Interview

Weltkindertag: Müll raus statt X-Box? Diese Rechte haben Bremer Kinder

Ein Mädchen bringt den Müll in die Mülltonne und hält sich dabei lachend die Nase zu.

Armut: Wie steht es um die Zukunft der Bremer Kinder?

Bild: dpa | Mascha Brichta

Seit gut drei Jahrzehnten gibt es internationale Kinderrechte. Was das im Alltag heißt, erklären Hannah Schröter und Yann Fingerhut vom Jugend- und Kinderbüro Bremen.

An diesem 20. September ist Weltkindertag. Er rückt jene Rechte in den Mittelpunkt, die seit mehr als drei Jahrzehnten für Kinder und Jugendliche gelten – und zwar in fast allen Staaten der Welt. In Bremen stehen diese Rechte sogar in der Verfassung. Warum das so wichtig ist, erklären Hannah Schröter und Yann Fingerhut vom Jugend- und Kinderbüro Bremen.

Frau Schröter, Herr Fingerhut, wenn Sie mit Kindern über deren Rechte sprechen, wonach fragen die am häufigsten – nach einem Recht auf Taschengeld, auf Süßigkeiten?

Schröter: Die Fragen kommen schon auch vor. Auch nach dem Recht auf eine X-Box und so weiter fragen manche. Die Kinder wissen aber schon, dass das keine Kinderrechte sind. (sie lacht)

Fingerhut: Wir bekommen auch E-Mails, wo wir gefragt werden, ob Eltern Kinder beleidigen dürfen oder im Haushalt mithelfen müssen.

Und, müssen sie?

Fingerhut: Ja. Kinderrechte sind Menschenrechte, die die besonderen Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen, damit sie sich ihrem Alter und ihrer Reife entsprechend einbringen können. Gleichzeitig haben Erwachsene eine Fürsorgepflicht und auch das letzte Wort. Sie müssen Entscheidungen treffen, mit denen die Kinder vielleicht nicht einverstanden sind. Und dazu zählt auch, dass Kinder ihrem Alter entsprechend zu Hause auch mal den Geschirrspüler ausräumen, staubsaugen oder den Müll rausbringen müssen.

Schröter: Das ist sogar in Paragraf 16 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt.

Und wie sieht es mit dem Recht auf Taschengeld aus?

Schröter: Ein Kinderrecht auf Taschengeld gibt es zwar nicht. Es gibt aber Empfehlungen, wieviel Geld Kinder bekommen sollten. Wichtig ist vor allem, dass Kinder daran beteiligt sind, wenn es gemeinsam mit den Eltern um die Höhe und Festlegung des Taschengelds geht.

Fingerhut: Der Hintergrund ist, dass Kinder lernen sollen, mit Geld umzugehen, einschätzen zu lernen, was kann ich mir leisten, was möchte ich mir leisten. Daher ist es wichtig, dass sie Taschengeld bekommen. Denn Eltern tragen die Verantwortung, sich um die Entwicklung ihres Kindes zu kümmern.

Was, wenn Eltern dieser Verantwortung nicht nachkommen können?

Schröter: Wenn die Eltern das nicht können, muss der Staat sich dafür einsetzen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Bremer "Freikarte", die Kindern und Jugendlichen in Bremen ab Oktober vergangenen Jahres automatisch zugesendet wurde. Mit deren Guthaben können sie an verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen. Für Familien, die unter den hohen Preissteigerungen gelitten haben, war das eine super Maßnahme.

Darüber hinaus gibt es ja auch zielgerichtete finanzielle Unterstützung, wenn Kinder beispielsweise unter der Armutsgrenze leben.

Bremen hat Kinderrechte sogar in der Landesverfassung verankert. Machen andere Bundesländer das auch?

Fingerhut: Es gibt bei Kinderrechten drei Kategorien: Schutzrechte, Förderrechte und Beteiligungsrechte. Schutzrechte wurden in Bremen schon vor Jahren als erste verankert. Das Recht auf Beteiligung kam 2021 dazu, ebenso wie der Kindeswohlvorrang. Wenn man sich so die Länderverfassungen in Deutschland anschaut, ist Bremen, neben Hessen, das einzige Bundesland, das inzwischen alle Grundprinzipien der Kinderrechte verankert hat.

Aufgesetztes Parken in Bremen am Sielwall. Zwei fahrradfahrende Kinder haben wenig Platz, um an den Autos vorbeizukommen.
Am Sielwall im Bremer Viertel wurden Parkplätze abgeschafft, um Kindern den Schulweg zu erleichtern. (Archivbild) Bild: Beatrix Wupperman

In Bremens Schule müssen Kinder beispielsweise angehört werden, wenn es um eine freiwillige Nicht-Versetzung geht. Auch bei Sorgerechtsverfahren müssen Kinder vom Gericht gehört werden. Wo spielen konkrete Kinderrechte im Alltag noch eine Rolle?

Schröter: Im Prinzip müssen Kinder und Jugendliche bei allen Dingen, die sie betreffen, beteiligt werden. Die Versetzung in der Schule ist ein Beispiel. Meinungen müssen aber auch gehört werden, wenn es um die Wahl von Hobbys geht. Will das Kind ein bestimmtes Instrument spielen? Will es lieber Sport machen?

Fingerhut: Ein anderes Beispiel ist die Religionserziehung. Ab 14 Jahren sind Kinder religionsmündig und können selber entscheiden, ob und welcher Religion sie angehören oder ob sie sich konfirmieren lassen oder was auch immer.

Schröter: Auch bei politischen Entscheidungen müssen Kinder gehört werden. Zum Beispiel bei der Stadtentwicklung. Wenn ein Spielplatz gebaut wird, dann werden auch Schulklassen oder Kindergartengruppen nach ihren Wünschen und Forderungen befragt und beteiligt.

Fingerhut: Kinder haben auch ein Recht auf Privatsphäre. Das eigene Zimmer darf nicht einfach so von den Eltern durchsucht, Tagebücher nicht gelesen werden. Eltern dürfen auch nicht einfach die Handy-Chats ihres Kindes durchstöbern.

Und was, wenn es doch passiert?

Schröter: Einschränkungen gibt es nur, wenn sich Eltern begründete Sorgen machen. Dann aber ist unsere Empfehlung, das nur in Absprache zu tun.

Die UN-Kinderrechtskonvention gilt in fast allen UN-Mitgliedstaaten – außer in den USA. Wieso ist das so?

Fingerhut: Da gibt es verschiedene Gründe für. Einer ist wohl die Befürchtung, dass Kinder in den USA vor amerikanische Gerichte ziehen könnten, um ihre Rechte einzuklagen. Das wird dann offenbar mit einer Einschränkung elterlicher Rechte gleichgesetzt.

Zwei Kinder demonstrieren mit Schildern.
Bei den Klimaprotesten der Bewegung Fridays for Future fordern tausende Kinder und Jugendliche ihre Rechte für eine nachhaltige Zukunft ein. Bild: dpa | Ole Spata

Passiert so etwas in Deutschland, dass Kinder ihre Rechte einklagen?

Schröter: Eher nicht. Was es allerdings schon gibt, sind Klagen gegen generelle Missstände. Ein Beispiel ist die Klimaschutzklage verschiedener Nicht-Regierungsorganisationen und Fridays for Future gegen die Bundesregierung. Hier hat das Bundesverfassungsgericht 2021 entschieden, dass das damalige Klimagesetz verfassungswidrig war, weil es im Zuge der 1,5-Grad-Politik die Freiheiten heutiger Generationen geschützt und gleichzeitig die Freiheiten zukünftiger Generationen zu Unrecht eingeschränkt hat.

Ist der Klimaschutz die größte Herausforderungen für Kinderrechte?

Fingerhut: Das ist jedenfalls ein Thema, was junge Menschen bewegt. Sie haben Sorge, nicht gehört zu werden. Für sie ist es oft frustrierend, wenn über Details und Kleinigkeiten gestritten wird, sie aber am Ende das Gefühl haben, die Welt geht in ein paar Jahren unter, wenn es so weiter geht.

Schröter: Eine andere zentrale Herausforderung ist die Finanzierung der Kinder- und Jugendarbeit. Da passt es leider nicht, wenn am heutigen Weltkindertag im Bundestag über geplante Kürzungen im Kinder- und Jugendplan des Bundes beraten wird…

…dem zentralen Förderinstrument für Kinder- und Jugendhilfe auf Bundeseben.

Schröter: Ja. Solche Kürzungen hätten zur Folge, dass viele Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit eingeschränkt werden müssen oder ganz wegfallen. Das sind am Ende Sparmaßnahmen, die sich negativ auf das Kinderrecht auf Spiel und Freizeit auswirken.

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Bild: Imago | Galoppfoto

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 20. September 2023, 06:36 Uhr