Darum machen derzeit viele Bremer Ärzte bei Kindern keine Ohren-OPs

Bild: dpa | Jonas Güttler

Zwischen HNO-Ärzten und Krankenkassen knirscht es. Viele Ärzte führen daher keine Mandel- und Ohren-Operationen bei Kindern mehr durch. Warum und wen das trifft, erklären wir hier.

Wer nicht hören kann, muss warten. Das zumindest gilt seit einem halben Jahr für Kinder mit Mandel- und Mittelohrbeschwerden in Bremen und im gesamten Bundesgebiet. Der Grund: Ein Streit ums Geld zwischen Hals-Nasen-Ohren-Ärzten und gesetzlichen Krankenkassen.

Viele Kinder, die wegen entzündeter Rachenmandeln oder verstopfter Ohren operiert werden müssten, sind davon betroffen. Julie zum Beispiel, sie wohnt in der Bremer Neustadt, war nicht einmal vier Jahre alt, als ihr das Atmen immer schwerer fiel.

Das Schlimmste waren die Nächte, wenn Julie Atemaussetzer hatte, es einige Sekunden dauerte und sie erst dann wieder tief Luft einzog.

Nadine Zaddam (41), Mutter Julies

Das werde sich möglicherweise verwachsen, wurde Julies Mutter Nadine Zaddam zunächst von Ärzten vertröstet. Ein Irrtum. Julie sei von Herbst bis Frühling fast durchgängig auf Nasenspray angewiesen gewesen, sagt Zaddam. Über die gut gemeinten Hinweise der Apothekerin, dass das Spray nicht länger als sieben Tage verabreicht werden solle, habe sie nur müde lächeln können. "Wenn ich ihr kein Nasenspray gegeben habe, waren die Ohren sofort entzündet."

Zu sehen ist der Eingang des St. Joseph-Stift Krankenhaus.
Mandeloperationen bei Kindern werden in Bremen zum Beispiel in den OP-Räumen des Krankenhauses St. Jospeh-Stifts durchgeführt. Bild: Radio Bremen

Bald war klar. Eine operative Entfernung der Rachenmandeln, also der Polypen, war erforderlich. "Dann kam die Corona-Pandemie", sagt die alleinerziehende Mutter. In dieser Zeit habe sie keine OPs bekommen können. Im Sommer 2022 machte sie einen erneuten Versuch. Das Vorgespräch im Bremer Krankenhaus St.-Joseph-Stift bekam sie schließlich im Januar 2023. Danach sollte die OP schnell durchgeführt werden. "Im Gespräch hieß es dann plötzlich, die OP ist jetzt in zwei Jahren", sagt Zaddam.

Neuer Leistungskatalog führt zu "Ärzte-Streik"

Was war passiert? Unmittelbar vor dem Gespräch hatten der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) und die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO) Ärztinnen und Ärzten empfohlen, ab sofort bundesweit keine neuen Termine für Mandel- und Mittelohroperationen bei Kindern mehr zu vergeben. Der Grund: Eine Kürzung der aus Sicht vieler HNO-Ärzte ohnehin unwirtschaftlichen OP-Honorare von Seiten der Krankenkassen.

Eine Maßnahme, hinter der auch Bremer Mediziner stehen.

Es kann nicht von den Ärzten verlangt werden, einen OP-Raum anzumieten und noch Geld draufzuzahlen.

Reiner Holle, Stellvertretender Vorsitzender des Bremer Landesverbands der HNO-Ärzte

Schon zuvor sei das Honorar für Eingriffe wie die Polypen-Operation sehr niedrig gewesen. Die Folge: Seit Jahren gebe es immer weniger Ärztinnen und Ärzte, die diese Eingriffe überhaupt durchführten, sagt Reiner Holle, Stellvertretender Vorsitzender des Bremer Landesverbands der HNO-Ärzte. Das Verhalten der Krankenkassen bezeichnet Holle im Honorar-Streit als "ignorant".

Bremer AOK-Deal kein Vorbild für andere Kassen

Ein Lichtblick sei immerhin die Einigung zwischen den Bremer HNO-Ärzten und der AOK Bremen, sagt Holle. Beide Seiten hatten sich im April in einem Selektivvertrag auf eine höhere Vergütung für Mandel- und Mittelohr-Operationen geeinigt.

Ein Kind im Kindergarten spielt mit einem Buchstaben-Puzzle.
In der Krippe oder im Kindergarten kann ein nicht behandeltes Ohrenleiden zu Vereinzelung und langsamerer Sprachentwicklung von Kindern führen. Bild: Imago | Cavan Images

Die Hoffnung der Ärztinnen und Ärzte, dass dies auch ein Vorbild für andere gesetzliche Krankenkassen sein könnte, hat sich bislang allerdings nicht erfüllt. "Wir teilen die Auffassung des GKV-Spitzenverbandes, dass die im Dezember 2022 vorgenommene Neukalkulation der ambulanten Operationen für die besagten Fachärzte von Vorteil ist", sagt Ilja Mertens, Sprecher der Bremer HKK auf Nachfrage buten un binnens. So seien kleinere Operationen zwar abgewertet worden, größere Eingriffe hingegen aufgewertet. Mit der Folge, dass sich die Vergütung der HNO-Ärzte über alle Leistungen hinweg betrachtet sogar verbessert habe.

Mehr als hundert Praxen und Kliniken abtelefoniert

Bremer HKK-Versicherten hilft das wenig. Eine von ihnen ist Lena Vetski. Von Schwerhörigkeit, Atemnot und Problemen beim Sprechen sind beide ihrer Kinder betroffen. Die inzwischen fünfjährige Emilia hatte dabei noch Glück. Ihre OP wurde vor dem Streik durchgeführt. Noch heute erinnern zwei klitzekleine Röhrchen im Ohr daran.

Ihr kleiner Bruder Daniel, er ist zweieinhalb, wird hingegen noch lange auf den erlösenden Eingriff warten müssen, obwohl die Folgen seines Leidens schon jetzt deutlich würden, sagen die Eltern.

Unser Daniel hat ganz aufgehört zu sprechen.

Lena Vetski (36), Mutter von Daniel (2) und Emilia (5)

Ob Lena Vetski und ihr Mann hundert oder zweihundert Arztpraxen und Kliniken kontaktieren haben, weiß sie schon nicht mehr. Zuerst in Bremen und umzu, dann im gesamten Bundesgebiet. "Inzwischen versuchen wir es sogar in den Niederlanden", sagt sie. Bislang ohne Erfolg.

Der Grund: Ärzte dürfen von Kassen gezahlte Leistungen nicht auf eigene Rechnung anbieten. Das Problem: Gleichzeitig dürfen sie die Durchführung einer kassenärztlichen Leistung eigentlich auch nicht ablehnen. Das ist zumindest der Standpunkt, den die Kassenärztliche Vereinigung Bremen vertritt. In einem offiziellen Statement teilt sie mit, "dass medizinisch indizierte Operationen nicht ausschließlich aus monetären Gründen abgelehnt werden dürfen."

Privatkliniken wollten 5.000 Euro

Den Kindern hilft diese verfahrene Situation nichts. Privatkliniken sind für die meisten Eltern auch keine Lösung. "Rund 5.000 Euro wollten zwei der Privatkliniken, die wir angefragt haben, jeweils für den Eingriff haben", sagt Lena Vetski. Einen konkreten Operationstermin hätten aber auch sie nicht nennen können.

Also versucht sie es weiter. Für den Herbst hat sie jetzt zumindest ein paar Vorstellungstermine bekommen: einen in Bremen, einen in Bremerhaven, einen in Bielefeld und einen in Würzburg.

Nadine Zaddam, die Mutter der kleinen Julie, hatte da inzwischen mehr Glück. Ein vermittelter Termin der Techniker Krankenkasse (TK) führte Ende April zu einem Vorgespräch bei einem Arzt in Hamburg. Ende Mai fand die OP statt. "Ich habe mich nicht getraut, ihn zu fragen, warum er das macht", sagt Zaddam – aus Angst, der Eingriff könnte doch noch abgesagt werden.

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Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 16. Juni 2023, 19:30 Uhr