Interview
Erdüberlastungstag: Gleicht vegane Ernährung den Mallorca-Flug aus?
Erdüberlastungstag: Gleicht vegane Ernährung den Mallorca-Flug aus?
An diesem 3. Mai haben wir Deutschen so viele Ressourcen verbraucht, dass wir nicht mehr nachhaltig leben. Was das für uns und die Erde heißt, erklärt ein Bremer Experte.

Klaus Prietzel ist Vorstand des Bremer BUND. Einmal im Jahr beteiligen sich die Umweltschützer, gemeinsam mit anderen Nicht-Regierungsorganisationen, an der Veröffentlichung des Termins des "Earth Overshoot Day", also des Erderschöpfungstags.
Herr Prietzel, der Erdüberlastungstag fällt für uns Deutsche in diesem Jahr auf den 3. Mai. Was heißt das eigentlich?
Das heißt, wenn alle Menschen auf der Welt so leben würden wie wir Deutschen, hätten wir schon am 3. Mai alle Ressourcen aufgebraucht, die die Erde in einem Jahr nachhaltig bereitstellen kann – zum Beispiel durch nachwachsende Wälder, Wasser und so weiter. Es zeigt, wie stark wir über unsere Verhältnisse leben.
Was dürfte ein Mensch denn verbrauchen?
Im Grunde vergleichen wir drei Werte. Erstens den global verträglichen Fußabdruck. Das wären 1,5 Hektar pro Person und Jahr.
Also etwa zwei Fußballfelder.
Genau. Wenn alle Menschen der Welt im Schnitt nicht mehr an Ressourcen verbrauchen, als diese Fläche bietet, wäre das nachhaltig – also in Bezug auf CO2-Emissionen, Landnutzung, Energieverbrauch, Rohstoffgewinnung und so weiter.
Und wieviel wird tatsächlich verbraucht?
Tatsächlich sind es weltweit derzeit 2,6 Hektar pro Jahr. Das heißt, Ende Juli oder Anfang August – der Termin wird noch bekannt gegeben – hat jeder Mensch seine 1,5 Hektar bereits verbraucht. In Deutschland liegen wir rechnerisch sogar bei 3,6 Hektar. Daher der frühere Termin für den Erdüberlastungstag.
Lässt sich auch für Bremen ein Erdüberlastungstag bestimmen?
Quantitativ, also mit konkreten Zahlenwerten, ist das schwierig. Da fließen zu viele Faktoren ein. Landwirtschaft oder Forstwirtschaft, die eher in anderen Bundesländern wie Niedersachsen stattfinden, müssten dann auch als Import betrachtet werden. In diesem Sinne ist Niedersachsen ökologischer Exporteur, während Bremen durch seinen Konsum einen größeren Fußabdruck verursacht als es aus eigenen Ressourcen rechtfertigen könnte.

Andersherum erzeugt Bremen zum Beispiel einen großen Fußabdruck durch das Stahlwerk. Wenn dann mit dem Stahl in Niedersachsen Schienen, Schiffe oder Windräder gebaut werden, geben wir wiederum einen Teil dieses Fußabdrucks ab.
Gibt es Bereiche, in denen Bremen seinen Fußabdruck eindeutiger beeinflussen kann?
Ja, da kann man schon ein paar Aussagen treffen: In Bremen sind beispielsweise Gebäude und Verkehrsinfrastruktur große Brocken beim ökologischen Fußabdruck.
Wo ist Bremen da gut?
Im Baubereich gibt es beispielsweise die Überseeinsel, wo keine bestehenden Grünflächen zerstört worden sind. Stattdessen werden dort Gebäude und Infrastruktur auf bereits versiegelten Flächen genutzt – am prägnantesten zu sehen an den großen Silos des ehemaligen Kellogg’s-Werks. Auch die Energieversorgung mit Solarenergie und das Heizen mit Wärmepumpen helfen, unseren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern.
Geht Umbau immer vor Neubau, selbst wenn energieeffizient gebaut wird?
Umbauten und Sanierungen im Bestand sind in der CO2-Bilanz fast immer besser als Neubauten. Grund ist die sogenannte graue Energie, die beim Abriss freigesetzt wird. Neubauten müssen oft viele Jahrzehnte stehen, um da gleichzuziehen. Angesichts der Dramatik der Situation, haben wir nicht die Zeit, den Schalter erst in fünfzig Jahren umzulegen.
Wir verbrauchen als Deutsche seit Jahren knapp drei Erden pro Jahr. Wie lange geht das noch so?
Derzeit geht es dadurch, dass wir anderen Regionen Ressourcen wegnehmen. Für unsere intensive Viehwirtschaft importieren wir beispielsweise in großem Umfang Soja aus Brasilien. Dafür wird tropischer Regenwald zerstört. Das heißt, wir nehmen fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche, die wir in Deutschland haben, aus anderen Regionen der Welt dazu.

Besonders deutlich schlägt sich die Erdüberlastung im Klimawandel nieder. In Deutschland haben wir das 1,5-Grad-Ziel schon gerissen, in Europa auch. Global glücklicherweise noch nicht ständig. Wir laufen aber auf eine Situation zu, die wir möglicherweise nicht mehr steuern können, wenn wir Kipp-Punkte erreichen, die unumkehrbar sind.
Zum Beispiel ein beschleunigtes Abschmelzen des Polareises oder das Absterben von Korallenriffen.
Ja, zum Beispiel. Rund 60 Prozent unseres Fußabdrucks entstehen allein durch CO2-Emissionen. Da müssen wir schnell von runter.
Wie ließe sich der Erdüberlastungstag nach hinten verschieben?
Wir haben genug Wind und Sonne. Wir müssen sie nur nutzen. Wir brauchen eine drastische Verbesserung der energetischen Standards in Bestandsgebäuden. Derzeit gehen gut 80 Prozent des Gebäudewärmeverbrauchs ungenutzt in die Umwelt. Wir könnten auf ein Fünftel des heutigen Verbrauches im Bestand runterkommen. Zudem müssen wir, wenn wir bauen, verstärkt Materialien wie Holz anstelle von Beton und Stahl verwenden – letztere haben die höchsten CO2-Fußabdrücke.

Bei den großen Industriebetrieben wie in Bremen die Stahlwerke müssen wir schnell weg von der Kohle hin zu Wasserstoff und Strom kommen. Bei Mercedes oder Airbus geht es in puncto Nachhaltigkeit um die Minimierung der CO2-Emissionen und darum, die Rohstoffe im Kreislauf zu führen. Das ist einer der positiven Aspekte des neuen Koalitionsvertrags, dass dort der stärkere Einstieg in die Kreislaufwirtschaft vorgesehen ist – wenn auch nur, um die Abhängigkeit von globalen Lieferketten zu minimieren.
Was gar nicht mehr passieren sollte, sind große Bauprojekte für neue Straßen, insbesondere Autobahnen.
Was kann ich denn persönlich als Bremerin oder Bremer tun?
Gut wäre, wenn Sie sich weitestgehend mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fahrrad fortbewegen – und nur im Ausnahmefall mit dem Auto.
Weniger Wohnfläche pro Person ist auch ein Punkt: In Bremen liegt der Schnitt bei 46 Quadratmetern pro Person. Das ist enorm viel im Vergleich zu früher – oder auch im Vergleich zu Städten wie Hamburg mit unter 40 und München mit unter 30.
Weil die Preise da so teuer sind.
Das stimmt. Aber es zeigt trotzdem, dass auch weniger Wohnfläche machbar ist.

Was ist mit Reisen?
Wenn Sie nach Neuseeland fliegen, haben Sie mal eben das Dreifache Ihres Jahresbudgets an CO2-Emissionen verfrühstückt. Danach müssen sie im Grunde zwei Jahre lang fasten.
Oder mich fleischlos ernähren?
Wenn Sie sich ohne tierische Produkte vegan ernähren, kommen sie grob auf eine Tonne CO2-Verbrauch statt drei Tonnen mit Fleisch. Zum Vergleich: Mit dem Neuseeland-Flug verursachen sie grob 30 Tonnen. Sich ein Jahr vegan zu ernähren, entspricht eher einem Mallorca-Flug.
Ausschuss beklagt fehlende Stellen für CO2-Statistiken in Bremen
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 3. Mai 2025, 7 Uhr