Bremer Kokain-Prozess gibt Einblicke in die Arbeit der Drogenmafia

Drogenprozess: Bremer Landgericht fällt Urteil im ersten SkyECC-Fall

Bild: Radio Bremen | Fenja Holsten

Beim Verfahren am Bremer Landgericht wurden erstmals Daten des verschlüsselten Messenger-Dienstes "SkyECC" ausgewertet. Der Hauptangeklagte wurde zu neun Jahren Haft verurteilt.

Diese Geschichte beginnt mit einer Entdeckung, die belgische Ermittler wohl zufällig in Antwerpen machen. Bei einer Drogenrazzia im Hafen finden sie Telefone mit der Verschlüsselungs-App "SkyECC". Auch in anderen Verfahren organisierter Kriminalität war dieser Messenger-Dienst schon aufgefallen. Und so vermuten die Ermittler, dass mithilfe des Chatprogramms Drogengeschäfte abgewickelt werden.

Die Belgier schließen sich mit niederländischen und französischen Kollegen zusammen. Nach jahrelanger Arbeit gelingt es ihnen, die Server zu knacken, auch Gruppenchats können sie heimlich mitlesen. Nach eigenen Angaben fangen die Ermittler rund eine Milliarde Nachrichten von 170.000 Nutzern ab.

"Außergewöhnliches Verfahren"

2021 gibt Europol dann öffentlich bekannt, den Messengerdienst geknackt zu haben. Europaweit kommt es zu Anklagen und Verurteilungen. Nun haben diese Ermittlungen auch am Bremer Landgericht zu einem ersten Urteil geführt. Der Hauptangeklagte ist zu neun Jahren Haft verurteilt worden, ein Gehilfe zu zwei Jahren und zehn Monaten, drei weitere Angeklagte werden freigesprochen.

"Ein außergewöhnliches Verfahren geht heute zu Ende", mit diesen Worten beginnt der Vorsitzende Richter Jan Stegemann seine etwa anderthalbstündige Urteilsbegründung. Außergewöhnlich sei einerseits die schiere Menge an Drogen, um die es hier geht: 1.200 Kilogramm Kokain, die größte je in Bremen verhandelte Summe.

Direkter Kontakt zum Drogen-Broker

Außergewöhnlich ist auch, wie nah die Ermittler dieses Mal den Hintermännern der Drogengeschäfte gekommen sind. Denn der 40 Jahre alte Hauptangeklagte stand in direktem Kontakt mit einem Kokain-Broker in Belgien. Von diesen Brokern gibt es offenbar nur sehr wenige. Sie organisieren den Handel mit den Kartellen in Südamerika.

Das alles wissen die Ermittler dank der "SkyECC"-Daten, die auch erfahrenen Ermittlern noch Neues verraten. Die Kriminalhauptkommissarin Renate M. etwa kümmert sich seit Jahren beim Bundeskriminalamt um Organisierte Kriminalität. An einem Verhandlungstag Anfang Januar sagt sie im Bremer Verfahren als Zeugin aus.

Ein "Datenschatz" für Ermittler

Ein wahrer "Datenschatz" seien die Chats, so die BKA-Frau. Die Kriminellen hätten sich sicher gefühlt, hätten offen kommuniziert. So konnten die Ermittler mitlesen, nachvollziehen, wie die Deals abliefen: Von der Bestellung bis hin zu den Fotos von Sektflaschen, die nach einem erfolgreichen Deal im Chat gepostet wurden.

Oft bedienen sich die Banden dabei legaler Firmen, um ihre Drogengeschäfte zu verschleiern. So war es auch im Bremer Fall. Die Firmen bestellten in Südamerika echte Waren: Zitronen, Fliesen oder Speisesalz. Versteckt in diesen Containern gelangte das Kokain unauffällig nach Europa. So gut getarnt, dass die illegale Ladung von Scannern am Hafen nicht erkannt wurde.

Kokain wurde getarnt als Zitronen, Fliesen, Speisesalz

Interessant war auch für die langjährige BKA-Ermittlerin, wie arbeitsteilig die verschiedenen Mafia-Organisationen im internationalen Drogenhandel zusammenarbeiten. Da bestelle keineswegs jede kriminelle Organisation für sich, so die Ermittlerin. "Wenn es um richtig viel Rauschgift ging, haben die alle zusammengearbeitet."

Im Bremer Verfahren wurde der Broker, der die Drogen in Südamerika beschaffte, nur "42" genannt – nach den Endziffern seiner "SkyECC"-Kennung. "42" operierte offenbar von Belgien aus. Der Hauptangeklagte in Bremen stand mit dem Hintermann im ständigen Kontakt, koordinierte für den Broker die Deutschland-Geschäfte.

Skrupellose Hintermänner

Und obwohl der Hauptangeklagte gegen Ende des Bremer Verfahrens umfassend und über Tage auspackt, verrät er eines nicht: Wer genau sich hinter "42" verbirgt. Aus gutem Grund: Die Hintermänner der Drogenmafia gelten als äußerst skrupellos.

Doch wie finden die Drogenbosse immer neue Menschen, die sich auf solche Geschäfte einlassen? Die Fälle der beiden nun in Bremen Verurteilten zeigen das beispielhaft. Der Hauptangeklagte etwa: ein intelligenter, gut ausgebildeter Mann, der in seiner Heimat Albanien als Anwalt arbeitete.

Angeklagte handelten aus Geldnot

Wegen der Korruption dort verließ er seine Heimat, versuchte sein Glück in Deutschland. Hier gründete er eine Baufirma, doch dann wurde er von seinem Geschäftspartner übers Ohr gehauen, hatte Geldprobleme. Da kam ein alter Bekannter aus Albanien auf ihn zu: Ob er nicht für ihn arbeiten wolle. Für 5.000 Euro Monatsgehalt koordinierte er nun die Drogengeschäfte der Mafia.

Oder das Beispiel seines Gehilfen, ein Landwirt aus Kolumbien, der seine Vorgeschichte vor Gericht so beschrieb: Wegen des Klimawandels seien die Ernten schlechter ausgefallen, gleichzeitig wurde das Saatgut teurer. Der Mann hoffte auf Besserung, lieh sich bei den falschen Leuten Geld, konnte die Schulden nicht zurückzahlen. Damit war er dem Kartell ausgeliefert. Der einzige Ausweg: Er sollte nach Europa fliegen, eine Drogenlieferung nach Hamburg überwachen. Hier ging er deutschen Fahndern ins Netz.

Staatsanwaltschaft prüft weitere Daten

Dass die Ermittler bei "SkyECC" in derart großem Stil verschlüsselte Kommunikation abschöpften, hatte erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ausgelöst. Doch die sind wohl – ähnlich wie beim Vorgänger-Dienst Encrochat – ausgeräumt. Schon im Januar dieses Jahres hatte der Bundesgerichtshof keine Bedenken, die Daten zu verwerten. Auf diese Entscheidung hat sich nun auch das Bremer Landgericht bezogen.

Möglicherweise kommen auf die Bremer Justiz bald weitere Verfahren zu. Kürzlich sei ein größeres Paket mit "SkyECC"-Daten bei der Bremer Staatsanwaltschaft eingegangen, bestätigt Sprecher Frank Passade auf Nachfrage von buten un binnen. Dieses werde nun geprüft. Ob und in welchem Umfang daraus Anklagen entstehen, könne man zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Die Verfahren im Zusammenhang mit dem Messenger-Dienst Encrochat hatten Staatsanwaltschaft und Landgericht über viele Jahre massiv belastet. Ob "SkyECC" ein ähnliches Ausmaß erreichen wird, bezweifeln inzwischen viele in der Bremer Justiz. Trotzdem ist es gut möglich, dass am Bremer Landgericht schon bald weitere "SkyECC"-Verfahren starten – mit weiteren Einblicken in die Arbeit der internationalen Drogenmafia.

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Autor

  • Steffen Hudemann
    Steffen Hudemann Autor

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. Mai 2025, 19:30 Uhr