Bremer Hirnforscher kritisiert Strategie radikaler Klimaaktivisten

Eine Frau und ein Mann in orangener Weste kleben mit einer Hand an der Wand in einem Museum. An der Wand hängt ein Gemälde, das mit Farbe beschmiert wurde.

Bremer Hirnforscher kritisiert Strategie radikaler Klimaaktivisten

Bild: dpa | ABACA
  • Schockierende Aktionen schrecken Menschen laut Forscher ab.
  • Gehirn belohnt das "Weitermachen" mit Botenstoffen.
  • Menschen müssten erfahren, dass es beim Klima um sie selbst geht.

Die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" sind mit ihren Aktionen stark in die Kritik geraten. Der überregional bekannte Neurowissenschaftler Gerhard Roth aus Bremen nimmt die Aktivisten in Schutz, stellt aber deren Strategie in Frage: Die Aktivisten "generell zu verteufeln" sei falsch, sagte Roth dem Evanglischen Pressedienst (epd). Aber man müsse ihnen deutlich machen, dass Aktionen, wie das Festkleben auf Straßen und das Beschmieren von Kunstwerken, psychologisch das Gegenteil von dem bewirkten, was sie eigentlich erreichen wollen.

"Ihre Ziele sind ja absolut ehrenwert", sagte Roth. Aber die Deutschen träumten von einer "sanften Revolution". Das könne man auch mathematisch ausdrücken: "Dieselbe Menge an Veränderungsenergie kann plötzlich in einem lauten Knall losgehen, was meist unwirksam ist", sagte Roth und ergänzte: "Oder eben zeitlich gestreckter, was psychologisch wirksamer ist, vorausgesetzt man behält den Schwung bei."

Fatale hirnphysiologische Tendenz

Selbstverständlich gehöre zu den Schock-Kämpfern ein Elitedenken und ein Sendungsbewusstsein, sagte der Wissenschaftler weiter, nämlich die Überzeugung, dass sie die Einzigen seien, die wüssten, was zu tun ist. Das führe zu einer Haltung, dass der Zweck die Mittel heiligt. Doch Radikalität des Denkens und Handelns sei immer auch ein Mittel zur Selbstverherrlichung, Teil eines Ego-Trips, sagt Roth.

Radikale Aktionen erregten zwar große Aufmerksamkeit, aber sie gingen meistens "nach hinten los". Denn aus hirnphysiologischer Sicht gebe es beim Menschen eine tief verwurzelte Tendenz zum "Weitermachen wie bisher". Das Festhalten an Gewohnheiten werde vom Gehirn durch das Ausschütten von Belohnungsstoffen verstärkt. "Das dämpft Änderungs- und Zukunftsängste, die gerade in Deutschland stark verbreitet sind." Die allerdings seien mit Blick auf die Klimakrise fatal.

Belohnung muss größer sein als Wunsch zum Weitermachen

Jeder Aufruf zur Verhaltensänderung müsse deshalb eine Belohnung in Aussicht stellen, die größer sei als durch das "Weitermachen wie bisher". Am längsten wirke die mit sozialer Anerkennung verwobene intrinsische Belohnung, "die Freude am Gelingen". Bürgerinnen und Bürger müssten sofort erkennen können, dass es um sie gehe – und was sie persönlich davon haben. "Es geht um kleine Schritte, um glaubwürdige Vorbilder." Überdies müssten gerade in Krisensituationen Ohnmachtsgefühle bekämpft werden wie "es ist zu spät, wir können ja doch nicht mehr machen".

Zuletzt waren die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" massiv in die Kritik geraten, als es am vergangenen Montag in Berlin einen schweren Unfall gegeben hat. In dessen Folge starb eine 44-jährige Radfahrerin. Ein Spezialfahrzeug, das helfen sollte, die Verletzte unter dem Lastwagen zu befreien, stand nach Angaben der Feuerwehr in einem Stau. Zunächste hatte es Meldungen gegeben, wonach dieser durch eine Aktion der Klima-Protestgruppe "Letzte Generation" ausgelöst worden sein soll. Ein Zeitungsbericht zitierte später aber die Notärztin von vor Ort mit einer gegenteiligen Einschätzung. Demnach soll es keine Auswirkungen auf die Rettung der Radfahrerin gehabt haben, dass der Feuerwehrwagen nicht zur Verfügung stand.

  • Bremerhavener Klimaforscher: "Der Handlungsdruck ist groß"

    Hans-Otto Pörtner ist Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Wir haben mit ihm über seine Hoffnungen und Erwartungen an die Weltklimakonferenz gesprochen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 7. November 2022, 23:30 Uhr