Offshore, Verklappung, Havarien: Wie der Mensch die Nordsee vergiftet

Hinter der Kugelbake in Cuxhaven fährt ein Containerschiff übers Wasser.

Wie können wir die Nordsee besser schützen?

Bild: Imago | Jochen Tack

Belastung durch Schadstoffe, Zerstörung von Lebensraum – es steht nicht gut um die Nordsee. Das hat Folgen, auch für die Menschen, die an der Küste leben.

Die Havarie des Autofrachters "Fremantle Highway" vor der niederländischen Insel Ameland hätte für die Nordsee böse enden können. Doch das Worst-Case-Szenario einer Ölkatatastrophe trat glücklicherweise nicht ein. Klar ist aber: Die Nordsee muss viel verkraften – oft verursacht durch den Menschen.

In Cuxhaven etwa entwickeln sich Schlickfelder am Strand immer mehr zum Problem. Immer wieder müssen die Teams der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft und der Feuerwehr Wattwanderer retten, die knietief im Matsch feststecken. Auch für die Wattwagenfahrer, die mit ihren Pferdekutschen zwischen Cuxhaven und Neuwerk pendeln, hat sich über die Zeit einiges drastisch verändert. "Der Priel ist von Jahr zu Jahr tiefer geworden", sagt Fahrer Dennis.

Für uns heißt das, dass die Fahrten teilweise ausfallen, weil wir nicht durch den Priel kommen.

Wattwagenfahrer Dennis aus Cuxhaven

Kritiker wie die Gruppe "Wattenmeer-Schutz Cuxhaven" gehen davon aus, dass das empfindliche Ökosystem durch belastetes Baggergut – vor allem aus dem Hamburger Hafen – längst geschädigt ist. Auch wenn Behörden das zurückweisen.

Wird die Nordsee immer mehr zum Industriegebiet?

Wattwagen bei Neuwerk
Auch für die Wattwagenfahrer in Cuxhaven hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert. Bild: dpa | F. Hecker

Die Vertiefung der Elbe und Weser, neue Offshore-Windkraft-Anlagen und Baggergut-Deponien im Wasser – für Peter Andryszak, den Sprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste, wird die Nordsee immer mehr zum Industriegebiet: "Durch die Verklappung (das Beseitigen von belastetem Hafenschlick durch Versenken oder Einleiten ins offene Meer, Anm. d. Red.) werden alle Lebensformen, die an Ort und Stelle sind, zugeschüttet – und ja, auch umgebracht."

Dieser ganze Dreck – insbesondere der feine Dreck – setzt sich dann auf den Strand, vor die Inseln und in das Wattenmeer.

Der Talkgast Peter Andryszak im Gespräch bei buten un binnen.
Peter Andryszak, Sprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste

Die Folgen davon sind aus Andryszaks Sicht noch gar nicht absehbar. Statt immer schneller, weiter und höher brauche es aber endlich ein anderes Maß, um Ressourcen zu schonen und die Meereswelt zu schützen. "Was treiben wir mit dem Wasser, dem lebenswichtigsten unserer Elemente? Wir vergiften es."

Auch beim Ausbau der Windkraft auf hoher See dürfe es nicht nur darum gehen, so schnell wie möglich zu bauen, warnt er. Der Natur- und Umweltschutz müsse ebenso ausreichend berücksichtigt werden – und zwar mehr denn je: "Die Erschütterungen des Drehens übertragen sich auf die Säulen der Windräder und damit auch auf das Wasser und die Lebewesen, die darin leben", betont Andryszak.

Was das für Auswirkungen hat, kann wahrscheinlich noch keiner wirklich sagen. Hinzu kommt der Lärm – nicht nur beim Bau, sondern auch während des Betriebs der Anlagen.

Der Talkgast Peter Andryszak im Gespräch bei buten un binnen.
Peter Andryszak, Sprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste

"Wir können es besser machen"

Trotz aller menschlichen Eingriffe gibt es auch positive Befunde: Insgesamt gehe es der Nordsee "viel besser als vor 30 oder 40 Jahren", sagt Karen Wiltshire, Vizedirektorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI). Die Flüsse – insbesondere die Elbe – seien viel sauberer geworden und leiteten weniger Schadstoffe in die Nordsee, zudem fingen die Fischbestände an, sich zu erholen. Dennoch betont Wiltshire: "Wir können es besser machen."

Laut der AWI-Vizedirektorin sei der Temperaturanstieg das größte Problem. "Allein in den letzten 50 Jahren hat sich die Nordsee um 1,5 Grad erwärmt. Für das Ökosystem ist das so gerade noch zu händeln", so Wiltshire. Durch die Erwärmung wandern zudem neue Arten in die Nordsee ein, was kein natürlicher Vorgang sei. Die Auswirkungen davon seien allerdings noch nicht abzusehen. "Im Moment nehmen wir wenig Konkurrenz wahr", sagt Wiltshire.

Wir wissen aber nicht, wie gut die Arten nachher ins System passen.

Stellvertretende Direktorin des AWI, Karen Wiltshire
Karen Wiltshire, Vizedirektorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts

Unbequeme Fragen, kritische Stimmen

Auf einer Bank in Bremerhaven sitzen zwei Touristen.
Maik Friemel und seine Mutter Sieglinde aus Hannover genießen ihren Ausflug nach Bremerhaven. Bild: Radio Bremen | Dirk Bliedtner

Wer an der Nordsee wohnt oder urlaubt, der bummelt gern am Wasser entlang – am besten der Sonne entgegen. So mancher will sich mit unbequemen Fragen zum Zustand der Nordsee aber lieber nicht beschäftigen und weicht dem Thema lieber aus. Doch es gibt auch andere, kritische Stimmen: "Den Spagat zwischen Industrie, Arbeitsplätze und Naturschutz zu finden, ist schwierig", sagt etwa Wolfgang Imhülse aus Worpswede.

Auch Maik Friemel aus Hannover ist spontan an die Küste nach Bremerhaven gefahren. Zusammen mit seiner Mutter Sieglinde sitzt er auf einer Bank am Weserdeich und genießt den Blick aufs Wasser. Für ihn ist klar: "Ich habe generell nicht den Eindruck, dass genug getan wird für den Schutz der Nordsee und den Erhalt der Zukunft."

Man kann nicht endlos wachsen, das geht gar nicht. Man muss einfach auch mal ein Maß finden, bei dem man sagt: "Jetzt ist es erreicht.

Maik Friemel aus Hannover

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Autor

  • Dirk Bliedtner
    Dirk Bliedtner Autor

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, der Morgen, 24. August 2023, 9:38 Uhr