Interview

Bremer Migrationsexperte: Das ist das Kernproblem der Abschiebedebatte

Migrationsforscher vermutet: Bremens Abschiebepolitik wird sich nicht ändern

Bild: dpa | Michael Kappeler

Die hohe Zahl der Asylbewerber überfordert Behörden und Verwaltungen, sagt Migrationsforscher Stefan Luft von der Uni Bremen. Dass in Zukunft mehr abgeschoben wird, glaubt er nicht.

Als Reaktion auf den Messerangriff in Solingen hat die Bundesregierung ein Sicherheitspaket auf den Weg gebracht – das auch einige Maßnahmen in der Asylpolitik beinhaltet. Unter anderem sollen bestimmten Asylbewerbern die Leistungen gestrichen werden, außerdem soll die Zahl der Abschiebungen steigen – auch weil das Dublin-Verfahren konsequenter angewendet werden soll. Nach diesem Verfahren kann ein Asysuchender in das EU-Land abgeschoben werden, das er als als erstes betreten hat.

Stefan Luft, Migrationsforscher an der Uni Bremen, sieht die Pläne der Bundesregierung skeptisch. Im Interview mit buten un binnen erklärt er, wo er die Knackpunkte in der Debatte um Asyl- und Abschiebungspolitik sieht.

Herr Luft, warum ist das Dublin-Verfahren in den vergangenen Jahren kaum umgesetzt worden – weder bundesweit noch in Bremen?

Das Dublin-Verfahren ist in hohem Maße ineffizient. Es wird nur ein geringer Teil der Betroffenen – etwa fünf bis zehn Prozent – in die Erstaufnahmestaaten zurückgeführt. Das liegt daran, dass die Zahlen so hoch sind, dass die Erstaufnahmestaaten – beispielsweise Griechenland, Bulgarien und Italien – überfordert sind und aus diesem System ausgestiegen sind. Sie hätten die Pflicht, die Leute zu registrieren und die Verfahren durchzuführen, sie winken sie aber einfach durch. Und deswegen funktioniert das nicht.

Stefan Luft, Migrationsforscher an der Uni Bremen.
Migrationsforscher Stefan Luft arbeitet an der Universität Bremen. Bild: Radio Bremen

Wie wirksam ist der Vorschlag der Bundesregierung, konsequent zurückzuführen? Das ist ja das Ziel.

Nun, es wird uns ja immer wieder aufgetischt, dass man möglichst viele abschieben soll. Der Bundeskanzler hat das letztes Jahr im "Spiegel" ganz groß herausposaunt – geschehen ist nichts. Und die Wahrscheinlichkeit, dass es noch passiert, ist eher gering. Die Gründe für das Scheitern von Abschiebungen und den geringen Anteil tatsächlicher – auch freiwilliger – Rückreisen sind vielfältig. Da müsste man an sehr vielen Schrauben drehen.

Der Hauptgrund ist die große Zahl an Personen – im letzten Jahr mehr als 300.000 – die im Jahr nach Deutschland kommen. Und das kann von den Behörden, von den Verwaltungen kaum bewältigt werden.

Stefan Luft, Migrationsforscher der Uni Bremen

Wie beurteilen Sie dann den Vorschlag, allen Ausreisepflichtigen die Sozialleistungen zu kürzen? Experten sagen jetzt schon, das sei absehbar verfassungswidrig.

Wie das im Endeffekt von den Gerichten bewertet wird, vermag ich nicht zu sagen. Tatsache ist, dass in Dänemark und Schweden entsprechende Leistungen sehr stark gekürzt worden sind – und die Zahl der Asylbewerber ist dort dann auch stark zurückgegangen. Das mag unterschiedliche Ursachen haben.

Das Problem ist jedenfalls: Wenn diese Menschen nicht zurückgeführt werden können, müssen sie von irgendwas leben, müssen irgendwo untergebracht werden. Die unter den Brücken von Bremen campieren zu lassen, kann nicht sinnvoll sein.

Bremen hat ja nie groß abgeschoben: zu aufwendig, zu kostspielig, hieß es. Wird sich das jetzt ändern?

Das wird sich nicht ändern. Das liegt aber an hausgemachten Problemen: Die politische Konstellation in Bremen mit SPD, Grünen und Linkspartei ist nicht geeignet dafür, um innenpolitisch auf diesem Feld voranzukommen.

Sie sagen also: Das Sicherheitspaket der Bundesregierung wird keinen Durchbruch bringen. Warum konzentriert man sich dann nicht auf ein vernünftiges Einwanderungsgesetz?

Es sind immer wieder große Hoffnungen mit einem Einwanderungsgesetz verbunden worden. Und es sind ja auch immer wieder Gesetzeswerke auf den Weg gebracht und verabschiedet worden.

Es ist aber eine Illusion zu meinen, man müsse ein Gesetz verabschieden und dann lösten sich die Probleme von alleine.

Stefan Luft, Migrationsforscher der Uni Bremen

Wir haben einfach ein Problem, wenn wir mehrere Hunderttausend Asylbewerber pro Jahr haben. Wir müssen prüfen, wer von denen sich aus unserer Sicht zu Recht und wer zu Unrecht auf Asyl beruft, wer dann hier ein Bleiberecht bekommt und wer bekommt keins, und was mit denen passiert, die keins bekommen. Müssen die tatsächlich wieder ausreisen? Das ist das Kernproblem. Das kann man bisher nicht lösen. Acht von zehn Ausreisepflichtigen bleiben in der EU. Das heißt, das Risiko tatsächlich gehen zu müssen, ist sehr gering. Dementsprechend ist der Anreiz, zu kommen, sehr groß

Das Interview führte Lea Reinhard, Julian Beimdiecke hat es für butenunbinnen.de aufgeschrieben.

Was die Maßnahmen in der Asylpolitik für das Land Bremen bedeuten

Bild: Radio Bremen

Autorin

  • Lea Reinhard
    Lea Reinhard

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 30. August 2024, 19:30 Uhr