Interview

Würdevoller Abschied: So hilft ein Bremer Bestatter im Erdbeben-Gebiet

Drei Männer in dunkler Arbeitskleidung stehen im Dunkeln hinter einem Bagger, der einen Schuttberg wegbaggert.

Würdevoller Abschied: So hilft ein Bremer Bestatter im Erdbeben-Gebiet

Bild: Deathcare Team Germany e.V.

Tag und Nacht hat Fritz Mertens-Ahrens in den Trümmern gegraben. Der Bestatter will den Opfern des Erdbebens helfen, in Würde zu gehen. Jetzt ist er wieder zurück.

Die schrecklichen Bilder aus der Türkei und Syrien haben viele Bremer und Bremerinnen bewegt: Anfang Februar zerstörte ein schweres Erdbeben ganze Landstriche und begrub Zehntausende Menschen unter den Trümmern. Einige von ihnen konnten lebend gerettet werden – doch bislang wurden auch über 45.000 Todesopfer gezählt. Eine unvorstellbar große Zahl.

Ein Mann in Arbeitskleidung steht auf einem Schuttberg.
Eine Woche lang war der 38-jährige Fritz Mertens-Ahrens in der Türkei. Bild: Deathcare Embalmingteam Germany e. V.

Doch jemand, der zu dieser Zahl auch Gesichter im Kopf hat, ist Fritz Mertens-Ahrens. Der 38-jährige Bremer ist Bestatter – und ist vor wenigen Tagen aus dem Katastrophengebiet zurückgekehrt. Eine Woche lang hatte er in den Trümmern der türkischen Stadt Kahramanmaras Tag und Nacht nach Menschen gesucht. Denn der Verein Deathcare, für den er mit 13 weiteren Bestattern und zwei Übersetzern vor Ort war, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Opfern solcher Katastrophen einen würdevollen Abschied zu ermöglichen. Im Interview mit buten un binnen berichtet er über seine Erfahrungen.

Nach Ihrem Einsatz sind sie ja jetzt einige Tage wieder in Bremen. Wie geht es Ihnen inzwischen, konnten Sie die Eindrücke aus der Zeit in der Türkei verarbeiten?

Das kann ich noch nicht genau sagen, da ich ja erst ein paar Tage zurück bin und mich der Familien- und Arbeitsalltag schnell wieder eingespannt hat. Was natürlich noch in den Knochen steckt, ist die Müdigkeit und Erschöpfung. Das wird sicher allen Teammitgliedern so gehen, weil wir oftmals nur zwei bis vier Stunden in unserer Unterkunft verbracht haben. Da war nicht wirklich viel Erholung möglich.

Es waren viele Helfer im Einsatz, die Menschen geborgen haben und bergen. Was haben Sie als Bestatter getan?

Unser Einsatz war sehr umfangreich. Wer Leben rettet, kann nicht zwangsläufig auch mit Verstorbenen umgehen. Wir als Bestatter haben das ja schon gelernt. Damit konnten wir eine schwere Last von den anderen Helfern nehmen. Wir haben uns dann oft um die Bergung gekümmert und um den fachgerechten Abtransport aus den Trümmern.

Dann haben wir uns um die Desinfektion und Seuchenprävention gekümmert. Und Hilfestellung bei der Begleitung der Angehörigen und der Identifizierung gegeben. Wenn das nicht möglich war, haben wir in manchen Fällen auch bei der Entnahme von DNA-Material geholfen. Natürlich immer zusammen mit den Behörden vor Ort.

Frisch aufgeschüttete Gräber auf einem Friedhof, aus dem Holzkeile als Markierung aufragen.
Um die vielen Toten beisetzen zu können, wurde ein neuer Friedhof geschaffen. Bild: Deathcare Team Germany e.V.

Aber richtig bestattet, also beerdigt, haben Sie die Menschen nicht?

Nein. Wir haben eine Sammelstelle eingerichtet, um dann dort den Verstorbenen nach Möglichkeit und mit bestmöglicher Würde einen Platz zu geben, an dem sich die Angehörigen verabschieden können. Von da wurden sie dann auch von den Angehörigen oder dem städtischen Bestattungsdienst, den es da gibt, abgeholt.

Außerhalb der Stadt wurde für die Opfer ein neuer Friedhof angelegt. Dabei haben wir dann auch beraten. Zuerst hatte man zum Beispiel überlegt, Massengräber anzulegen. Aber da haben wir dann geraten, doch einzelne Gräber zu machen und die mit Nummern zu markieren. So gibt es dann immer noch die Chance, den Menschen ihre Namen zu geben, wenn die Identifikation abgeschlossen ist.

Welcher Moment ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?

Es gibt einige besondere Momente, die ich definitiv nie vergessen werde. Direkt neben unserer Basisstation in einer Sporthalle gab es ein Mehrfamilienhaus mit 95 Bewohnern. Ein Großteil konnte daraus auch geborgen werden. Es war allerdings an einer Stelle noch eine Familie verschüttet. Und dann haben wir glücklicherweise nach stundenlangem Baggern und Graben, teilweise auch von Hand, die Familie tatsächlich freigraben können.

Der Vater hatte sich noch schützend über seine Kinder gelegt, und an der anderen Seite lag die Mutter als zusätzlicher Schutz. Das hat mich schon ziemlich hart getroffen, weil ich selbst Familienvater bin.

Ein Mann in Arbeitskleidung steht auf einem Schuttberg.
Fritz Mertens-Ahrens, Bestatter und Thanatopraktiker

Für mich ist der Schutz der eigenen Kinder für alle Elternteile an erster Stelle. Aber in der Situation konnte man den Schutz, den man seinen Kindern gibt, natürlich in der Dramatik sehen und auch spüren. Da hatten wir alle Gänsehaut.

Sie sagen "glücklicherweise", aber Ihre Stimme klingt so, als hätte die Familie es nicht geschafft?

Nein, leider nicht. Aber wir konnten zumindest dann die Verstorbenen den Angehörigen übergeben, was ja auch sehr wichtig ist.

Wie kann man denn in so einer Ausnahmesituation den Menschen etwas Würde geben?

Überlebende zu retten und zu versorgen ist natürlich unglaublich wichtig. Und wenn wir auftauchen, schwindet natürlich bei vielen die Hoffnung. Aber wenn die Verstorbenen nicht vergessen werden, sondern menschlich behandelt werden, dann ist auch das humanitär. Und das freut uns auch für die Opfer.

Die sind ja meistens nur eine Zahl geblieben. Und wenn die, die sonst vergessen worden wären, nicht vergessen werden, dann haben wir, denke ich, unser Ziel erreicht.

Ein Mann in Arbeitskleidung steht auf einem Schuttberg.
Fritz Mertens-Ahrens, Bestatter und Thanatopraktiker

Worauf mussten Sie bei der Arbeit achten? Das war ja sicher auch nicht ungefährlich?

Man muss natürlich auch auf seinen Eigenschutz achten. Und man muss auch darauf achten, dass man seine Teammitglieder unterstützt. In dieser Ausnahmesituation gab es natürlich auch den ein oder anderen Fall, wo wir gesagt haben: Das ist jetzt relativ gefährlich. Und da musste man sich teilweise auch mal ein bisschen zurücknehmen.

Aber der Wunsch und der Drang, den Leuten zu helfen, hat einen natürlich auch schon mal seine Sorgen über die Sicherheit über Bord werfen lassen. Man möchte einfach helfen. Vielleicht auch mit dem Gedanken, auch mal Leben retten zu können.

Ein Bagger steht neben einem riesigen Schuttberg.
Tag und Nacht suchten die Helfer nach Überlebenden und Toten. Bild: Deathcare Team Germany e.V.

Ist das denn auch mal passiert, dass Sie jemanden lebend retten konnten?

Wir leider nicht. Aber es gab Baustellen, wo auf der gegenüberliegenden Seite von unserer Lebende gefunden wurden. Aber leider ist das nicht unsere Hauptaufgabe. Trotz alledem hat man natürlich immer die Hoffnung, dass uns auch mal so eine schöne Art der Arbeit zu Teil wird.

Was hat denn Ihre Familie dazu gesagt, dass Sie in die Türkei reisen wollten?

Der Einsatz ging natürlich nur mit dem Rückhalt der eigenen Familie. Meine Frau hat vor zwei Monaten erst unsere Tochter zur Welt gebracht. Und unser vierjähriger Sohn hatte zum Zeitpunkt der Abreise auch noch hohes Fieber. Aber weil sie weiß, dass mir das Hilfeleisten eine Herzensangelegenheit ist, hat sie das dann auf sich genommen und mich fliegen lassen. Der Abschied war dann natürlich sehr emotional, weil wir wussten, was auf mich zukommen kann.

Warum war es Ihnen wichtig, trotzdem dorthin zu fahren und zu helfen?

Ich und ein Freund wurden damals nach unserer Freisprechungsfeier vom damaligen Vorsitzenden des Vereins angesprochen. Ob wir Interesse haben, in dem Verein ehrenamtlich mitzuhelfen. Und nachdem er uns kurz vorgestellt hat, was die so machen, war sofort klar: Da machen wir mit. Und so ging es uns auch bei diesem Einsatz.

Wenn ich gefragt würde, ob ich zu diesem Einsatz noch mal hinfahren würde, würde ich ganz klar sagen: Ja, jederzeit. Weil das türkische Volk dort mir in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen ist.

Ich würde mit meinem Team auch zu jederzeit an jeden anderen Ort der Welt gehen, um dort Hilfe zu leisten. Weil wenn der Mensch dem Mensch nicht mehr hilft, dann, denke ich, hat das hier alles auch keinen Wert mehr.

Ein Mann in Arbeitskleidung steht auf einem Schuttberg.
Fritz Mertens-Ahrens, Bestatter und Thanatopraktiker

Rückblick: Wie ein Bremer Arzt den Erdbebenopfern in der Türkei hilft

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 23. Februar 2023, 13:10 Uhr