Fragen & Antworten

Wie Crack zum Problem rund um die Drogenszene in Bremen-Vegesack wird

Eine abhängige Person zündet sich eine Crack-Pfeife an (Symbolbild)

Crackszene in Bremen-Vegesack sorgt für Unmut bei Nachbarn

Bild: dpa | Photoshot/Tom Oldham

Drogen in direkter Nähe zu Kindern und Jugendlichen? Hier berichten eine Mutter, eine Streetworkerin, eine Freizi-Leiterin und ein Süchtiger, wie sie die Lage sehen.

Rund um den Szenetreff am Aumunder Heerweg in Bremen-Vegesack kommt es seit Monaten zu Spannungen. Der Szenetreff – eine überdachte Hütte mit Sitzgelegenheiten – liegt in direkter Nachbarschaft zu einer Jugendfreizeiteinrichtung ("Freizi"), einer Schule und einem Spielplatz, der von Besucherinnen und Besuchern des "Hauses der Familie" genutzt wird. Seit einiger Zeit ist die Szene gewachsen, und eine Droge ist auf dem Vormarsch: Crack. "Bestimmt 60 Prozent meiner Klienten habe ich an Crack verloren", sagt Gimmy Wesemann. Die Streetworkerin des Vereins für Innere Mission ist seit 13 Jahren dreimal in der Woche mit ihrem Bus beim Szenetreff, schenkt Kaffee und Tee aus und ist Ansprechpartnerin für ungefähr alles. Am Tag trifft sie nach eigenen Angaben 20 bis 50 Süchtige.

Ständiger Drang nach neuem Stoff

Crack sei seit etwa drei Jahren ein Thema. "Bei den Heroinabhängigen gab es immer einen zeitlichen Korridor, in dem man mit ihnen arbeiten konnte. Bei Crack-Süchtigen gibt es viel Gerenne, sie haben ständig den Drang, sich Neues zu beschaffen, sie sind kaum noch ansprechbar, manche schlafen zwei oder drei Tage am Stück nicht, vergessen zu essen. Man kann sich das angucken, wie sich die Leute in kurzer Zeit halbieren."

Gesperrter Spielplatz in Vegesack
Seit Juni ist der Spielplatz am Aumunder Heerweg 89 wegen wiederholten Spritzenfunden gesperrt. Bild: Radio Bremen | Verena Patel

Viele Süchtige verlieren den Blick für die eigene Gesundheit, spüren Schmerz weniger durch den Einfluss der Betäubungsmittel. Zu Wesemanns Tagesroutine gehört es deshalb, nach dem Gesundheitszustand zu schauen und auch mal jemanden zum Zahnarzt zu begleiten. Auch mit amtlichen Schreiben aller Art kommen die Besucher des Szenetreffs zu ihr. Seit Juni gibt es außerdem einen Streetworker mit halber Stelle von der nahegelegenen ambulanten Suchthilfe Bremen. Die Stelle wird vom Gesundheitsressort finanziert, ist aber bis Ende 2023 befristet.

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Wo liegen die Probleme aus Sicht von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des "Freizis"?

Sara Dahnken ist Leitern der Jugendfreizeiteinrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes in Bremen. Dazu gehört auch der "Freizi" in Vegesack. "Seit letztem Frühjahr ist das ein Problem. Uns ist nach und nach aufgefallen, dass immer mehr Erwachsene sich auf dem Außengelände aufhielten", berichtet Dahnken. Dann hätten immer wieder fremde Personen unter einer Überdachung vor dem Eingang der Freizeiteinrichtung gelegen. "Häufig sind die Menschen kaum ansprechbar. Mit dem früheren Klientel des Szenetreffs konnte man reden und sagen: 'Das ist doof, wenn ihr hier Bier trinkt, wo all die Jugendlichen sind'", sagt Dahnken. Das sei dann auch auf Verständnis gestoßen.

Problematisch wird es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendtreffs, wenn sie sehen, dass Drogen auf ihrem Gelände genommen werden oder dass gedealt wird. Denn sie haben den klaren Auftrag, das zu unterbinden. "Wir müssen sie dann vom Gelände verweisen", erklärt Dahnken. "Die Dealer kamen mit Autos auf unseren Parkplatz gefahren. Es gab dann von November bis Mai einen Security Service, der alle Personen, die auf den Parkplatz fahren wollten, gefragt hat, was sie dort möchten." Sie kann sich einen neuen Ort für den Szenetreff besser vorstellen. Auch ein höherer Zaun rund um das Gelände war in der Diskussion. "Freizi"-Leiterin Sara Dahnken lehnt das jedoch entschieden ab: "Ich mache doch aus dem Freizi keine JVA. Wir haben ein Offene-Tür-Angebot. Wenn wir Hürden aufbauen, hat das etwas von Einlasskontrolle und das ist genau das, was die Kids abschreckt."

Was sagen Eltern zum gesperrten Spielplatz?

Geschlossener Eingang des Freizeitzentrums in Bremen-Vegesack
Der Eingang des "Freizis" am Aumunder Heerweg – einen Zaun darum herum kann sich Leiterin Sara Dahnken nicht vorstellen. Bild: Radio Bremen | Verena Patel

Im gleichen Gebäude wie der "Freizi" ist eine Zweigestelle des "Hauses der Familie" untergebracht, das Eltern-Kind-Treffs anbietet. Der großzügige Kinderspielplatz mit Spielgeräten direkt vor dem Gebäude ist seit Juni gesperrt: Hier hatten Mitarbeiter unter anderem Spritzen gefunden.

Patrycja Chesiak ist Mutter eines anderthalbjährigen Sohnes und besucht regelmäßig Spieltreffs im Haus der Familie. "Als man die Spritzen auf dem Spielplatz gefunden hat, habe ich rot gesehen." Chesiak sagt, sie habe danach selbst mit Süchtigen gesprochen, sie darauf angesprochen, dass es für die Kinder gefährlich sei, wenn Drogenbesteck auf dem Spielplatz liege, die aber hätten alles abgestritten. Sie findet einen höheren Zaun rund um das Gelände eine gute Lösung. "Wenn wir mit den Kindern drinnen spielen, werde ich weiter mit meinem Sohn zu den Treffen gehen, draußen auf den Spielplatz werden wir definitiv nicht mehr gehen, das ist zu gefährlich. Kinder sind so neugierig, die fassen alles an, nehmen alles in den Mund."

Was unternehmen Ordnungsdienst und Polizei?

Laut Bremer Innenressort würden Polizei und Ordnungsdienst den Bereich um die Jugendfreizeiteinrichtung regelmäßig kontrollieren. Ab Ende August seien auch gemeinsame Streifen geplant. Die Behörde weist darauf hin, dass es das vorrangige Anliegen sei, die Süchtigen in Hilfsangebote zu integrieren. Breitere Angebote in den Stadtteilen speziell für Crack-Abhängige sind im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

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Was wünschen sich Menschen aus der Szene?

Bünyamin ist seit 20 Jahren drogensüchtig und hat eine erwachsene Tochter. Er kann die Vorbehalte von Eltern verstehen: "Wenn mein Kind da drüben wäre, wäre ich auch voll dagegen. Da hat überhaupt keiner hinzugehen. Ein paar Leute haben da drüben geballert und Sachen liegengelassen. Wir wissen nicht, wer das war und ich finde, man kann das nicht auf uns alle verallgemeinern." Die Polizei drohe immer wieder Schließungen des Szenetreffs an. Bünyamin wünscht sich eine andere Lösung. "Andere Städte haben auch Lösungen gefunden, mit Konsumräumen zum Beispiel."

Eine gemeinsame Anlaufstelle sei wichtig, denn allein zu Hause würde es vielen Süchtigen noch schlechter gehen. Bis auf eine Person hätten alle Besucherinnen und Besucher des Treffs eine Wohnung, sagt er. Ein neuer Ort "sollte zentral sein und eine Bushaltestelle in der Nähe haben".

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Was muss aus Sicht der Streetworker geschehen?

"Wir brauchen unbedingt Toleranz- und Konsumräume. Die Räume der Kneipe direkt gegenüber stehen seit fünf Jahren leer. Etwas weiter gibt es eine leerstehende Spielothek. Aber natürlich ist die Einrichtung solcher Räume ein Riesen-Kraftakt und kostet viel Geld", sagt Gimmy Wesemann von der Inneren Mission. Am Szenetreff selbst ist der Drogenkonsum verboten, ebenso wie überall sonst.

Beatrix Meier von der ambulanten Suchthilfe hofft auf mehr Personal. Denn gerade um Crack-Süchtige zu erreichen sei es wichtig, Verbindungen zu schaffen, indem man in Kontakt bleibt, vor Ort am Szenetreff sein kann. "Der Drogenbereich muss besser ausgestattet werden. Im Bremen-Nord speziell brauchen wir mehr Personal als früher. Wir hätten gerne noch anderthalb Stellen mehr, um die Abhängigen besser erreichen zu können und auch mehr am Szenetreff anwesend zu sein." In der nahegelegenen Beratungsstelle der ambulanten Suchthilfe wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Bett aufstellen, in dem Crack-Süchtige sich ausruhen können. "Die Idee ist auch, dass jemand wieder ansprechbar ist, wenn er schlafen konnte", erklärt Meier.

Wie viele Süchtige es am Szenetreff in Vegesack gibt, ist laut dem Bremer Gesundheitsressort nicht bekannt. "Die Zahlen von Süchtigen in Bremen steigen immens. Es gibt viel Zulauf aus dem Umland. Drogen sind hier leichter zu beschaffen und viele bleiben dann hier", sagt Meier.

Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 10. August 2023, 7:10 Uhr