Autorin schreibt über besonderes Schicksal eines Juden aus Beverstedt

Eine Frau sitzt an einem Tisch und hält ein Foto in den Händen.
Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Er floh 1939 vor den Nazis und kehrte nach Beverstedt zurück: Die Geschichte des Juden Julius Brumsack erzählt nun seine Schwiegertochter in "Der Unbeugsame". Ein bewegendes Buch.

Das eigene Haus verlassen und flüchten müssen, die Familie verfolgt und umgebracht – und alle anderen machen einfach weiter, tun so, als würden sie nichts mitbekommen. Wenn das alles vorbei ist, würde man da zurückkommen? Vor dieser Frage stand Julius Brumsack aus Beverstedt im Landkreis Cuxhaven. Der Jude konnte vor den Nationalsozialisten nach England fliehen, seine Familie wurde ermordet. Trotzdem kam Brumsack nach dem Krieg zurück – als einer von wenigen jüdischen Flüchtlingen. Seine Schwiegertochter hat seine Geschichte nun aufgeschrieben.

Ein lichtdurchflutetes Zimmer an einem hellen Herbsttag, im Garten blühen noch Blumen. Die Zeit der Nationalsozialisten fühlt sich lange vorbei und sehr weit weg an – bis Elfriede Brumsack von der Rückkehr ihres Schwiegervaters in seinen Heimatort Beverstedt erzählt. Im Frühjahr 1946 klingelte Brumsack, zu dem Zeitpunkt britischer Besatzungssoldat, an der Haustür seines Elternhauses.

Dann öffnet eine ältere Frau und er fragt: "Erkennen Sie mich noch?" Und sie sagt: "Herr Brumsack, ib heb dacht, dass Se dood weren." Das muss ein schreckliches Erlebnis gewesen sein, dass sie in der Küche sitzen und er schaut sich um – gibt es noch Dinge, die mir bekannt vorkommen? Er sieht sich in der Stube um, erkennt sogar eine Lampe.

Elfriede Brumsack, Schwiegertochter und Autorin

Nachbarn ersteigerten persönliche Gegenstände

Alles andere ist weg. Versteigert, nur Wochen nach der Deportation von Julius Brumsacks Familie nach Minsk im November 1941. Davon wollte im Ort keiner so recht gewusst haben. Aber die Versteigerung war sehr gut besucht. Man habe gesehen, wie die Familie Brumsack abtransportiert wurde und habe bei der Auktion dann alles Mögliche ersteigert – vom Kleiderschrank bis zum Nachttopf, erzählt Elfriede Brumsack.

Dass es genauso gewesen ist – und sich die Käufer und Neugierigen bei der Versteigerung des Eigentums der Familie Brumsack fast auf die Füße getreten sein müssen –, das belegt eine Auktionsliste. Julius Brumsack musste sie nach seiner Rückkehr gegen Widerstände gerichtlich einklagen. Auch um sein Elternhaus – in dem er zunächst zwei Zimmer mieten musste, um dort wohnen zu können – prozessierte er durch alle Instanzen. Jahrelang ging er allen Hinweisen nach, was aus seiner Familie geworden war, er suchte nach Spuren, Gegenständen und dem verschollenen Besitz. Nicht zuletzt auch vielleicht nach einer letzten Nachricht an ihn.

Ich weiß noch, dass er bis zum Dachboden alles durchsucht hat – ob irgendwo, hinter irgendwelchen Tapeten, noch irgendeine Mitteilung klebt. Es ist nichts gefunden worden. Über Jahre war das unsere Beschäftigung, dass wir den Garten umgegraben und geguckt haben. Ohne Resultat.

Hans-Jürgen Brumsack, Sohn

Ressentiments in Beverstedt

Julius Brumsack baute nach dem Krieg mit seiner Frau ein Textilgeschäft in Beverstedt auf. Sein Sohn erinnert sich, dass seine Eltern versuchten, ihn möglichst unbefangen aufwachsen zu lassen. Trotzdem habe er bei den Menschen Ressentiments gegenüber seinem Vater gespürt. "Der war, denke ich, immer ein sehr anerkannter Bürger, aber man hat ihn auch ein klein wenig gefürchtet", sagt Hans-Jürgen Brumsack. "Weil er offensichtlich mehr wusste, als er jemals geäußert hat."

Jahrelang kämpfte Julius Brumsack mit dem Staat um Aufklärung und Entschädigung. Dabei sei es ihm gar nicht um materielle Werte gegangen, erklärt Elfriede Brumsack.

Was kann man tun, wenn alle ermordet worden sind, dann bleibt einem nicht viel mehr, als das an ihnen begangene Unrecht zumindest aufzuklären. Wiedergutmachen kann man natürlich nichts.

Elfriede Brumsack, Schwiegertochter und Autorin

Nachfahren kaufen Bild aus Familienbesitz zurück

Zwei Personen stehen vor einem Gemälde mit gemaltem Obst.
Zurück in Oldenburg: Das Gemälde ist wieder im Besitz von Hans-Jürgen und Elfriede Brumsack. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

In Sehnde bei Hannover gab es einen weiteren Zweig der Familie, Onkel und Tante von Julius Brumsack. Zusammen mit seinem Cousin hatte er in ihrem Textilgeschäft gelernt. Auch Onkel und Tante wurden deportiert. Vor einigen Jahren stießen Hans-Jürgen und Elfriede Brumsack auf ein Gemälde aus deren Besitz. Da sonst nichts überliefert ist, sahen es die Geschwister als ihre Verpflichtung an, es wieder in den Familienbesitz zu bringen – was ihnen auch gelang.

Auf den juristischen Weg wollten sie sich dabei nicht verlassen und kauften dem Besitzer das Bild ab. Nun hängt das Gemälde mit den Früchten in einer Glasschale im Haus der Brumsacks in Oldenburg. Weder er noch seine Schwester hätten das Buch über ihren Vater schreiben können, sagt Hans-Jürgen Brumsack. Nur seine Frau habe die Nähe und gleichzeitig den nötigen Abstand gehabt.

Autorin recherchierte jahrelang für das Buch

Elfriede Brumsack wühlte sich durch Tausende Dokumente, die 36 Ordner füllen, recherchierte jahrelang in Archiven und fand dort alles bestätigt, was ihr Schwiegervater aufgeschrieben und erzählt hatte. Sie habe Julius Brumsack – dessen Geschichte exemplarisch und gleichzeitig besonders sei – ein Denkmal setzen wollen.

Ich wollte ein Buch schreiben – auch gegen das Vergessen. Es ist mir ganz wichtig, dass diese Geschichte nicht vergessen wird.

Elfriede Brumsack, Schwiegertochter und Autorin

Julius Brumsack starb 2011. Begraben ist er auf dem jüdischen Friedhof in Beverstedt. An ihn und seine Familie erinnern seit einigen Jahren Stolpersteine im Ort.

Mahnmal an Weserpromenade erinnert an jüdische Enteignung der NS-Zeit

Bild: Radio Bremen

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Autorin

  • Catharina Spethmann
    Catharina Spethmann

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 15. Oktober 2023, 16:40 Uhr