Interview

Was bringen die Beschlüsse des Migrationsgipfels, Herr Luft?

Was bringen die Beschlüsse des Migrationsgipfels, Herr Luft?

Bild: Radio Bremen

Bund und Länder haben festgelegt, wie sie künftig beim Thema Migration vorgehen wollen. Über die Ergebnisse des Gipfels spricht Felix Krömer mit Migrationsforscher Stefan Luft.

80 Prozent der Radio-Bremen-Meinungsmelder sind mit der Asylpolitik des Bremer Senats unzufrieden – das hat unsere Befragung im November ergeben. Sie ist nicht repräsentativ, teilgenommen haben rund 5.500 Menschen. Die Hälfte davon gab an, "überhaupt nicht zufrieden" mit der Bremer Asylpolitik zu sein. Sie haben unter anderem Angst, dass Bremen mit der Migration überfordert ist, dass die Menschen nicht untergebracht werden können oder das Sozialsystem überlastet ist. Es gab dabei sowohl die Sorge vor steigender Kriminalität als auch vor einem zunehmenden Rechtsruck.

Die Befragung fand noch vor dem Migrationsgipfel in Berlin statt, bei dem Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder zusammen gekommen sind. Dabei wurden auch eine Reihe von Beschlüssen gefasst. Doch was bringen diese überhaupt? Oder sind die Ergebnisse Symbolpolitik – oder gar Augenwischerei? Über diese Fragen spricht Felix Krömer mit Stefan Luft, Migrationsforscher an der Universität Bremen.

1 Stehen wir wirklich kurz vor dem Kollaps in Sachen Migration?

Ganz so drastisch will er es nicht ausdrücken – aber Veränderungen gebe es gerade schon, sagt Luft, etwa im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt. "Migration verteilt sich ja nie gleichmäßig über ein Zielland, auch nicht über die Stadt Bremen beispielsweise. Da sehen natürlich viele, dass an bestimmten Brennpunkten wie dem Hauptbahnhof oder auch in Stadtteilen die einheimische, nicht zugewanderte Bevölkerung zunehmend zur Minderheit wird. Insbesondere in den Schulen, wo sich das nochmal stärker auswirkt als beim Wohnen."

Mittlerweile habe sich die öffentliche Meinung zum Thema Migration geändert. "Das Gefühl war ja zunächst positiv. Es gab eine Willkommenskultur, die Bild-Zeitung hat sehr positiv berichtet und alle Kritiker in die Schranken gewiesen. Und es gab an den Bahnhöfen Empfangskomitees." Was die Stimmung zum Kippen gebracht hat und wie unterschiedlich die Stadtteile Bremens und Bremerhavens von Migration betroffen sind, erklärt Luft ab Minute 5.

2 Ist Geld aus Sozialleistungen ein "Pull"-Faktor für Migration?

Dass sich Menschen nur wegen der Sozialleistungen auf den Weg nach Deutschland machen, ist laut Luft nicht der Fall. "Die Entscheidung, aus einem Herkunftsland wegzugehen – ob unter Zwang oder freiwillig – ist erstmal völlig unabhängig von der Frage, was es in möglichen Zielstaaten für Bedingungen gibt."

Die konkrete Frage, ob es vielleicht nach Deutschland gehen soll, stelle sich für Flüchtlinge erst, wenn sie an der EU-Außengrenze stehen. "Dann gibt es eine Reihe von Faktoren, die in die Beurteilung einfließen", erklärt Luft. Die wirtschaftliche Lage in einem Land habe etwa Einfluss – oder ob es dort Arbeitsplätze, Wohnraum, Schulen, ärztliche Versorgung – und eben auch Sozialleistungen gebe. "Das ist ein Faktor unter vielen", stellt Luft klar. Wie er sich erklärt, dass die Politik trotzdem immer diesen Punkt bearbeitet, erklärt er ab Minute 30.

3 Es soll geprüft werden, ob Asylverfahren künftig in Drittstaaten durchgeführt werden können. Wäre das eine sinnvolle Maßnahme?

Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen, könnte Luft zufolge am ehesten zum Ziel führen. "Es gibt viele, die sagen, dass man dadurch auch das Sterben auf dem Mittelmeer reduzieren könnte." Menschen, die keine Chance hätten, in der EU zu bleiben, machten sich so bestenfalls nicht mehr auf den Weg.

Die Frage, wie man diejenigen zurückführt, die kein Bleiberecht haben, stelle sich dann auch nicht mehr. Krömer merkt allerdings an, dass er sich schwer vorstellen könne, wie das dann konkret aussehen soll. Inwiefern dabei der Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016 eine Blaupause darstellen könne, erklärt Luft ab Minute 37.

4 Warum ist es so schwierig, Ausreisepflichtige abzuschieben?

Ein Problem bei der Durchführung von Abschiebungen aktuell ist: Die Herkunftsstaaten wollen oftmals ihre Staatsbürger trotz rechtlicher Verpflichtungen nicht aufnehmen. "Da sind ganz schwere, diplomatische Bretter zu bohren, weil natürlich die betroffenen Staaten wissen, dass sie eine starke Verhandlungsposition haben", so Luft. "Sie wissen: Wir in Deutschland wollen, dass wir die Menschen zurücknehmen."

Die Schuld an dem vermeintlichen Abschiebestau allein den Herkunftsländern zuzuweisen, verschleiere aber das wahre, große Problem, sagt Luft – denn der größte Anteil an denjenigen, die nicht zurückgewiesen werden können, seien Menschen, deren Identität unbekannt ist: "Weil sie ihre Papiere verloren, vernichtet oder Schleusern überlassen haben." Die eigene Identität bewusst zu verschleiern und sich so nach einer langen Flucht vor einer Abschiebung zu schützen, sei zwar menschlich. Aber: "Wenn diejenigen, die verpflichtet sind, zu gehen, nicht gehen und nicht zur Ausreise veranlasst werden, dann wird die Legitimation und Akzeptanz der Institution Asyl in der Bevölkerung massiv leiden", erklärt Luft ab Minute 43.

5 Welche Maßnahmen hätten beim Migrationsgipfel beschlossen werden sollen?

Die eine Lösung gibt es nicht, sagt Migrationsforscher Luft. Doch es sei notwendig, die Zahlen zu reduzieren. "Keine Verwaltung – auf welcher Ebene auch immer – kann das [...] bewältigen." Das gelte für das Bundesamt, für die Behörden der Länder sowie für die kommunalen Ausländerbehörden.

Auch an Zeit fehle es bei der Bearbeitung der Asylverfahren. Wenn ein Asylbewerber nach dem Verfahren für ausreisepflichtig erklärt werde, sei eine Rückführung ins Herkunftsland schwierig, wenn er in der Zwischenzeit in Deutschland Kinder bekommen hat oder seine Kinder inzwischen in Deutschland zur Schule gehen. "Deshalb ist aus meiner Sicht das einzige, was etwas bringt, den Zuzug zu reduzieren." In diesem Punkt werden auch Verfahren an den Außengrenzen, über die nun beraten wird, nicht die Lösung bringen. Wieso die Politik seit 2016 dem Ziel nicht näher gekommen ist, erläutert Luft ab Minute 46.

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Autorinnen und Autoren

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 11. November 2023, 19.30 Uhr