Warum Bremer Gerichtsprozesse in einer Lagerhalle verhandelt werden

Darum verhandelt das Bremer Landgericht jetzt in einer Gewerbehalle

Bild: Radio Bremen

Im Gerichtsgebäude an der Domsheide fehlt es an großen Sitzungssälen, deswegen hat Bremen einen Saal in Kattenturm angemietet. Industrieatmosphäre statt ehrwürdige Hallen – ein Besuch.

Es ist keine Umgebung, in der man einen Gerichtssaal vermuten würde. Auf der einen Seite lagert ein Großhändler für Lacke und Farben seine Paletten, auf der anderen hat ein Messeausstatter seine Räume und oben drüber dröhnen startende Maschinen vom nahen Flughafen. Aber das Schild vor dem roten Backsteinbau in Bremen-Kattenturm lässt keinen Zweifel: Hier befindet sich neuerdings der Sitzungssaal "Sielhof" des Bremer Landgerichts.

Sitzungssaal des Landgerichts Bremen Hinterm Sielhof
Von außen sieht das rote Backsteingebäude nicht wirklich nach einem Gerichtssaal aus. Bild: Radio Bremen

Der Kontrast zum ehrwürdigen Gerichtsgebäude an der Domsheide könnte kaum größer sein, trotzdem ist Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD) froh über den neuen Saal: "Die Verfahren werden immer größer. Wir haben oft mehrere Angeklagte, dazu Verteidiger, Dolmetscher, Sachverständige. Wir hatten eine Not an Sitzungssälen und brauchten Raum, den wir hiermit geschaffen haben." 150.000 Euro Miete zahlt Bremen pro Jahr, einmalig musste das Ressort 350.000 Euro investieren. Und niemand kann behaupten, dass die Justiz hier geprotzt hätte. Auf den Fluren hängt noch manches Kabel aus der Wand, auf einen neuen Anstrich der Wände hat das Justizressort verzichtet. Auch der fensterlose Saal ist äußerst funktional eingerichtet: Tische, Stühle, Mikrofone und Monitore, eine schalldämpfende Decke. Kein Schmuck, kein Schnickschnack, keinerlei Infrastruktur.

Kein Garderobenständer, kein Kaffeeautomat

Das jedenfalls beklagen die Verteidiger, die an diesem Tag zur Verhandlung gekommen sind. Sechs Bauunternehmer sind angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Millionenhöhe hinterzogen zu haben. Es ist eines der Verfahren, das nun öfter in der neuen Außenstelle verhandelt werden soll.

Draußen hat es geregnet. Eine Anwältin breitet ihre Regenjacke über zwei Stühle aus. An einen Garderobenständer hat niemand gedacht. Auch einen Kaffeeautomaten oder andere Annehmlichkeiten sucht man hier vergeblich. Der Staatsanwalt ist vorbereitet. Er hat sich immerhin eine Thermosflasche mit zur Verhandlung gebracht. Thorsten Prange, der Pressesprecher des Landgerichts, weiß, "dass wir hier und da noch nachrüsten müssen". Klar, würde auch jeder der Richter lieber in der Innenstadt verhandeln, sagt Prange. "Das ist schon eine Umgewöhnung." Trotzdem sei der neue Saal "alternativlos". Denn die Kapazitäten im Landgericht seien schon lange überschritten.

Monatelang hat das Justizressort nach Räumen gesucht

Waren es im Jahr 2012 noch 170 erstinstanzliche Strafverfahren, lag die Zahl im vergangenen Jahr schon bei 280. Verantwortlich dafür sind vor allem die vielen sogenannten Encrochat-Prozesse. Ermittler hatten den Dienst über den Kriminelle, vor allem Drogenhändler, kommuniziert hatten, vor einigen Jahren geknackt. Jetzt hat es das Landgericht mit einer Vielzahl dieser Verfahren zu tun, jedes in der Regel mit gleich mehreren Angeklagten.

Im Landgericht ist kein Platz mehr für neue Säle, vor allem an großen Räumlichkeiten fehlt es. Während der Pandemie ist das Gericht ausgewichen: In die Messehalle oder die Glocke, auch in der Turnhalle der JVA wurde schon verhandelt. Doch eine dauerhafte Lösung war das alles nicht. Monatelang hat das Justizressort gesucht: "Wir haben unglaubliche viele Möglichkeiten in Erwägung gezogen", sagt Schilling. "Wir haben mit Investoren gesprochen, mit der WFB gesprochen, mit allen gesprochen, die wir uns denken konnten." Ein ehemaliger Baumarkt war in der engeren Auswahl. Sogar über Zelte habe das Justizressort nachgedacht. Am Ende bekam dann die Gewerbehalle in Kattenturm den Zuschlag.

Sitzungssaal des Landgerichts Bremen Hinterm Sielhof
Der leere Sitzungssaal "Sielhof". Bild: Radio Bremen

Dort werden nun die Angeklagten in den Saal gebracht. Drei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. "Wir können hier die Sicherheit gewährleisten, das war ein wichtiger Punkt", sagt die Justizsenatorin. Der Gefangentransporter kann auf eine gesonderte Fläche im Hof fahren. Auf einer alten Lagerfläche im Erdgeschoss stehen nun einige je acht Quadratmeter große Baucontainer, die zu Haftzellen umfunktioniert wurden. Hier können sich die Gefangenen in Verhandlungspausen aufhalten und sich mit ihren Anwälten beraten.

Ein Anwalt sagt, der Ort sei "würdelos"

Einer der Angeklagten wird im Rollstuhl in den Saal gefahren. Auch die Barrierefreiheit habe eine Rolle bei der Immobiliensuche gespielt, sagt die Senatorin. Die Verteidiger überzeugt das noch nicht. Bei der ersten Verhandlung im April hätten alle gefroren. Stundenlange Verhandlungen ohne Tageslicht seien nur schwer zumutbar. Insgesamt sei es "würdelos" hier zu verhandeln, sagt einer der Anwälte. Die Bremer Justiz verliere auf diese Weise an Respekt und Ansehen.

Doch Richterinnen und Richter, Anwälte und Öffentlichkeit werden sich an den Saal gewöhnen müssen. Er ist ein Provisorium, das erstmal bleiben wird. Für fünf Jahre läuft der Mietvertrag, zweimal kann die Bremer Justiz ihn um drei Jahre verlängern. Und im Moment deutet nichts darauf hin, dass das Landgericht so schnell auf ihn verzichten kann.

Autor

  • Steffen Hudemann
    Steffen Hudemann Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. Mai 2023, 19.30 Uhr