Die Wurzeln der BiW – und was sie als Bündnis Deutschland vorhaben

Jan Timke auf einer Pressekonferenz von Bündnis Deutschland.

Bürger in Wut: Eine ganz normale Partei? (Teil 1)

Bild: dpa | Sina Schuldt

Nach ihrer Fusion mit dem Bündnis Deutschland bilden die Bürger in Wut jetzt eine Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft. Woher kommt die Partei und wofür steht sie?

1 Wie alles begann

Angefangen hat es mit einer Gruppierung, die heute weitgehend vergessen ist: mit der sogenannten Partei Rechtsstaatliche Offensive des Hamburger Richters Ronald Schill. Der Bundespolizist Jan Timke führte den Bremer Landesverband an, blieb aber erfolglos. 2004 war Timke der erste Vorsitzende der neuen Wählervereinigung Bürger in Wut (BiW) in Bremerhaven.

2007 bekamen die BiW erstmals Sitze in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung und beinahe auch in der Bürgerschaft, dem Bremischen Landtag. Sie erreichten hier 4,99 Prozent. Timke ließ die Wahl überprüfen – mit Erfolg. Bei der Nachwahl legten die BiW deutlich zu und hatten einen sicheren Sitz in der Bürgerschaft. Seitdem hat Jan Timke ein Mandat im Landesparlament. Maßgeblich für den Stimmenzuwachs war wohl der intensive Haustürwahlkampf, den Timke in den Nachwahl-Bezirken durchführte.

Die BiW, jetzt Bündnis Deutschland, sind in Fraktionsstärke in der neuen Bürgerschaft und der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung mit jeweils neun Abgeordneten vertreten, in beiden Kammern also in Fraktionsstärke. Außerdem sitzen Mitglieder von Bündnis Deutschland in mehreren stadtbremischen Ortsbeiräten.

2 Das Programm

Zur Bürgerschaftswahl 2023 haben die BiW ihr letztes Programm unter ihrem Namen veröffentlicht. Darin zeichnen die Politiker ein düsteres Bild von Bremens Politik: "Seit mehr als sieben Jahrzehnten wird die Politik in Bremen maßgeblich von der SPD bestimmt. In dieser langen Ära ist in Bremen ein dichtes Netz von Filz, politischen Seilschaften und Vetternwirtschaft entstanden, in das auch die öffentliche Verwaltung, Justiz, Medien, Verbände und Lobbygruppen eingebunden sind."

Die Wahlhäfte von Bündnis Deutschland und Bürger in Wut.
Die Wahlprogramme von BiW und Bündnis Deutschland. Bild: Radio Bremen

Die BiW möchte dieses "Bremer System" aufbrechen und stellt auch die Existenz des Landes zur Disposition: Die Bevölkerung soll per Volksentscheid bestimmen, ob Bremen ein Bundesland bleibt. Für Wirbel hat der Ruf der BiW nach einem "Landespräsidenten" gesorgt. Dieser solle direkt gewählt werden. Er dürfe keiner Partei angehören und solle unter anderem die Diäten und Senatorenbezüge festlegen, die Richter der oberen Landesgerichte einsetzen und den Verfassungsschutz beaufsichtigen. Diese Forderung wurde von Parteienforschern kritisiert, weil sie die Gewaltenteilung aufhebe.

Die weiteren Schwerpunkte des Programms sind bekannt: der Fokus auf konsequente Verbrechensbekämpfung, unter anderem auch mit Hilfe einer freiwilligen Bürgerwehr, die Forderung nach konsequenten Abschiebungen oder "hartes Vorgehen" gegen kriminelle Clans. In der Bildungspolitik fordern die BiW "Startchancengleichheit statt Gleichmacherei und Leistungsdiskriminierung" und die Rückkehr zum dreigliedrigen Schulsystem.

Beim Verkehr wenden sie sich gegen "Drangsalierungen" des Individualverkehrs. Die Positionierung als "Autofahrerpartei" war dann auch eines der Hauptmotive im Wahlkampf. Bei Klima und Naturschutz lehnen die Bürger in Wut "Umwelthysterie" ab. Ein nicht ganz so bekannter Schwerpunkt ist für die Wählervereinigung der Tierschutz. Die BiW fordern unter anderem ein Verbot der Affenversuche an der Uni Bremen und strengere Kontrollen von Schlachthöfen oder Zirkussen, die mit Tieren arbeiten.

3 Jan Timke: der "Posterboy" der BiW

Die Geschichte und auch das Auftreten der BiW war und ist vor allem mit einer Person verbunden: Jan Timke. Der 52-jährige ehemalige Bundespolizist hat die Wählervereinigung gegründet und ist ihr präsentestes Gesicht, vor allem in Bremerhaven. Während die BiW in der Stadt Bremen mehr auf Themen setzen, funktioniert der Wahlkampf in Bremerhaven vor allem mit Timke. Er prangte groß auf allen Plakaten, "ER" bestimmte auch die Überschriften. In der Stadtverordnetenversammlung bringt er sich sehr wahrnehmbar ein, er gilt als ein Lokalpolitiker, der sich tief in die Sachthemen einarbeitet, auch wenn die BiW-Anträge regelmäßig keine Chance haben.

Jan Timke auf einem Wahlplakat der Bürger in Wut zur Wahl 2023
BiW-Gründer Jan Timke war auf Wahlplakaten vor allem in Bremerhaven omnipräsent. Bild: Imago | Eckhard Stengel

Timkes Stil ist eher sachorientiert und von den Polemiken etwa einiger AfD-Mitglieder weit entfernt – jedenfalls in den Parlamenten. Im Wahlkampf und den sozialen Medien geht es oft populistischer zu. So tauchte auf einem seiner Online-Profile 2018 ein Haftbefehl gegen einen angeblichen Messerstecher auf – eine Straftat. Timke wurde freigesprochen, weil nicht zu beweisen war, dass er selbst gepostet hatte.

In seinen Social-Media-Posts teilt Timke häufig Meldungen über mutmaßliche Straftaten ausländischer Personen. Auch gepostete Wahlslogans wie "Messerstecher konsequent ausweisen" wurden kritisiert – weil sie suggerierten, dass solche Straftäter quasi immer Ausländer sind. Allerdings geht es bei der großen Mehrzahl der Posts um konkrete lokale und regionale Themen, die Timke mit oft scharfen Oppositions-Attacken behandelt.

4 Die Arbeit der BiW in Stadt und Land

Politiker Jan Timke sitzt im Anzug an einem Laptop.
In Bremen wurden die BiW eher als Splitteruppe am rechten Rand wahrgenommen. Bild: Radio Bremen

In beiden Parlamenten, in Stadt und Land, ist das jetzige Bündnis Deutschland Opposition, als rechte Partei sind sie außerdem weitgehend isoliert. Trotzdem sind sie in der thematischen Arbeit durchaus sichtbar, etwa mit Anfragen und Anträgen – anders als die AfD, die insbesondere in Bremen eher mit internen Streitigkeiten aufgefallen ist und auch atmosphärisch für Unruhe sorgte. Neun Ordnungsrufe wegen ungebührlichen Verhaltens fing sich die AfD in der letzten Legislaturperiode im Landesparlament ein, wie der Weser-Kurier zählte, die BiW nur einen, genau wie SPD und Linke.

Mit ihren Beiträgen in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung ist es den Bürgern in Wut oft gelungen, Themen in die Öffentlichkeit zu schieben, die die Koalitionäre wohl lieber im Dunkeln belassen hätten. Dafür haben die BiW immer wieder auch Stadt und Land verklagt. Mehrmals ging es vor den Staatsgerichtshof: weil ihre Anträge von der Bürgerschaft nicht bearbeitet wurden, weil es Streit um die Öffentlichkeit von Tagesordnungspunkten gab, weil hochdotierte neue Stellen im Magistrat geschaffen wurden, weil die BiW nicht zu politischen Infoveranstaltungen an Schulen eingeladen wurden. Einige Verfahren sind noch offen – die BiW gingen aber oft als Sieger hervor.

5 Was jetzt anders werden könnte

Zum ersten Mal ziehen die Bürger in Wut, die nun Bündnis Deutschland heißen, in Fraktionsstärke in die Bürgerschaft ein. Neun statt zwei Abgeordnete: Das bringt mehr Möglichkeiten, sich in die weitläufigen Sachgebiete der Landespolitik einzuarbeiten. Fraktionen werden vom Staat finanziell außerdem deutlich besser ausgestattet und ermöglichen den Aufbau eines größeren personellen Apparats, der die Fraktionsarbeit begleitet und organisiert.

Die BiW haben Erfahrung damit, als isolierte Gruppe mit wenig Mitteln zumindest in Bremerhaven eine zugespitzte und und in der Breite der Bevölkerung wahrgenommene Oppositionsarbeit zu machen, während sie in Bremen eher als Splittergruppe am rechten Rand wahrgenommen wurden.

Beate Gissel-Baden an einem Laptop
Renate Gissel-Baden (links) wird die Geschäftsführerin der Landtagsfraktion von Bündnis Deutschland. Bild: Radio Bremen

Mit den neuen Möglichkeiten kann sich das ändern. Die erste Personalie hat Bündnis Deutschland schon bekannt gegeben: Renate Gissel-Baden soll Fraktionsgeschäftsführerin werden. Die pensionierte Verwaltungs-Fachfrau leitete zuletzt das Rechnungsprüfungsamt der Stadt Bremerhaven, war dort für ihre Streitbarkeit und Unabhängigkeit berüchtigt. Sie bringt 50 Jahren Verwaltungserfahrung und ziemlich gute Kenntnisse darüber mit, wie das politische und exekutive Getriebe vor und hinter den Kulissen funktioniert. Die Berufung Gissel-Badens kann man wohl als Zeichen deuten, in welche Richtung die Oppositionsarbeit des Bündnis Deutschland nun geht.

Fraktionsvorsitzender Jan Timke: "Wir sind alle hochmotiviert"

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 29. Juni 2023, 7:10 Uhr