Bye Bye Behindertenheim: Dieses Bremer Paar will selbstbestimmt leben

Warum die Wohnungssuche für behinderte Menschen ein Kraftakt ist

Bild: Radio Bremen

Laura Valdez-Rennert und ihr Freund Lulzim Berisha suchen eine eigene Wohnung – trotz Behinderung. Beide kennen nur das stationäre Wohnen in Bremen. Das soll sich jetzt ändern.

"Boah, ist das schön! So groß. Ich glaube, das ist unser Zuhause!" Laura Valdez-Rennert umarmt spontan die Immobilenvermittlerin der Gewoba. Dabei hat die Frau dem Paar bei der Wohnungsbesichtigung noch nicht alle Zimmer gezeigt. Es fließen Tränen. Schluchzend umarmt sich das Paar.

Der Grund für so viele Emotionen: Noch nie waren die beiden ihrem Traum, in einer eigenen Wohnung zu leben, so nah. Dabei ist Laura Valdez-Rennert 27 Jahre alt, ihr Freund Lulzim Berisha 41 Jahre. Bisher teilen sich die beiden gut 15 Quadratmeter in einem Zimmer im "Haus am Werdersee" in Bremen, einer Einrichtung vom Martinsclub. Hier haben sich die beiden kennengelernt. Früher sagte man dazu "Behindertenheim" – aber nicht nur das Wort ist ein Auslaufmodell.

Fakt ist: Keiner der beiden hat je allein gewohnt. Aber jetzt sagen sie: Wir wollen hier raus und selbstbestimmt leben. Schon lange stehen sie auf der Warteliste derer, die eine Wohnung mit ambulanter Betreuung suchen.

Stationäres Wohnen als Auslaufmodell

Im Haus am Werdersee wohnen Laura Valdez-Rennert und Lulzim Bersiha mit insgesamt 19 Bewohnerinnen und Bewohnern zusammen. "Uns fehlt Ruhe, Privatsphäre und wir wollen einfach selbst unser Ding machen" sagen sie. Ende 2026 wird der Martinsclub diese Einrichtung ganz schließen.

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Das Paar will den Schritt raus aus dem Behindertenheim gemeinsam wagen. Bild: Radio Bremen

Der Countdown läuft. Die Baustelle vom neuen Quartierswohnprojekt gegenüber der Rolandklinik ist schon sichtbar. Aber darauf will das Pärchen nicht warten. Außerdem wird es in den neuen "Seehöfen" nur 16 Plätze geben. Also sucht das Paar anderswo nach einer Wohnung, in der sie allein leben können, aber weiter vom Martinsclub unterstützt werden.

Teilhabe durch neue Wohnformen

Es steht als Ziel in der UN-Charta, ist im Bundesteilhabegesetz verankert und auch die Bremische Politik sagt: Damit Menschen mit Behinderung selbstbestimmter leben und mehr teilhaben können, müssen sie raus aus den Heimen.

Die stationäre Wohnform ist ein gewisser Grad von Verwaltung. Und immer, wenn man Menschen verwaltet, entfernt man sich ein bisschen von Individuum.

Jan Peter Neumeister vom Martinsclub

Schon lange gibt es also einen Bremer Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Seit 2021 werden keine neuen stationären Betreuungsplätze mehr eingerichtet. Das Ziel ist es, dass jedes Jahr fünf Prozent weniger Bewohner in Heimen leben. Doch die Zahl derer, die in Bremen in Wohnheimen wohnen, schmilzt nur sehr langsam und liegt immer noch bei knapp 650 Bewohnerin. In den neuen Quartieren dagegen wohnen erst 77 Menschen mit Behinderung.

Neue Wohnformen bergen neue Herausforderungen

Alleine Wohnen heißt mehr Wahlfreiheit. Dafür sieht das Bundesteilhabegesetz eine Trennung von existenzsichernden Leistungen wie Miete und Lebenshaltungskosten auf der einen Seite und Fachleistungen der Eingliederungshilfe auf der anderen Seite vor. Das bringt aber auch mit sich, dass Behörden, gesetzliche Betreuer und sogenannte Casemanager neue Wege gehen müssen. Ganz individuell muss geschaut werden: Was braucht dieser Mensch an Unterstützung? Und woher bekommt er diese? Leistungskataloge und Arbeitsweisen müssen angepasst werden – und das dauert. Eine Bremer Plattform für barrierefreie Wohnungsangebote entsteht beispielsweise gerade erst.

Mehr Freiheiten im Alltag

Laura und Luzim aus dem Bremer Martinsclub fahren Bahn
Egal wie kompliziert es manchmal ist: Mit Bahn und Bus hält sich das Paar in der Stadt auf. Bild: Radio Bremen

Lulzim Berisha und Laura Valdez-Rennert haben eine enge Beziehung zu ihren Betreuern. Dennoch trauen sie sich zu, auch ohne sie klar zu kommen. "Wir wollen unseren Alltag gestalten: Einkaufen. Kochen. Spazieren gehen."

Lulzim Berisha sitzt mit seiner schweren Lähmung im Rollstuhl. Seine Freundin ist geistig behindert und sehr zierlich. Und trotzdem schaffen die beiden sehr viel ohne fremde Hilfe. Ob es ums Beantragen von Leistungen geht, oder darum, mit Bus und Bahn unterwegs zu sein. Beide haben gelernt, ihre Bedürfnisse mit Nachdruck zu äußern. Fast täglich sind sie mit Bus und Bahn unterwegs.

Neues Modell "Quartierswohnen"

Der Martinsclub gilt bundesweit als Vorreiter für das Modell Quartierswohnen. Erst allmählich beginnen auch andere Träger in Bremen diese Betreuungsform anzubieten. Es bietet auch Menschen, die viel Unterstützung brauchen, ein ambulantes Leistungsangebot.

Zwei solcher Quartierswohnungen stellt die Gewoba im Ellener Hof in Osterholz gerade fertig. Wenn das Paar also eine dieser Wohnung im Ellener Hof bezieht, steht es nicht ganz alleine da: Es gibt eine Quartierzentrale, eine Nachtwache und ein inklusives Freizeit- und Bildungsangebot –aber eben auch einen viel höheren Grad an Selbstbestimmung für die Bewohner als in einem klassischen Wohnheim.

Wird der Wunsch Realität?

Nach dem Besichtigungstermin bewirbt sich das Paar bei der Gewoba um das 74 Quadratmeter große Apartment. Platz, Privatsphäre, ein Erwachsenenleben, bisher ein Traum. Das, was politisch gewünscht und gesetzlich verankert ist, ist für viele Menschen mit Behinderung eben längst nicht Realität. Lulzim Berisha und Laura Valdez-Rennert aber wollen es schaffen. Jetzt müssen die beiden noch eine letzte Hürde nehmen: Alle Papiere und Leistungsanträge bewältigen.

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Bild: Radio Bremen

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Autorin

  • Lena Döring
    Lena Oldach

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 28. Mai 2024, 19:30 Uhr