Straßenbahnunruhen: "70 Pfennig – lieber renn' ich!"

Im Januar 1968 spielten sich wilde Szenen in Bremen ab: Schülerinnen und Schüler blockierten tagelang die Schienen, um gegen eine Fahrpreiserhöhung zu protestieren.

Am Anfang waren es nur etwa 50 junge Leute, die die Straßenbahnschienen an der Domsheide blockierten. Seit dem Morgen war der Einzelfahrschein für Bus und Bahn 10 Pfennig teurer. Die Parole der Demonstranten: "70 Pfennig – lieber renn' ich!" Zunächst standen oder saßen sie aber auf den Gleisen.

Die Politik hatte kein Verständnis für den Protest. Innensenator Karl-Heinz Löbert kündigte eine harte Linie an: "Sie dürfen sicher sein, dass wir uns derartige Ereignisse nicht noch einmal werden bieten lassen. Wir sind gewillt und in der Lage, schärfere Mittel polizeilicher Art gegen solche Machenschaften einzusetzen!"

Am nächsten Tag waren es schon mehr als 1.000 junge Demonstranten. Sie protestierten gegen die höheren Fahrpreise. Aber auch gegen den Staat und seine Institutionen. Es war schließlich das Jahr 1968. In anderen Städten gingen die Studenten auf die Straße – in Bremen, das noch keine Uni hatte, übernahmen Schüler diese Rolle. Es flogen Steine und Eier, die Polizei setzte Schlagstöcke und Wasserwerfer ein.

Der Draufhauen-Nachsetzen-Tag

Die Proteste brachten den Fahrplan der BSAG kräftig durcheinander. Am dritten Tag waren es schon über 5.000 Demonstranten. Radio Bremen berichtete live: "Dieser Knall eben war kein Schuss, sondern einer der vielen Knallkörper, die heute Abend hier zur Explosion gelangten. Mehrere tausend Menschen umringen den Einsatzzug der Straßenbahn vor dem Dom. Jetzt wird Bereitschaftspolizei eingesetzt. Sie umringt den Straßenbahnzug."

Bremens Polizeipräsident Erich von Bock und Polach trug nicht zur Deeskalation bei. "Draufhauen, draufhauen, nachsetzen", lautete seine Anordnung an die Polizisten. Radio-Bremen-Autor Detlef Michelers war damals unter den Demonstranten, die das zu spüren bekamen: "Vor mir die Polizisten, und wir debattierten! Und da kam plötzlich dieser Befehl. Und plötzlich laufen diese jungen Polizisten los, ziehen die Schlagstöcke und prügeln auf uns ein."

Annemarie Mevissen spricht mit Megaphon zu Tausenden Demonstranten
Annemarie Mevissen steht mutig "ihren Mann" mit Megaphon. Bild: dpa | Lothar Heidtmann

Die Proteste stoppte das nicht. Im Gegenteil: Die Betriebsräte der Klöckner-Hütte und der AG Weser-Werft solidarisierten sich mit den jugendlichen Demonstranten. Die Stimmung war zunehmend aufgeheizt. Der stellvertretenden Regierungschefin, Jugendsenatorin Annemarie Mevissen, gelang es schließlich am fünften Tag, die Lage zu entschärfen. Mit dem Megaphon in der Hand kletterte sie auf eine Streusalzkiste an der Domsheide und sprach zu den Demonstranten.

Bürgermeister Hans Koschnick war auf Dienstreise – ein Fehler, wie er selbst später einräumte: "Das waren heiße Tage für beide Seiten. Die Jungen, die rebellierten. Und wir, die Antworten suchen mussten. Nicht immer vollkommene Antworten gegeben haben – und damit auch ein bisschen angeheizt haben."

Autorin

  • Birgit Sagemann
    Birgit Sagemann

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, 15. Januar 2018, 7:50 Uhr