"Leute verjagen bringt nichts": Muss Bremen Drogenpolitik ändern?

Kundgebung zum Gedenktag für Drogenopfer in Bremen

Bild: Radio Bremen

Eine Crack-Welle und billige Opiode stellen den Bremer Senat vor große Herausforderungen. Am Gedenktag für Drogentote gibt es starke Kritik an der bisherigen Drogenpolitik.

Im vergangenen Jahr sind allein in Bremen 29 Menschen an den Folgen von Drogenkonsum gestorben. Deutschlandweit wurden fast 2.000 Drogentote gezählt. Mit einer Kundgebung am Bremer Hauptbahnhof haben rund 100 Menschen am Internationalen Gedenktag für Drogentote ihres Schicksals gedacht. Zugleich kritisierten die Veranstalter den Bremer Senat für seine in ihren Augen verfehlte Drogenpolitik. "Wir wünschen uns Programme ohne erhobenen Zeigefinger", sagte Mitorganisator Marco, Sprecher der Bremer Gruppe des Selbsthilfenetzwerks "Junkies, Ehemalige und Substituierte" (JES), zu buten un binnen.

Wir leben in einer süchtigen Gesellschaft, keiner ist völlig unsüchtig. Verbote bewahren nicht davor, dass Leute zu Substanzen greifen.

JES-Sprecher Marco im Gespräch mit buten un binnen.
Mitorganisator Marco zu buten un binnen

Diesjähriges Motto lautet "Drogentod ist Staatsversagen"

Das Motto des diesjährigen Gedenktags lautet "Drogentod ist Staatsversagen". In Bremen sorgt vor allem die Drogenszene rund um den Hauptbahnhof für Diskussionen. Mit mehr Kontrollen und mehr Polizei-Präsenz geht Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) seit geraumer Zeit gegen das Problem vor. Das harte Vorgehen stößt auch auf Kritik. "Ich habe das Gefühl, dass hier mit einem Flammenwerfer durchgegangen wird, um die Leute wegzukriegen", sagte JES-Sprecher Marco.

Eine Gesellschaft muss es aushalten, dass es dieses Problem gibt und nicht mit dem Finger auf die Leute zeigen. Die Leute einfach zu verjagen, das bringt nichts.

JES-Sprecher Marco im Gespräch mit buten un binnen.
JES-Sprecher Marco zu buten un binnen

Lukas Fuhrmann, Sprecher des Bremer Gesundheitsressorts, stimmt dem zu: "Nur Repression allein ist kein Weg", so Fuhrmann. Das Konzept des Senats funktioniere vielmehr "im Einklang": einerseits durch die "ordnungspolitischen Maßnahmen", andererseits durch die "Hilfsangebote" des Gesundheits- und Sozialressorts. Die Szene habe sich daher verlagern können, vom Hauptbahnhof in die Friedrich-Rauers-Straße, wo die Hilfsangebote gebündelt werden sollen. "Wir sind dort aber jetzt schon sehr gut aufgestellt", betonte Fuhrmann.

Es gibt einen Konsumraum, in dem mit sauberen Materialien Drogen konsumiert werden dürfen. Es gibt eine Akzeptanz- und Toleranzfläche, in der sich die Szene aufhalten kann. Und es gibt einen Regenerationsort mit Lebensmittel- und Essensausgabe.

Lukas Fuhrmann, Sprecher des Bremer Gesundheitsressorts, gibt buten un binnen ein Interview.
Lukas Fuhrmann, Sprecher des Bremer Gesundheitsressorts, zu buten un binnen

JES-Sprecher Marco ist anderer Meinung: "Scheinbar sind die Angebote nicht so attraktiv, dass sich die Leute dort auch aufhalten." Neben mehr Präventionsprogrammen fordert er, dass Bremen künftig Drug-Checking anbietet. Die Qualitätskontrollen seien notwendig, weil immer häufiger das Problem auftauche, dass Drogen mit Fentanyl verschnitten seien. Das Opiod wirkt um ein Vielfaches stärker als etwa Heroin, ist aber billiger. "Wenn man nicht weiß, was in dem Stoff drin ist, kann das schnell tödlich enden", sagt Marco. Die Dringlichkeit ist auch dem Senat bekannt: Im Koalitionsvertrag verständigten sich SPD, Grüne und Linke darauf, Drug-Checking einzuführen.

Ein weiteres Problem ist, dass auch in Bremen der Konsum der Droge Crack rasant gestiegen ist. Einen Zustand wie jetzt habe es seit 30 Jahren nicht mehr gegeben, sagt Fuhrmann. "Das ist eine sehr, sehr große Herausforderung und stellt uns vor die Situation, dass wir unsere Drogenpolitik ändern müssen", so der Sprecher des Gesundheitsressorts. Denn während es für Drogen wie Heroin ein Ersatzmittel wie Methadon gibt, existiert für Crack kein Substitutionsmittel. Im Kampf gegen die Crack-Welle kann das Gesundheitsressort nur auf Gesundheitsschutz setzen. Den Betroffenen einen Weg aus der Sucht zu zeigen, ist hingegen nicht möglich.

Wir werden das ganz klar ausbauen und in die Stadtteile, in die Quartiere gehen, um dort weitere Hilfsangebote zu schaffen.

Lukas Fuhrmann, Sprecher des Bremer Gesundheitsressorts, gibt buten un binnen ein Interview.
Lukas Fuhrmann, Sprecher des Bremer Gesundheitsressorts, zu buten un binnen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 21. Juli 2023, 19:30 Uhr