Interview

"Für den Erfolg bei Sportwetten braucht es nur einen Faktor: Glück"

Wettbüros dicht: So geht es in Bremen in Sachen Sportwetten weiter

Bild: dpa | Caroline Seidel

Die Bremer Innenbehörde geht hart gegen Sportwettbüros in Bremen vor. Richtig so, findet ein Glücksspielforscher. Er erklärt, wieso Sportwetten gefährlich sind und nichts mit Sport zu tun haben.

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) geht derzeit hart gegen Sportwetten vor. Im Land Bremen müssen nicht nur die übergeordneten Veranstalter von Sportwetten wie Tipico und Tipwin öffentlich machen, woher das Geld für ihre Gründung kommt. Auch die Sportwettbüros vor Ort müssen das nun nachweisen.

Solange die nötigen Unterlagen dafür nicht vorliegen, müssen die Wettbüros schließen – tun sie das nicht, wird dies als Angebot von illegalem Glücksspiel gewertet und entsprechend bestraft. Tobias Hayer forscht an der Universität Bremen zum Thema Glücksspielsucht.

Herr Hayer, wieso geht Bremen eigentlich gegen Sportwetten vor?

Wir wissen, dass mit Sportwettangeboten grundsätzlich mit Kollateralschäden verbunden sind. Die wären in erster Linie: Glücksspielsucht, Geldwäsche, Kriminalität in und im Umfeld der Wettbüros sowie Spielmanipulation. Innensenator Mäurer widmet sich aktuell den Sportwetten wegen des Risikos der Geldwäsche. Es geht in Bremen um die Wettvermittlungsstellen, die Gesetzgebungskompetenz liegt da auch beim Land. Betrachtet man das Vorgehen aus der Perspektive der Glücksspielsuchtprävention, ist eine Beschränkung des Angebots sicherlich eine der zielführenden Maßnahmen.

Auf Bremens Vorstoß hat das hessische Innenministerium mit Kopfschütteln reagiert. Warum?

Es gibt den seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen den Liberalisierungsbefürwortern und den eher protektionistisch aufgestellten Bundesländern. Bei den Befürwortern ist exemplarisch das Bundesland Hessen zu nennen, das argumentiert, es brauche diese Menge an Glücksspiel- und Online-Sportwettangeboten sowie Wettvermittlungsstellen. Sie sollen die Spielbedürfnisse in der Bevölkerung bedienen und in kontrollierbare Bahnen lenken. Bundesländer wie Bremen möchten hingegen keine ausufernde Marktentwicklung, sondern ein Sportwett- beziehungsweise Glücksspielangebot, das eher restriktiv ausgerichtet ist.

Aber wieso sind die Bundesländer so unterschiedlicher Meinung?

Es geht auf der einen Seite sicherlich auch um wirtschaftliche Interessen. Das Geschäftsmodell der privaten Glücksspielanbieter ist auf Umsatzmaximierung ausgerichtet, durch Steuereinnahmen verdient der Staat kräftig mit. Die andere Seite orientiert sich eher am Gemeinwohl, da geht es um die Stärkung der Suchtprävention und des Spielerschutzes. Sie betonen unter anderem die gesellschaftlichen Kosten, die ein liberaler Glücksspielmarkt mit sich bringt. Auf diesem Kontinuum ordnen sich die Länder ein.

Tobias Hayer
Dr. Tobias Hayer forscht auf dem Gebiet der Glücksspielsucht an der Universität Bremen. Bild: Kai Uwe Bohn / Universität Bremen Hochschulkommunikation

Und wo stehen Sie?

Ich bin grundsätzlich auf der Seite von Herrn Mäurer. Im Glücksspielstaatsvertrag ist eine juristische Krücke als Argumentationshilfe eingebaut: Es steht geschrieben, dass der "natürliche Spieltrieb" der Bevölkerung in geordnete und überwachbare Bahnen gelenkt werden muss. Denn wenn etwas legal ist, kann der Staat auch besser für den Konsumenten- und Jugendschutz sorgen. Diese Vorannahme ist an vielen Stellen falsch.

Wieso?

Erstens müsste es fachlich korrekt Glücksspieltrieb heißen, weil man die Begriffe Spiel und Glücksspiel nicht miteinander vermengen sollte. Glücksspiel ist keine Unter- oder Nebenkategorie des Spiels, sondern etwas ganz Eigenständiges. Spiel ist eigentlich: to play – das kindliche Spiel. Da gibt es ein Spielbeginn, Spielregeln und ein Spielende. Man steigt aus dieser Spielwelt wieder aus, und es ist nichts passiert – außer der Erfahrungsgewinn. Beim Glücksspiel (Gambling) sieht das ganz anders aus. It's all about money –  es geht um viel Kohle. Das ist der primäre Spielanreiz, auch beim Sportwetten. Ökonomen bezeichnen das Glücksspiel als "demeritorisches Gut". Das heißt: nicht verdienstvoll für die Gesellschaft. Es werden keine nachhaltigen Werte geschöpft, sondern soziale Kosten verursacht, insbesondere durch glücksspielsüchtiges Verhalten. Nicht selten verzocken die Betroffenen Haus und Hof oder landen im Knast. Hier sehe ich wirklich keine Überschneidung mehr zum "Playing".

Spieltrieb und Glücksspiel haben also nichts miteinander zu tun?

Trieb bedeutet eine psychische Energie, die wir alle haben. Eine aktuelle Bevölkerungsumfrage in Deutschland hat jedoch ergeben, dass noch nicht einmal jede dritte Person in den vergangenen zwölf Monaten Glücksspielangebote – also neben Sportwetten auch Lotterien, Automatenspiele und mehr – genutzt hat. Da frage ich mich: Wo ist denn dieser Trieb bei den anderen zwei Dritteln hin? Sind die alle krank, weil sie diesen "Spieltrieb" nicht verspüren? Natürlich nicht.

Wie gefährlich sind Sportwetten?

Es gibt bei Sportwetten viele Spielvarianten – von der privaten Wette im Freundeskreis über die Langzeitwette auf den Ausgang der Bundesligasaison mit einem Einsatz von fünf Euro bis hin zu Livewetten auf gerade stattfindende Sportereignisse, bei denen im Sekundentakt Geld eingesetzt beziehungsweise gewonnen und verloren werden kann. Alle haben ein unterschiedliches Suchtpotenzial. Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein junger Mann platziert eine Sportwette, setzt einen Euro ein und gewinnt zeitnah 1,50 Euro. Das geht nicht nur mit Glücksgefühlen einher, sondern ist auch eine Bestätigung seiner vermeintlichen Expertise. Er denkt sich: Hätte ich zehn Euro eingesetzt, hätte ich jetzt 15 Euro in der Tasche. Und dies kann, zusätzlich getriggert durch entsprechende Werbung, zum Weiterspielen animieren. 

Aber wenn so viele Menschen am Glücksspiel teilnehmen, deckt das Angebot dann nicht die Nachfrage?

Ich sehe die Kausalverknüpfung beim Glücksspiel eher anders herum: Angebot schafft Nachfrage. Die mannigfaltigen Wettangebote und die dazugehörige umfassende Werbung führen erst zu einer entsprechenden Produktnachfrage. Mit anderen Worten: Zunächst werden Spielanreize gesetzt, die dann in einer Wettbeteiligung münden. Das können Sie übrigens auch an der Umsatzentwicklung auf dem Sportwettmarkt ablesen. Die Zahlen sind in den letzten Jahren quasi durch die Decke geschossen. Mit der Zeit wurden die damit einhergehenden Suchtprobleme dann aber auch sichtbarer. Wir haben zum Beispiel Hinweise aus den Suchtberatungsstellen, nach denen der Anteil der Sportwettenden unter den glücksspielsüchtigen Personen seit etwa fünf Jahren deutlich gestiegen ist. Mittlerweile gibt es Statistiken, die besagen, dass jede dritte Person mit einem Glücksspielproblem aus dem Sportwettbereich kommt.

Aber geht es bei Sportwetten im Gegensatz zum Lotto nicht auch um sportliches Fachwissen?

Alleine der Begriff Sportwetten suggeriert bisweilen, dass es um Wissen und bestimmte Fähigkeiten oder Fertigkeiten geht. Unsere Forschungsgruppe hat unlängst dazu einen Übersichtsbeitrag geschrieben. Das Ergebnis: Wenn überhaupt, gibt es beim Sportwetten einen minimalen Kompetenzanteil. Die Forschungsergebnisse zeigen nämlich: Wenn Laiengruppen gegen Expertengruppen wetten, können die Experten und Expertinnen durchaus häufiger recht haben, weil sie in der Regel auf die Favoriten setzen. Das wäre der Kompetenzanteil, der in der Regel aber nur relativ geringe Geldgewinne einbringt. Und was das Geld anbelangt, sind beide Gruppen hier auf längere Sicht auf Augenhöhe. Und zwar beide im Minus – der Sportwettanbieter ist der sichere Gewinner. Dennoch können Sie wie beim Lotto auch beim Sportwetten Millionär werden. Sie brauchen tatsächlich dazu nur einen Faktor: Glück.

Wenn es aber nur um Geld geht und man unter dem Strich verliert – was ist dann der Reiz der Sportwette?

Letztendlich ist Teilnahme am Glücksspiel und damit auch an Sportwetten der Kauf von Emotionen, die Sie im Alltag nicht haben. Beim Sportwetten sind diese Emotionen gleich doppelt zu haben: Mit der ohnehin vorhandenen Begeisterung für den Sport und dem möglichen finanziellen Gewinn beim Platzieren einer Sportwette. Übrigens erhalten Sie diese stimulierenden Effekte zunächst einmal unabhängig vom Ausgang ihrer Wette. Bereits die Aussicht auf Belohnung geht im Gehirn mit der Ausschüttung von Dopamin einher. Dopamin gilt alltagssprachlich als Glückshormon und vermittelt positive Gefühlserlebnisse. Haben Sie dann zusätzlich richtig getippt, potenziert sich dieses Glücksgefühl.

Sollten Sportwetten verboten werden?

Ich bin kein Verbotsanhänger. Ich glaube, Prohibition im Suchtbereich wird immer dann fehlschlagen, wenn die potenziellen Suchtmittel bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Das hat die Vergangenheit schon gezeigt, etwa bei der Alkoholprohibition in den USA vor 100 Jahren. Ich bevorzuge einen eng umschriebenen Markt mit einem verantwortungsbewussten Produktangebot und der Implementierung von effektiven Spieler- und Jugendschutzmaßnahmen. Am besten lässt sich das mit monopolartigen Strukturen umsetzen, denn das würde die Wettbewerbssituation zwischen Privatunternehmen entschärfen. Denn bei einer Konkurrenzsituation sind die einzelnen Anbieter quasi gezwungen Werbung schalten, um ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und die Kundschaft anzusprechen. Und zwar nach dem Prinzip schneller, höher, weiter. Ob da jetzt ein Privatunternehmen oder der Staat das Angebot schafft, ist mir prinzipiell egal, solange dieser Aufschaukelungswettbewerb in Sachen Kunden- und Kundinnenbindung ausbleibt.

  • Alle Sportwettbüros im Land Bremen vorübergehend geschlossen

    Mit der Schließung wolle man einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung vorbeugen, so der Deutsche Sportwettenverband. Grund ist eine neue Strategie der Innenbehörde im Kampf gegen Geldwäsche.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. August 2022, 19:30 Uhr