Interview

Eine Nacht drüber schlafen – hilft das wirklich?

Eine Frau sitzt nachdenklich auf ihrem Bett

Wie schlafen uns bei schwierigen Entscheidungen helfen kann

Bild: dpa | Westend61/ Olga Rolencino

Ob Schlaf wirklich bei wichtigen Entscheidungen helfen kann und was die Schlafqualität damit zu tun hat, erklärt der Philosoph Michael Pauen.

Herr Pauen, bei der Thematik geht es ja auch um das Verhältnis vom geistigen und körperlichen Zustand des Menschen. Was passiert im Schlaf mit unserem Gehirn?

Im Schlaf gewinnen wir Abstand zu dem, was vorher passiert ist. Das bedeutet, unsere Emotionen werden zurückgefahren und der Stress nimmt ab. Es ist gut, Abstand zur emotionalen Erregung über Schlaf zu bekommen, um die ganze Sache mit neuen Augen betrachten zu können.

Spielt also wirklich der Schlaf eine Rolle bei der Problemlösung?

Ja, Schlaf spielt eine Rolle. Wenn wir uns zum Beispiel in einem bestimmten Lösungsversuch festgefahren haben, dann kann man nach dem Schlafen und nachdem man auch Abstand von der Frage gewonnen hat, einfach nochmal etwas Neues versuchen.

Dann gibt es aber noch einen ganz wichtigen Punkt: Schlaf dient auch der Reorganisation unseres Gedächtnisses. Das bedeutet, dass wir im Schlaf möglicherweise Erinnerungen mobilisieren können, die wir vor dem Schlafen nicht mobilisiert haben.

Glauben Sie, dass man den Spruch "Schlaf mal eine Nacht drüber" auf jede Situation anwenden kann?

Auf jede nicht, aber es gibt ziemlich viele Situationen, in denen das hilft. Zum Beispiel, wenn wir emotional sehr stark erregt waren, weil man dann eben in Ruhe darüber nachdenken kann. Das bedeutet, dass man Lösungsoptionen erwägen kann, die einem in dem Erregungszustand entweder gar nicht einfallen oder die man ablehnt. Wenn man sich mit jemandem gestritten hat, kommt einem die Lösung nicht in den Sinn, wenn man sehr emotional ist. Wenn man etwas Ruhe gewonnen hat, erscheint sie einem dann schon eher angebracht. Die Optionen, die einem nicht eingefallen sind, stehen einem möglicherweise nach dem Schlaf zur Verfügung.

Es gibt Indizien dafür, dass mangelnder Schlaf die Reorganisation des Gedächtnisses im Schlaf behindern kann.

Prof. Dr. Michael Pauen, Philosoph und Professor an der Humboldt-Universität Berlin

Sagt unser Schlafverhalten auch etwas über unsere Problemlösungen aus, vor allem in Bezug auf Schlafmangel oder schlechten Schlaf?

Es gibt Indizien dafür, dass mangelnder Schlaf die Reorganisation des Gedächtnisses im Schlaf behindern kann. Abgesehen davon, dass Schlafmangel allgemein schlecht ist und unsere kognitiven Leistungen beeinträchtigt. Selbst wenn es um Probleme geht, mit denen wir uns schon vor dem Schlafengehen beschäftigt haben.

Wie kann ich denn überhaupt gut einschlafen, wenn ich gerade in einem Gedankenchaos bin und über ein Problem nachdenke?

Das ist ein Problem. Hier geht es ja auch um emotionale Erregungszustände. Ich kenne das von mir selbst auch, dass ich mitten in der Nacht aufwache und nicht mehr einschlafen kann. Es gibt emotionale Mechanismen auf kognitive Prozesse, die dem entgegenwirken können. Wenn wir in einem positiven Zustand sind, denken wir eher oberflächlicher was Problemlösungen angeht. Wer eher in einem negativen oder depressiven Zustand ist, kommt auf andere, tiefgründige Lösungsansätze.

Heißt: Eine schlechte Stimmung kann uns auch mal helfen. Manchmal ist es doch auch besser, Entscheidungen direkt aus dem Bauch zu treffen, oder?

Bauch-Entscheidungen sind in vielen Fällen besser als langes Überlegen. Unser kognitives System hat bestimmte Strategien, mit denen wir ganz gut zurechtkommen, wenn wir auf unseren Bauch hören und auch wenige Informationen über eine Situation haben. Das sind aber nicht die Situationen, in denen wir in einem starken Erregungszustand sind – da merken wir von den Bauchgefühlen nämlich nichts, sondern ärgern uns nur über etwas oder jemanden.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber sie heilt relativ viele.

Prof. Dr. Michael Pauen, Philosoph und Professor an der Humboldt-Universität Berlin

Meine Oma sagt immer "Zeit heilt alle Wunden". Findet man sich auch mit im Nachhinein betrachtet falschen Entscheidungen ab?

Negative Erfahrungen verlieren bei uns mit der Zeit an Bedeutung. Aber es gibt traumatische Fälle, die unsere Schutzschicht durchdringen und uns immer wieder triggern. Also die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber sie heilt relativ viele.

Haben Sie denn auch allgemeine Tipps, wie ich an schwere Entscheidungen herangehen sollte? Wenn ich also beispielsweise über eine Trennung nachdenke oder überlege, ob ich wirklich eine Wohnung kaufen sollte.

Es ist immer gut, eine Entscheidung aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Man kann sich also selbst überlegen: Wie würde ich denn in der und der Situation zu einer bestimmten Entscheidung stehen? Oder man wartet einen Moment, bis man in einer anderen Stimmung ist und sich dann nochmal überlegt, ob es immer noch eine gute Entscheidung ist.

Ja, das sollte ich mir nochmal genau durch den Kopf gehen lassen.

Genau, in bestimmten Stimmungen neigt man zu Entscheidungen, die man später als falsch betrachtet. So kann man vorab nach unterschiedlichen Lösungswegen suchen, um den verschiedenen Stimmungen gerecht zu werden. 

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Autor

  • Fabio Schmidt
    Fabio Schmidt Redaktion

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, Bremen Vier läuft, 22. November 2024, 12:45 Uhr