Wie Bremer Nazis mit Umzugsgut jüdischer Emigranten Geld verdienten

Was passierte in der Nazizeit mit dem Umzugsgut jüdischer Auswanderer? Diese Frage beschäftigt Susanne Kiel vom Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven.

Ihr Leben konnten sie retten, indem sie gerade noch rechtzeitig das Land verließen. Auf ihr Hab und Gut, das sie sich nachschicken lassen wollten, warteten 800 bis 1.000 jüdische Emigranten aus Bremen aber vergeblich: Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, konnten zivile Schiffe nicht mehr auslaufen und Möbel, Hausrat und Wertgegenstände der Auswanderer blieben in den Häfen liegen – auch in Bremen und Bremerhaven. Die Gestapo der Nationalsozialisten und später die Finanzdirektionen beschlagnahmten die Güter, um sie anschließend öffentlich zu versteigern. Als "Nichtarier-Auswanderergut" wurden die Habseligkeiten der jüdischen Familien bezeichnet. Was damals genau geschah und welchen Weg die Gegenstände nahmen, damit befasste sich ein internationales Symposium.

Susanne Kiel steht vor ihrem Schreibtisch und zeigt auf Kopien der historischen Unterlagen.
Susanne Kiel forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Schifffahrtsmuseums an dem Umgang mit jüdischem Umzugsgut in der Nazizeit. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Susanne Kiel vom Deutschen Schifffahrtsmuseum sitzt in ihrem Bremerhavener Büro zwischen Kopien von Versteigerungsprotokollen und alten Akten. Auf dem Computerbildschirm links von ihr ist eine digitalisierte, durch die Vergrößerung grobkörnig aussehende Zeitungsannonce in altertümlichem Schriftbild geöffnet: "Öffentliche Versteigerung! Heute Dienstag, den 12. Mai 1942, nachmittags 14 Uhr versteigern wir im Schuppen S der Weser-Lagerungsgesellschaft Emder Straße im Auftrage des Herrn Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems Auswanderer-Umzugsgut: Wohnzimmer, 1 Flügel, Gartenmöbel, Couch, Ölgemälde, diverse echte Brücken und Teppiche, Glas, Porzellan meistbietend gegen bar. Berthold Kühling, Gerichtsvollzieher."

Allein in Bremen gab es drei öffentliche Versteigerungsorte

Auf einem Computerbildschirm ist eine alte Zeitungsannonce zur öffentlichen Versteigerung von jüdischem Umzugsgut zu sehen.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden in Zeitungsannoncen zur öffentlichen Versteigerung von jüdischem Umzugsgut geschaltet. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Die Annonce kündigt die Versteigerung des Umzugsguts von Familie Katz aus Bielefeld an. Das konnte Susanne Kiel anhand von Daten in anderen Akten ermitteln. "Willy Katz, Erbe eines Textilunternehmens und Vera Katz, geborene Löwenstein, aus Düsseldorf. Verwandt mit dem Kunsthändler Flechtheim aus Düsseldorf. Und die beiden hatten auch einen Sohn, Peter. Besaßen eine ansehnliche Kunstsammlung, vor allem mit Meistern der Moderne: Picasso, Maillol, aber auch Paula Modersohn-Becker und andere", erzählt Susanne Kiel. Willy Katz war in der Reichspogromnacht 1938 untergetaucht. Nach seiner Rückkehr einige Monate später beantragte die Familie die Auswanderung – ein langwieriges Verfahren. Willy Katz fuhr mit Sohn Peter über Großbritannien voraus in die USA, nach Cleveland/Ohio. Seine Frau wollte noch das Hab und Gut der Familie retten und den Transport in die USA organisieren. Aber der Kriegsausbruch kam dazwischen, sie konnte nur noch eilig fliehen.

"Die Kunstsammlung ist mit knapp tausend anderen Frachtstücken in Bremerhaven verblieben, weil sie nicht mehr rechtzeitig aus Deutschland nach Übersee verschifft werden konnte. Für die zivile Schifffahrt war kein Auslaufen mehr möglich ab dem 1. September", erklärt Susanne Kiel. Zwei große Holzkisten, die die Speditionen damals eigens für die Emigranten anfertigen ließen, wollte Familie Katz verschiffen lassen. Sie wurden mit dem gesamten Inhalt, knapp sechs Tonnen, von den Behörden beschlagnahmt. So wie Familie Katz ging es vielen Emigranten, erzählt die Wissenschaftlerin – auch in anderen europäischen Häfen wie Hamburg, Rotterdam, Triest und Genua. Drei Versteigerungsorte habe es allein in Bremen gegeben.

Auf Entschädigungen warteten die Auswanderer meist vergeblich

"Zum Beispiel Ausgebombte konnten sich Bezugsscheine holen und mit diesen Bezugsscheinen bei den Versteigerungen ihre Verluste ausgleichen und sich holen, was sie brauchten. Und dann haben wir aber auch schon sehr viele Händler nachweisen können. Da sind die Sachen dann mit hoher Gewinnspanne noch weiter verkauft worden", führt Susanne Kiel aus. Der Erlös aus den Versteigerungen floss erst an die Finanzkasse Bremen, von dort an die Reichsfinanzkasse Berlin-Brandenburg. Um Entschädigungen habe die Mehrheit der Emigranten regelrecht feilschen müssen, zum Teil noch Jahrzehnte nach dem Krieg, das gehe aus den Akten hervor.

Zwei Hände zeigen auf eine Kopie einer historischen Liste.
In handschriftlichen Listen wurden die beschlagnahmten Gegenstände der jüdischen Emigranten festgehalten. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

In den Rückerstattungsverfahren habe die Oberfinanzdirektion die Werte heruntergespielt, "auch Jahre und Jahrzehnte nach Ende des Krieges", berichtet die Wissenschaftlerin am Beispiel Bremen. Überdies seien im Laufe der Jahre ganze Aktenbestände vernichtet worden, weil Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien. Dadurch sei der Informationsfluss zum Verbleib der Güter versandet. Den betroffenen Familien aber "haben wir auch heute noch Rechenschaft abzulegen, was mit ihrem Besitz geschehen ist", betont Kiel.

Ein heißes Gefühl von Scham

"Dann kommt Ihnen schon manchmal ein heißes Schamgefühl hoch. Manche Briefe sind sehr persönlich. Und eine Frau schrieb auch: 'Ich hab das Gefühl, ich müsste um diese Wiedergutmachtung betteln.'" Susanne Kiel will klären, welchen Weg die versteigerten Gegenstände genommen haben. Zu ihrem Projekt gehört eine Datenbank, die sich ausdrücklich nicht nur an Forscher richtet, sondern allen zugänglich sein soll, die sich für das Thema interessieren. Denn auch in den Häfen von Triest, Genua, Rotterdam und Antwerpen wurde, ähnlich wie in Norddeutschland, das Umzugsgut jüdischer Emigranten beschlagnahmt und öffentlich versteigert. Susanne Kiel hofft, mit der offenen Datenbank weitere Wissenslücken schließen zu können. Das wollen auch die Angehörigen von Emigranten, die sich immer wieder bei ihr melden:

Und dann geht es diesen Angehörigen gar nicht immer unbedingt darum, einen neuen Claim – oder Anspruch zu stellen, sondern das geht denen ganz oft um die Familiengeschichte.

Susanne Kiel, vom Deutschen Schifffahrtsmuseum

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Autorin

  • Catharina Spethmann
    Catharina Spethmann

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 7. Oktober 2021, 17:20 Uhr