaufnahme von Hans Erhorn, Experte für die Enquete-Kommission
Hans Erhorn, Experte für energiesparendes Bauen am Fraunhofer Institut

In der Zukunft werden also wahrscheinlich Mindestanforderungen an den Altbau gestellt. Man kann dann auf Dauer bei diesen Häusern nicht mehr sagen "ich ändere nichts." Laut EU-Plan sollen wohl "Worst-Performing-Buildings" definiert werden, die dann Schritt für Schritt energetisch saniert werden müssen. Effizienzklasse H wird es wohl nur noch bis 2030 geben. Ob es in diese Richtung geht, entscheidet sich alles im Laufe dieses Jahres.

Bremen will nun mit 1,1 Milliarden Euro städtische Gebäude energetisch sanieren und das Fernwärmenetz ausbauen. Wie sinnvoll ist das? Wäre eine zusätzliche Förderung für die Sanierung privater Gebäude nicht besser?

Ich würde sagen, das ist eine gute Maßnahme. Die öffentliche Hand hat hier Vorbildfunktion. Und es gäbe Diskussionen, wenn sich die Politik nicht an energetische Standards halten würde, die sie von Privaten einfordert. Dann wäre der Wille der Menschen auch weniger hoch. Für die Förderung der Sanierung von Privatwohnungen ist in erster Linie der Bund zuständig.

Aktuell wird in Bremen über eine Solardachpflicht für Neubauten ab einer Dachfläche von 50 Quadratmetern diskutiert. Auch Gebäude, die saniert werden, müssen dann möglicherweise Solarzellen auf das Dach bauen. Ist so eine Pflicht aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Ja und Nein. Wenn der Strompreis hoch ist, wie jetzt, ist das glaube ich eine gute Sache und sehr sinnvoll. Letztendlich sollte man Energie dort gewinnen, wo man sie braucht. Das ist ja auch ein Problem der Bayern, die keine Windräder in ihre Landschaft stellen wollen. Dächer sind immer da, was macht man sonst mit Dächern?
In der Regel wird die Solardachpflicht aber nicht ausreichen, um die gesamte Energie in der Stadt zu erzeugen. Aber Solaranlagen können zumindest schon einen großen Teil abdecken. Wenn auf allen Dächern in einer Stadt Solarzellen montiert wären, könnte man damit ungefähr zwischen einem Drittel und der Hälfte des Energiebedarfs decken.

Wie realistisch ist das Ziel von Bremen mit Blick auf den Gebäudesektor, bis 2038 Klimaneutral zu werden?

Im Augenblick ist es immer noch realistisch. Wichtig ist, dass das Thema weiter diskutiert wird und im Fokus bleibt. Vor allem müssen die Privatleute investieren. Die Sanierungsquote muss sich verdrei- oder vervierfachen. Wenn das gelingt, bin ich sehr zuversichtlich. Selbst, wenn es erst 2045 gelingt, wie der Bund aktuell plant, wäre das schon eine gigantische Sache.

Meine Sorge dabei ist, dass man die ganze Infrastruktur parallel zur Entwicklung des Bundes ausrichten muss, wenn man vorgezogene Zielwerte hat. Wenn man als Kommune sagt, wir wollen bis 2038 Klimaneutral werden und greifen damit den Klimazielen Deutschlands vor, weiß ich nicht, ob man damit das Optimum rausholt.

Milliardenschwerer Kredit: Bremen verschuldet sich für Klimaziele

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. April 2023, 19:30 Uhr