Infografik

Innenstadt, Eigenheime, Bildung: Wie geht Bremerhaven in die Zukunft?

Die Innenstadt von Bremerhaven
Bild: dpa | Sina Schuldt

Was macht eine Stadt lebenswert? Das ist ein weites Feld und fordert viele Kommunen. Wie sieht Bremerhaven seine Zukunft? Am Dienstag besucht das Wahl-Mobil die Stadt.

Die Zahlen haben es in sich: 46 Prozent der Menschen, die in Bremerhaven arbeiten, wohnen nicht dort. Sie leben im Umland und sind auch dort steuerpflichtig. Seit 2002 stieg diese Zahl laut Arbeitnehmerkammer um fast 28 Prozent. Diese Quote ist im Bundesvergleich nicht übermäßig hoch.

Aber: Je besser die Menschen bezahlt werden, umso eher ziehen sie raus oder gar nicht erst hierher. Dieser Anteil ist in Bremerhaven besonders hoch. Lehrerinnen und Lehrer, Beamte, höherer Dienst: Eine teils deutliche Mehrheit dieser Gutverdiener will nicht in der Stadt leben. Warum nicht? Ein Blick auf die Zukunftsbaustellen und die Lebensqualität in Bremerhaven.

Ein- und Auspendler Bremerhaven

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Großbaustelle Innenstadt

Die größte Baustelle ist zugleich das Herz der Stadt. Bremerhavens Fußgängerzone zieht sich parallel zur Weser über fast einen Kilometer die Bürgermeister-Smidt-Straße entlang, dazu kommen Nebenstraßen und als zweite Ebene die große Shopping-Mall des Columbus-Centers. In allen Bereichen ist viel Leerstand sichtbar. Mit Karstadt und Saturn schlossen auch die wichtigsten Ankermieter. Dieses Jahr soll die riesige Karstadt-Immobilie abgerissen werden, der Bereich wird komplett neu gestaltet.

Blick in die Bürgermeister-Smidt-Straße, die Haupteinkaufsstraße in der Innenstadt von Bremerhaven.
Die "Bürger" ist Bremerhavens Haupteinkaufsmeile. Seit dem Weggang zweier Handels-Riesen hat die Innenstadt besonders zu kämpfen. Bild: Imago | Chromorange

Was sich damit aber nicht ändern lässt: Bremerhaven ist die Stadt mit der zweitniedrigsten Kaufkraft in Deutschland. Sie steht mit 80,8 Prozent des bundesweiten Kaufkraft-Durchschnitts nur etwas besser da als Schlusslicht Gelsenkirchen (Bauer Research, 2021). Auch hier zeigt sich: Wer viel verdient, lebt eher nicht in Bremerhaven. Für Bürgermeister Melf Grantz (SPD) ist diese Zahl aber zu kurz gegriffen. Bremerhaven sei Oberzentrum für rund 300.000 Einwohner – die Kaufkraft dieser erweiterten Region liege natürlich höher als nur im Stadtgebiet.

Darum gibt die Stadt ihre City nicht verloren. Sie hat die Karstadt-Immobilie selbst erworben und schafft dort Raum für Neues. Was genau das sein wird, weiß die Stadt noch nicht – die Einwohner hätten da schon Ideen. In einer aktuellen repräsentativen Umfrage im Auftrag von Radio Bremen und der Nordsee-Zeitung wünschten sich zwei Drittel mehr Einkaufsmöglichkeiten.

Eine Animation zeigt helle weiße Gebäude, davor sitzen Menschen an Tischen.
So könnte es rund um das Karstadt-Areal künftig aussehen. Bild: Andreas Heller Architects & Designers

Danach kamen, mit etwa 50 Prozent Zustimmung, Ordnung und Sauberkeit, bessere gastronomische und kulturelle Angebote und mehr Grünflächen und Verweilmöglichkeiten. Aber: Heißt das Primark oder Prada, Fast Food oder Sushi, Oper oder Disko? Spannend dürfte sein, wie verschieden sich die Erwartungen bei den heterogenen Bevölkerungsschichten im Großraum entwickeln.

Ein anderes City-Thema ist ein politischer Zankapfel: der Verkehr. Zum Beispiel in der Frage eines Rückbaus der bis zu sechsspurigen Columbusstraße, die die Innenstadt von den beliebten Havenwelten trennt. Gegen einen Rückbau der mächtigen Trasse wehrt sich die CDU. Nun gibt es Ideen, sie mit mehr Übergängen durchlässiger für Passanten zu machen. Beschlossen ist aber noch nichts. Bei den Befragten war das Thema "Innenstadt-Verkehr" aber nur für ein Viertel der Menschen wichtig.

Großbaustelle Siedlungsflächen

Entwürfe zeigen das geplante Werftquartier in Bremerhaven.
So könnte das neue "Werftquartier" auf einer ehemaligen Industriefläche im Stadtteil Geestemünde aussehen. Bild: Radio Bremen

Dass viele Gutverdiener nicht im Stadtgebiet leben, könnte daran liegen, dass sie in Bremerhaven keine angemessenen Wohnungen, Häuser oder Grundstücke finden.

Auf dem "Werftquartier" in Geestemünde soll bald hochwertiger Wohnraum in urbanem Umfeld geschaffen werden: Ein Leuchtturmprojekt, das an die Erfolge der kubistischen Exklusiv-Bebauung rund um den Neuen Hafen anschließen soll – plus viel Nachhaltigkeit, konzipiert von einem dänischen Architektenbüro, als Zielgruppe eher Besserverdienende.

Für Familien will die Stadt an anderer Stelle Raum schaffen. Das einstige Kleingartengebiet "Ackmann" soll zu einem ruhigen Baugebiet für Ein- und Mehrfamilienhäuser umgewidmet werden. Damit, so CDU-Stadtfraktionschef Thorsten Raschen, könne man Schlimmeres verhindern.

Entweder wir bieten Familien Grundstücke in Bremerhaven an oder sie verlassen die Stadt und bezahlen damit ihre Steuern im Umland.

Thorsten Raschen, CDU-Fraktionschef in der Stadtverordnetenversammlung

Auch die Koalitionspartner SPD und FDP stehen hinter dem Projekt.

Doch hier gibt es Gegenwind. Nicht nur für die Linken und die Grünen, die statt dessen für Klimaschutzsiedlungen plädieren. Auch zahlreiche Anwohner haben sich lautstark gegen das Bauprojekt gewendet. Mittlerweile gibt es eine Bürgerinitiative gegen das Baugebiet. Sie kritisiert auch, dass die Bevölkerung nicht von Anfang an in die Planungen eingebunden wurde.

Transparente gegen die Bebbauung der Neuen Aue.
Gegen den Ausbau der "Neuen Aue" gab es massive Proteste. Bild: Radio Bremen

Vielen in der Stadt dürfte das bekannt vorkommen: Bereits 2018 wandten sich Bürgerinnen und Bürger gegen die schon weit geplante Bebauung eines Kleingartengebiets. Nach lautstarken Protesten musste das Projekt "Neue Aue" begraben werden. Viele Bürger fühlten sich viel zu spät informiert. Ist eine aktiver betriebene Bürgerbeteiligung vielleicht also auch ein Schlüssel zur Zukunft?

Der weiße Elefant: Bildung

Der Umbau der Innenstadt, die Schaffung innovativer Quartiere, das Angebot von Siedlungsflächen gegen die Stadtflucht: Das sind quasi die Zukunftsfragen aus Beton. Direkt daneben stehen wichtige weiche Themen. Auf einer Stadtteilkonferenz im Dezember ging es eigentlich um das Thema Bauen. Ein erboster Besucher rief einen anderen Punkt auf:

Nicht Bauland ist das Problem. Die Kinder brauchen gute Schulen. Dauernd fällt hier Unterricht aus.

Ein Besucher der Stadtteilkonferenz Lehe

Damit sprach er einen weißen Elefanten an. Dass Familien nicht nach Bremerhaven ziehen, um ihre Kinder auf niedersächsische Schulen schicken zu können, kann in Bremerhaven fast jeder berichten. Dass die Bildung ein Grund für die Stadtflucht sein könnte, hat aber kaum je ein Politiker offen zugegeben. Pisa- und andere Studien fällen aber klare Urteile über das landbremische Bildungssystem.

Eine Schulklasse
In Bremerhaven sind fast fünf Prozent der Lehrerstellen unbesetzt. Bild: Radio Bremen

Bremerhaven hat darüber hinaus – trotz größter Anstrengungen – noch einen Extra-Nachteil: Ende 2022 fehlten 66 Lehrer bei 1.339 Stellen, also fast fünf Prozent. In der Stadt Bremen liegt die Fehlquote nur bei 1,7 Prozent.

Die große Wende ist noch nicht in Sicht

Es gibt noch viele weitere Aspekte, die über die Attraktivität einer Stadt entscheiden. Zum Beispiel die "junge Stadt", die sich viele Bremerhavenerinnen und Bremerhavener wünschen: Bremerhaven könnte die einzige Großstadt ohne Club sein. Oder das Thema Verkehrswende, bei dem Bremerhaven als sehr konservativ gilt und eher in Trippelschritten vorangeht. Wer etwa in Bremen die Vorzüge einer Fahrradstadt genießt, kann in Bremerhaven das genaue Gegenteil erleben.

Auf vielen Baustellen sind Stadt und Land schon aktiv. Die rührige Städtische Wohnungsgesellschaft (Stäwog) ist für mehrere Projekte mit neuen Wohnformen preisgekrönt, Die Hochschule Bremerhaven will mit einer deutlichen Erhöhung der Studienplatz-Zahlen und innovativen Studiengängen mehr junge Leute an die Küste ziehen. Auch auf ganz anderen Feldern wie der Kultur unterstützt die Stadt Neues und fördert die Vielfalt.

Die große Wende aber ist noch nicht in Sicht.

Autor/Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. Mai 2023, 19.30 Uhr