Wahl-Mobil Bremerhaven: Politiker wollen mehr Plätze für junge Leute

Wahl-Mobil aus dem Apollo Theater: Wohin entwickelt sich Bremerhaven?

Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Wohin steuert Bremerhaven? Das war gestern die Frage beim Wahl-Mobil. Sechs Politiker diskutierten über Wohnraum, Innenstadt und Lebensqualität – die wichtigsten Aussagen.

Nach den Themen Armut, Klimawandel, Innere Sicherheit und Bildung ging es beim Wahlmobil von buten un binnen nun um die Stadtentwicklung. Dazu fuhren Moderatorin Anja Goerz und das Team nach Bremerhaven-Geestemünde. Sie trafen auf fünf Politiker, eine Politikerin, ein munteres Publikum und viele offene Fragen von Bürgerinnen und Bürgern und den Meinungsmeldern von Radio Bremen. Was waren die wichtigsten Aussagen?

1 Stadtentwicklung

Fünf Männer stehen nebeneinander und halten Schaufeln mit Sand in der Hand.
2020 wurde im Stadtteil Wulsdorf ein neues Wohngebiet erschlossen. Wo und wie soll in der Stadt weiter gebaut werden? Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Für viele Bürgerinnen und Bürger steht Bremerhaven schlecht da: Es gibt viel Leerstand und ganze Problemviertel, andererseits viel Nachfrage nach Bauland oder besseren Wohnquartieren. Viele, die in Bremerhaven arbeiten, leben nicht hier und zahlen ihre Steuern im Umland. Die Infrastruktur rottet vielerorts vor sich hin. Ikonische Bilder wie die vom schiefen Molenturm oder der versunkenen "Seute Deern" wurden überregional bekannt.

Eines der Probleme der Stadt, das auch von den Radio-Bremen-Meinungsmeldern angesprochen wurde, sind die vielen Leerstände. Das sehen auch Bremerhavens Politiker so – zumal zugleich offenbar guter Wohnraum fehlt. "Es gibt 150 Problemimmobilien in Bremerhaven. Wir müssen mehr Immobilien aufkaufen, sanieren und entwickeln", fordert Bremerhavens SPD-Spitzenkandidat Martin Günthner. Und: Man müsse das "widerliche Spekulantentum" durchbrechen, das vom Verfallenlassen von Immobilien lebe. Kaufen: Schön und gut. Aber von wem? "Die Besitzverhältnisse sind oft schwierig, die Eigentümer kaum zu ermitteln", merkte FDP-Mann Hauke Hilz an. Mit Koalitionspartner Günthner war sich Hilz aber einig: Es sei, wie in der Goethestraße, durchaus viel erreicht worden.

Sanierte Fassaden in Bremerhaven Lehe weisen auf einen beginnenden Wandel im Goethequartier hin.
Ein Straßenzug in Bremerhaven-Lehe – hier gibt es immer wieder Probleme mit Eigentümern, die Immobilien verfallen lassen. Bild: dpa | Michael Bahlo

Muhlis Kocaaga (Linke) goss Wasser in den Wein: "Was wir in der Stadtverordnetenversammtlung gemacht haben, reicht nicht aus", sagte er. Er glaube, dass es noch viel mehr Problemimmobilien gibt, als die Statistik erfasst hat. Für Jan Timke (Bürger in Wut) fehlen vor allem Wohnungen mit Sozialbindung "und Wohnraum für Ottonormalverbraucher". Thorsten Raschen (CDU) sagte, die Sanierung bestehender Gebäude sei wichtig – doch man müsse auch die Bürger sehen, die sich andere Wohnformen wünschten. Damit dürfte er auch Einfamilienhäuser gemeint haben, für die er und seine Partei seit langem kämpfen. Sülmez Çolak forderte eine Sozialbindung für 30 Prozent der Wohnungen im neuen Werftquartier.

Mir ist wichtig, dass die Stadtgesellschaft nicht auseinanderdriftet in arme und reiche Stadtteile.

Sülmez Çolak, Grüne

Auf die Frage eines Meinungsmelders, ob sich die Politiker vorstellen könnten, alle Entscheidungen zur Stadtentwicklung unter einen Vorbehalt des Klimaschutzes zu stellen, herrschte weitgehend Einigkeit. Die Grünen, so Sülmez Çolak, hätten dies ausdrücklich so ins Wahlprogramm geschrieben. Thorsten Raschen (CDU) räumte ein: "Wir müssen alles klimafreundlicher machen. Wir sollten Leitlinien vorgeben. Immer nur mit Zwang – das geht nicht." Nur Jan Timke von den BIW lehnte einen Klimavorbehalt ab.

Wir brauchen keinen verbesserten Klimaschutz, sondern Arbeitsplätze. Wir können in Bremerhaven nicht die Welt retten.

Jan TImke, Bürger in Wut

2 Innenstadt

Das Thema Innenstadt bewegt die Bremerhavener seit Jahren. Für viele Meinungsmelder, nämlich 87 Prozent, ist hier der Leerstand ein großes Problem. Die Stadt hat mit dem Karstadt-Komplex die zentrale City-Immobilie erworben und plant Großes – ohne bisher zu wissen, wohin die Reise genau geht. Ohnehin: Einen Investor gibt es noch nicht. Das, merkte SPD-Mann Günthner an, sei in Zeiten von Zinshoch und hohen Baukosten auch schwierig. Inhaltlich blieb er vage: "Eine Mischung aus Leben, Wohnen, Arbeiten" schwebt Günthner für die Innenstadt vor. Muhlis Kocaaga (Linke) hatte zumindest einige konkrete Ideen: "Hinter der Großen Kirche einen Spielplatz statt des Parkplatzes", schlug er vor, und der Theodor-Heuss-Platz am Stadttheater solle begrünt werden.

Luftbild: Das ehemalige Karstadtgebäude in der Innenstadt Bremerhaven.
Der Karstadt-Komplex in der Bremerhavener Innenstadt soll noch 2023 abgerissen werden. Bild: Radio Bremen

Sülmez Çolak (Grüne) forderte, den Fahrradverkehr in die Innenstadt zu lassen und die Havenwelten zur Innenstadt hin zu öffnen: "Wir brauchen den Rückbau der Columbusstraße, die Innenstadt muss für die Kreuzfahrt-Touristen sichtbar sein" – damit touchierte sie einen der politischen Zankäpfel in der Stadt. Die Frage eines Besuchers, ob man in Bremerhaven vielleicht die Straßenbahn wiederbeleben sollte, beantwortete sie mit einem Ja: "Wenn sich das wirtschaftlich rechnet."

3 Lebensqualität und junge Stadt

"Von Oktober bis März gibt es nichts, was man hier unternehmen könnte": So krass drückte es ein Radio-Bremen-Meinungsmelder aus. 82 Prozent aller Meinungsmelder finden, dass es in der Stadt mehr Gastronomie geben müsse. Das sehen auch Muhlis Kocaaga und Martin Günthner so. Der SPD-Politiker nahm dazu aber auch die Bürgerinnen und Bürger als Kunden in die Pflicht: "Kneipen brauchen Kneipiers, die investieren." Das gehe aber nicht ohne Gäste, die die Lokale regelmäßig besuchten. Thorsten Raschen sagte, die Stadt stehe "nicht so schlecht da".

Wir haben ein gutes Stadttheater, die Pinguins und gute touristische Angebote, die ja auch für die Einwohner gemacht sind.

Thorsten Raschen, CDU
Eine leere Straße in der Innenstadt
Für das Zentrum wünscht sich die Bremerhavener Politik mehr Orte für Jugendliche. Bild: Radio Bremen | Boris Hellmers

Ist Bremerhaven eine Stadt für junge Leute? Wenn man den jungen Leuten zuhört, fehlt da noch vieles. Auch während des Stadtteil-Talks meldeten sie sich zu Wort. Über die sozialen Medien sagte eine Nutzerin, sie nehme Bremerhaven als alte Stadt wahr. Jan Timke (BIW) mahnte zunächst an, sich um einen "nicht unerheblichen Teil" der Jugendlichen in der Innenstadt zu kümmern, der "mit Straftaten und Störaktionen" auffällig werde: "Wir müssen einen Platz schaffen, wo wir mit diesen jungen Leuten arbeiten können". Gegenwind kam sogleich von links von ihm: "Ich finde es sehr schade, dass dann, wenn über Jugendliche geredet wird, im ersten Atemzug gleich auf die Straffälligkeit in der Stadt Bezug genommen wird", erwiderte Sülmez Çolak: "Ich bin fast jeden Tag in der Innenstadt. Aber ich habe noch nie gesehen, dass dort ein Jugendlicher randaliert hat."

Einig waren sich die Politiker, dass in der Stadt, insbesondere im Zentrum, mehr Plätze für Jugendliche geschaffen werden müssen. Für Hauke Hilz sind die Jugendeinrichtungen in den Stadtteilen wichtig, Martin Günthner bezweifelte, ob die Öffnungszeiten der Jugendeinrichtungen noch zeitgemäß seien – und merkte mit einem Blick in die Runde an, dass man bei "jungen Themen" die Betroffenen besser selbst fragen sollte:

Alle, die über eine gewisse Altersgruppe hinaus sind, sind schlechte Ratgeber.

Martin Günthner, SPD

4 Die besten und schlechtesten Schätzungen

Der bremerhavener Molenturm in Schieflage.
Wie schief war der Bremerhavener Molenturm zuletzt? Es waren "nur" 8 Grad. Bild: Radio Bremen

Die Schätzfragen gehören fest zu den Stadtteil-Talks des Wahlmobils. Einigermaßen gut lagen nur Sülmez Çolak und Hauke Hilz bei der Entfernung vom Bremer Rathaus zum Stadthaus Bremerhaven – es sind 55,5 Kilometer Luftlinie. Am weitesten daneben lagen Sülmez Çolak bei der Zahl der Tiere im Zoo am Meer (es sind 1.045 statt geschätzten 200.000), Muhlis Kocaaga und Thorsten Raschen bei der Zahl der jährlichen Übernachtungen in Bremerhaven (408.000 statt 100.000 beziehungsweise 80.000) und Sülmez Çolak und Hauke Hilz bei der Schätzung des Schiefe-Grades des zerfallenen Molenturms (es waren "nur" 8 Grad, nicht 17 oder 85).

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 3. Mai 2023, 19.30 Uhr