Interview

Darum passieren immer wieder tödliche Unfälle an Bahnübergängen

Mann und Frau stehen mit Fahrrädern an einem geschlossenen Bahnübergang

Verkehrspsychologe zu Unfällen auf Bahnübergängen

Bild: dpa | Frank Röder

"Zug rammt Auto": Unfälle an Bahnübergängen sind keine Seltenheit, wenn Schranken umfahren und Ampeln missachtet werden. Wieso kommt es immer wieder dazu?

Im niedersächsischen Neustadt sind kürzlich bei einem Verkehrsunfall drei junge Menschen ums Leben kommen. Inzwischen ist klar: Der 22-jährige Fahrer hatte die Halbschranken an einem Bahnübergang überfahren, das Auto mit ihm und zwei Mitfahrerinnen wurde ungebremst von einem Regionalzug erfasst.

In der Nähe von Bremen passieren auf einer Strecke zwischen Delmenhorst und Hesepe laut Berechnungen des NDR bundesweit die meisten Unfälle. Demnach waren das von 2010 bis 2022 insgesamt 40. Warum ist das so trotz Sicherheitsmaßnahmen – und was treibt die Menschen vielleicht dazu, solche Schranken zu ignorieren? ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino hat das im Gespräch mit Bremen Zwei erklärt.

Herr Chiellino, nach Angaben der Deutschen Bahn sind mehr als 95 Prozent der Unfälle auf Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zurückzuführen. Leichtsinn, Unaufmerksamkeit und Ungeduld spielen dabei eine Rolle. Unterschätzen die Autofahrer die Geschwindigkeit der Züge oder warum passieren diese Unfälle?

Das ist natürlich eine berechtigte Frage, aber man muss ganz klar sagen, dass hier Regeln missachtet und übertreten werden. Die Bahnübergänge sind ja auch gesichert oder mit einer Lichtsignalanlage ausgestattet, und wenn man dann den Versuch startet, diese Regel zu umfahren oder zu umgehen, dann geht man eben Risiken ein. Gerade bei Dunkelheit ist der Zug oder die damit verbundene Geschwindigkeit nicht immer klar zu erkennen. Und nicht umsonst versucht man durch diese Anlagen die Gefahrenmomente deutlich zu machen.

Sie haben die Risikobereitschaft angesprochen. Die muss ja ziemlich groß sein, wenn man eine heruntergelassene Schranke umfährt. Sind das bestimmte Gruppierungen, die so etwas machen? Also mehr Männer als Frauen, mehr Junge als Alte, oder umgekehrt?

Wir sehen im Straßenverkehr insgesamt, dass junge Männer mehr Risiken eingehen, als es vergleichsweise Frauen machen. Die jungen Fahrer sind insgesamt auch eine Hochrisikogruppe, weil sie oft ihre Fähigkeiten überschätzen. So etwas kommt natürlich enorm in der ersten Phase des motorisierten Verkehrs vor. Und leider kommt es auch immer wieder zu Unglücken in diesen jugendtypischen Fahrsituationen, wenn die jungen Menschen in Gruppen unterwegs sind oder bei Dunkelheit. Und diese Kombination mit dem Überschätzen der eigenen Fähigkeiten führt dann häufig zu unglücklichen Situationen.

Züge haben nicht den gleichen Anhalteweg wie Autos, Züge können einen Fehler nicht kompensieren. So ein Zug mit Tausend Tonnen hat ungefähr einen Kilometer, also 1.000 Meter Anhalteweg, bei einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern.

ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino

Nun wird auch nach mehr Sicherheitsmaßnahmen auf Seiten der Deutschen Bahn gerufen. Warum brauchen die Menschen immer noch mehr Regularien? Warum hilft nicht der gesunde Menschenverstand?

Ja, das ist genau richtig. Man kann nicht noch mehr Regeln schaffen, sondern muss sich darüber klar werden, warum es die Regeln gibt. Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass diese Regeln ihren Sinn haben und es natürlich gut ist, wenn man sie nicht nur als Empfehlung sieht, sondern sich auch daran hält. Auch wenn man vielleicht mal in einer ungeduldigen Phase ist oder glaubt, sich darüber hinwegsetzen zu können. Dann muss man eben trotzdem an die Vernunft appellieren und sich sagen, dass die Regeln ihren Sinn haben und man sie befolgen muss.

Ich möchte noch einmal klarstellen: Züge haben nicht den gleichen Anhalteweg wie Autos, Züge können einen Fehler nicht kompensieren. So ein Zug mit Tausend Tonnen hat ungefähr einen Kilometer, also 1.000 Meter Anhalteweg, bei einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern. Und da ist eben nicht wie an Kreuzungen mit Rotlicht die Möglichkeit gegeben, dass der andere Verkehrsteilnehmer einen Fehler kompensiert.

Für Lokführer ist es natürlich ein riesiger Schock, ein Auto mitzunehmen. Was könnte die Bahn denn tun, um für mehr Sicherheit zu sorgen? Müsste man Blitzer installieren oder die Bußgelder erhöhen? Wo wären da noch Möglichkeiten?

Ich würde sagen, das ist eine Abwägungssache. Letztlich kann man natürlich den höchsten Standard verlangen, sodass man sagt, wir brauchen vollbeschrankte Bahnübergänge. Aber auch die haben ihren Nachteil. Dort kann man dann nicht mehr zügig die Gleise räumen, weil dort dann auch ein Fortkommen nicht mehr möglich ist. Wichtig ist, dass dort investiert wird, wo es noch keine Lichtanlagen gibt, sodass man dort auch mit Unterstützung sicher den Bahnübergang passieren kann. Und auch da werden letztlich die Kapazitäten hingelegt, um hier einen höheren Standard zu schaffen. Ansonsten gilt für alle Verkehrsteilnehmenden sich klarzumachen: Rotlicht bedeutet rote Linie und nicht Empfehlung.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 26. April 2023, 14:40 Uhr