Infografik

Wählerisch trotz Lehrermangels? So läuft der Seiteneinstieg in Bremen

Bild: dpa | Julian Stratenschulte

In vielen Bundesländern gibt es immer mehr Seiteneinsteiger in den Klassenzimmern. In Bremen bleibt ihr Anteil allerdings auf ähnlichem Niveau. Das hat mehrere Gründe.

Von ihrer Schulzeit ist Almut (40) vor allem ihr Mathematiklehrer in Erinnerung geblieben. "Der war toll, er kam aus der Wirtschaft und hat uns viel mehr beigebracht als die konventionellen Lehrer", sagt sie.

Protagonistin Almut aus Bremen
Almut, die ihren Nachnamen nicht öffentlich nennen möchte, wollte Mathematik und Geografie an weiterführenden Schulen unterrichten. Bild: Privat | Privat

Vor zwei Jahren wollte die Bremerin, die seit 14 Jahren als Ingenieurin arbeitet, selbst den Seiteneinstieg als Mathelehrerin an einer allgemeinbildenden Schule wagen. Lehrkräfte für das Fach werden in Bremen dringend gesucht. Mathematik gehört zu einem der sogenannten Mangelfächer, die den Seiteneinstieg ins Lehramt ermöglichen. Doch Almuts Anfrage beim Landesinstitut für Schule (LiS), das in Bremen für die Bewerbungen zuständig ist und Seiteneinsteiger ausbildet, blieb ohne Erfolg.

Aus für den Traum vom Lehrberuf

Das LiS teilte ihr mit, "Ingenieurmathematik" wie sie es im Studium gelernt hat, reiche für die Qualifizierung als Mathelehrerin nicht aus. Für Almut bedeutete die Absage das Aus für ihren Traum vom Lehrberuf.

Ich habe mich wie vor den Kopf gestoßen gefühlt und gedacht, dem Land geht es wohl noch gut genug, wenn es so wählerisch sein kann.

Almut

Über eine große Auswahl an unbeschäftigten und qualifizierten Lehrkräften verfügt das Land nicht – im Gegenteil: Zu Beginn dieses Schuljahres waren 96 Lehrstellen in Bremen und fast 70 in Bremerhaven offen. Spätestens seit der Ankunft der ukrainischen Geflüchteten mit vielen Kindern im schulpflichtigem Alter ist der Lehrkräftemangel in Bremen ein akutes Problem.

Auch wenn die Zahl der neu eingestellten Lehrkräfte etwa in der Stadt Bremen zum laufenden Schuljahr um 53 Personen auf 5.686 Lehrkräfte angestiegen ist, reichten die Neueinstellungen nicht aus, räumt auch das Bremer Bildungsressort ein. Deshalb sei ein Weg, den man – neben dem klassischen Lehramtsstudium mit anschließendem Referendariat – "ermöglichten wollte und ermöglicht hat", der Seiteneinstieg für bereits berufstätige Menschen.

Bremen liegt im unteren Mittelfeld

Der Anteil von Seiteneinstiegen an allen Neueinstellungen im Land Bremen lag den Angaben der Bildungsbehörde zufolge in den vergangenen Jahren meist bei etwa acht Prozent. 2021 waren es allerdings nur knapp sechs Prozent, also 21 Personen. Das wird in einer Statistik der Kultusministerkonferenz deutlich. Rund um Bremen ist der Anteil auf einem ähnlichen Niveau: In Hamburg betrug er im vergangenen Jahr knapp fünf Prozent, in Niedersachsen waren es fast sieben Prozent.

Deutlich anders sieht die Lage in einigen ostdeutschen Bundesländern aus: In Sachsen-Anhalt war 2021 fast jede dritte neu eingestellte Lehrkraft ein Seiteneinsteiger (29,5 Prozent). Auch in Berlin (22,1 Prozent), Brandenburg (14,2) und Mecklenburg-Vorpommern (15 Prozent) sind die Anteile mindestens doppelt so hoch wie in Bremen.

Der Anteil der neu eingestellen Seiteneinsteiger in Prozent

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In ganz Deutschland ist die Zahl der Seiteneinsteiger über die Jahre gestiegen: Wurden 2013 bundesweit knapp 700 Quer- und Seiteneinsteiger angeworben, waren es im vergangenen Jahr schon fast 3.090.

In anderen Bundesländern ist der Einstieg einfacher

Warum gibt es in Bremen verglichen mit dem Spitzenreiter Sachsen-Anhalt deutlich weniger Lehrkräfte, die über den Seiteneinstieg in den Job kommen? Bremen setzt als "eines der wenigen Bundesländer" einen "qualifizierten Seiteneinstieg" voraus, erklärt die Sprecherin der Bremer Bildungsbehörde, Maike Wiedwald, auf Anfrage von buten un binnen.

Jeder Seiteneinsteiger muss eines der insgesamt drei Weiterbildungsprogramme absolvieren. Im Anschluss daran erhält er oder sie eine "volle Lehramtsbefähigung". Und stellt sie mit Lehrkräften, die eine reguläre Lehramtsausbildung abgeschlossen haben, gleich.

In den anderen Bundesländern ist die Dramatik größer, sodass dort teils auch Bewerber mit nur geringen Qualifikationen eingestellt werden.

Maike Wiedwald, Pressesprecherin der Senatorin für Kinder und Bildung, Maike Wiedwald

Ein Beispiel ist etwa Sachsen-Anhalt: Seit 2018 reicht als Qualifizierungsmaßnahme für den Seiteneinstieg dort die Teilnahme an einem vierwöchigen Einführungskurs aus. Im Anschluss daran werden die neuen Lehrkräfte berufsbegleitend durch das Kollegium an den Schulen unterstützt.

In Bremen müssen Seiteneinsteiger zwangsläufig ein Seiteneinstiegsprogramm durchlaufen, das teils mehrere Jahre dauert, Qualifizierungen enthält, aber auch die direkte Übernahme von Unterrichtsstunden als "Lehrkraft in Ausbildung".

Seiteneinsteiger verdienen in Sachsen-Anhalt weniger

Außerdem hat Sachsen-Anhalt erst Anfang dieser Woche die Zugangsvoraussetzungen für den Seiteneinstieg erleichtert. "Wir müssen kreativ auf den Lehrermangel reagieren", erklärte das Landesministeriums für Bildung den Schritt. Erstmals dürfen auch Bewerber, aus deren Studium sich kein Unterrichtsfach ableiten lässt, ins Lehramt einsteigen – wenn auch zunächst auf ein Jahr befristet.

Einen großen Nachteil hat der Seiteneinstieg mit weniger Hürden in Sachsen-Anhalt allerdings: Die Absolventen verdienen weniger Geld als Lehrkräfte, die über das reguläre Lehramtsstudium in den Job gekommen sind. In Bremen erhalten Seiteneinsteiger nach dem Abschluss von einem der Seiteneinstiegsprogramme hingegen das gleiche Gehalt.

In Bremen gibt es drei unterschiedliche Wege für den Seiteneinstieg. Grundvoraussetzung für alle Wege ist ein Hochschulabschluss in einem Mangelfach wie Mathematik, Chemie, Physik und Musik.

Für die Teilnahme an zwei der drei Seiteneinstiegsprogramme muss sich aus dem Studium des Bewerbers ein zweites Unterrichtsfach ableiten lassen. Einzig im Seiteneinstieg U können Personen, denen das zweite Unterrichtsfach fehlt, dieses über mehrere Jahre hinweg an der Universität Bremen nach studieren.

Bildungsgewerkschaft fordert mehr Flexibilität

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bremen sieht mehrere Probleme bei den Seiteneinstiegen im Land. Am Programm U kritisiert sie, dass die Anzahl der Seiteneinstiegsplätze von den Kapazitäten der Universität Bremen abhängt. Den Teilnehmern stehe an der Universität Bremen nur eine begrenzte Auswahl an Fächern zur Verfügung, die sie als Zweitfach nach studieren könnten – und diese seien "für viele nicht attraktiv", sagt Landesvorstandssprecherin Elke Suhr zu buten un binnen. Sie fordert, mehr Kapazitäten an der Universität für Seiteneinsteiger zu schaffen.

Außerdem kritisiert die Sprecherin der Bildungsgewerkschaft, dass das Landesinstitut für Schule viele Bewerber ablehne, weil diese oft nicht ein "ganzes Fach" mitbringen würden, sondern viel mehr zwei "halbe Fächer". Für diesen Bedarf gebe es aktuell kein Programm.

Die Seiteneinstiegsprogramme müssen flexibler werden und das Nachstudieren an der Uni Bremen darf sich nicht auf einzelne zulassungsfreie Fächer beschränken, sondern muss die Bedarfe decken.

Elke Suhr, Landesvorstandssprecherin der GEW Bremen, Elke Suhr

Bremen will ausländischen Fachkräften den Einstieg erleichtern

Die Notwendigkeit, die Anforderungen für die Seiteneinstiegsprogramme zu verändern, sieht die Bremer Bildungsbehörde derzeit nicht. Sie will auch angesichts der aktuell angespannten Lage am Modell des "qualifizierten Seiteneinstiegs" festhalten, teilt sie mit.

Sie kündigt allerdings Änderungen an, die mehr ausländische Lehrkräfte eine Arbeit im Schuldienst in Bremen ermöglichen sollen. Bislang scheitere die Anerkennung ihrer Lehrbefähigung daran, dass sie nur ein Unterrichtsfach nachweisen könnten, zugleich seien sie aufgrund ihrer Lebensumstände oft nicht in der Lage im vollen Umfang an einem Seiteneinstiegsprogramm teilzunehmen. Um sie künftig doch als Lehrkräfte im Bremer Schuldienst einsetzen zu können, würden gerade "verschiedene Gespräche geführt und Maßnahmen angegangen", sagte die Sprecherin des Bildungsressorts Wiedwald.

Es ist toll für Bremen, wenn hier Menschen mit unterschiedlicher kultureller Erfahrung als Lehrkräfte tätig sind.

Pressesprecherin der Senatorin für Kinder und Bildung, Maike Wiedwald

Auch will das Bildungsressort demnächst ein Quereinstiegsprogramm für das Lehramt aufzusetzen, "gerade auch, um dem aktuellen Fachkräftemangel zu begegnen", so Wiedwald. Eine Arbeitsgruppe arbeite derzeit an einem Konzept für einen Quereinstieg. "Es geht darum, wie zusätzliche Personen gefunden werden können, die im Unterricht aktiv sind und berufsbegleitend unterstützt und qualifiziert werden", sagte sie. Mehr gibt die Behörde aktuell nicht über ihr Vorhaben bekannt.

Für Ingenieurin Almut kommt ein zweiter Versuch, ins Lehramt in Bremen einzusteigen, nicht mehr infrage. Sie ärgert sich auch zwei Jahre nach ihrem Antrag noch über die Absage vom Landesinstitut für Schule.

Womit ich ein Problem habe, ist, dass die Hürden in den Beruf zu kommen, so hoch gesteckt werden, man aber hinterher, wenn man als Lehrer in der Schule ist, so gut wie alle Fächer unterrichtet – auch, wenn sie noch so fachfremd sind.

Almut

Wie Bremen den Fachkräftemangel an Schulen in den Griff bekommen will

Bild: Radio Bremen

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Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. September 2022, 19:30 Uhr