Kommentar

Freispruch im Fall Latzel: "Dreck!"

Betende Hände über Bibel
Bild: dpa | Chromorange/Ruediger Rebmann

Das Bremer Landgericht hat den evangelischen Pastor Olaf Latzel vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Empörend findet das Redakteur Jochen Grabler.

Um gleich mal für maximale Transparenz zu sorgen: Ich bin ein glühender Fan des Rechtsstaates. Und ich bin Christ und Mitglied der evangelischen Kirche. Aus diesen beiden Perspektiven blicke ich auf den Fall Latzel und komme zu dem eindeutigen Schluss: Das Bremer Landgericht – Dreck!

Sie zucken zusammen? Das finden Sie übertrieben? So könne man doch nicht reden? Oh doch! Denn ab heute darf geredet werden, wie es beliebt. So lange es durch eine noch so krude Auslegung irgendeiner heiligen Schrift gedeckt ist. DAS nämlich lehrt das Landgericht. 

Das Urteil: eine "Degenerationsform der Gesellschaft"

Pastor Latzel darf ungestraft über "Genderdreck" reden? Na bitte, dann sag ich doch aus vollem Christenherzen, dass ich sein Gerede für Latzeldreck halte. Und bleibe gleich bei seiner richterlich abgesegneten Wortwahl: Ich halte St. Martini und Latzels Fanclub für "Verbrecher", ihre Auslegung der Bibel "vor Gott ein Gräuel" und "todeswürdig". Und weil es gerade so schön passt, halte ich das Landgericht und sein Urteil im Fall Latzel für eine "Degenerationsform der Gesellschaft".

So darf man jetzt öffentlich über Mitmenschen sprechen. Gerade so, wie mein Glaubensbruder Latzel über Mitmenschen spricht – und dafür jede Menge Beifall von seinem bibeltreuen Fanclub kassiert. Vergessen Sie alle Sonntagsreden darüber, wie sehr Hassreden das Klima im Land vergiften! So lange sich Richter finden, die die Hetze Latzels ungestraft durchgehen lassen, so lange wird das Gift halt verspritzt. Sogar in Gotteshäusern. Das ist die Lehre aus dem Bremer Latzel-Urteil. Kann das irgendwem gefallen? Möchten wir in einer Gesellschaft leben, die sich diese Regeln gibt? Ich nicht!

"Hat das was mit Kirchenlobby zu tun?"

Und warum das alles? Weil Bremer Richter gemeint haben, zur Beurteilung von öffentlicher Hetzrede theologische Gutachten heranzuziehen. Bislang dachte ich, in einem Rechtsstaat ginge es in Gerichtssälen um das weltliche Recht, um weltliche Gesetze, die sich weltliche Insitutionen gegeben haben. Was also hat in diesem Rechtsrahmen die Auslegung der Bibel zu suchen? Wie kommt man auf das schmale Brett, in einem Gerichtsverfahren die Frage für relevant zu halten, ob die Äußerungen eines Pastors mit bekannt mangelhafter Impulskontrolle von der Bibel gedeckt sind?

Weil Latzel so gerne gegen die "Homolobby" wettert, muss ich mich doch ernsthaft fragen, ob der denkwürdige Bremer Richterspruch irgendwas mit der "Kirchenlobby" zu tun hat. "Überall laufen die Verbrecher rum vom Christopher Street Day", hat Latzel ungestraft gesagt. Scheint so, als ob die überall rumlaufenden Bibel-"Verbrecher" eine ziemliche Macht gewonnen haben.

"Ich will nicht, dass wir so übereinander reden"

Ich will das nicht. Nicht als Christ. Und erst recht nicht als Fan des Rechtsstaates. Ich will nicht, dass wir so übereinander reden, andere herabwürdigen, die Lebensweisen des Nächsten zu "Dreck" erklärten und für "todeswürdig" erachten. Erstens, weil es zutiefst unmenschlich und erst recht unchristlich ist, Menschen zum Beispiel wegen ihrer sexuellen Identität derart herabzuwürdigen. Und zweitens, weil wir doch längst wissen, dass auf solche hasserfüllten Reden gerne mal hasserfüllte Taten folgen. Irgendein Idiot findet sich, der derart aufgestachelt blutigen Ernst macht. Ich will das nicht! Und ich will nicht, dass Religion zur Basis weltlicher Urteile wird. Es ist doch nun wirklich eine schlimm banale Erkenntnis, dass sich mit jahrtausendealten heiligen Schriften alles, aber auch alles begründen lässt. Es kann doch niemand ernsthaft durchgehen lassen, dass zur Beurteilung von Straftaten nun eine Rolle spielen soll, ob die bibelkonform sind. Wenn doch, dann… Willkommen bei den Talibans daheim!

Was halten Sie davon, Vergewaltigungsopfer zu steinigen. Aber nur, wenn die Vergewaltigung in der Stadt stattgefunden hat. Finden Sie übertrieben? Bitte sehr: "Wenn eine Jungfrau verlobt ist und ein Mann trifft sie innerhalb der Stadt und schläft bei ihr, so sollt ihr sie alle beide zum Stadttor hinausführen und sollt sie beide steinigen, dass sie sterben, die Jungfrau, weil sie nicht geschrien hat, obwohl sie doch in der Stadt war…" (5. Mose 22,23)

Oder finden Sie nicht auch, dass man ungehorsame Söhne mal ein bisschen härter anpacken sollte? "Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, und wenn ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold, dann sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte" (5. Mose 21, 18).

Wie Bremer Richter wohl urteilen würden, wenn sich die Täter auf die Bibel berufen?

"Als Christ wünsche ich mir, dass Bruder Latzel und seine Fans sich an ein paar Grundsätze ihrer Religion erinnern"

Als Kirchenmitglied muss ich Latzel und seine Mitlatzels aushalten. Wenn ich das nicht will, habe ich die Freiheit, meine Kirche zu verlassen. Diese Freiheit habe ich als Bürger nicht. Als Bürger muss ich auf den Rechtsstaat vertrauen. Und darauf, dass dieser Rechtsstaat irgendwann zur Vernunft kommt. Also wünsche ich mir als Bürger eine gerichtliche Instanz, die den irregeleiteten Bremer Richtern in den Arm fällt. Und als Christ wünsche ich mir, dass Bruder Latzel und seine Fans in sich gehen. Und sich an ein paar Grundsätze ihrer Religion erinnern. "Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider Deinen nächsten" finde ich zum Beispiel ziemlich prima. (5. Mose 5, 20) Es reicht aber auch schon: "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst." (Die Fundstelle sollte bekannt sein). Dann hätte das Gehetze von "Dreck" und "Degenerationsform" ein Ende.  

Bremer Landgericht: Äußerungen Latzels von Religionsfreiheit gedeckt

Bild: Radio Bremen

Autor

  • Jochen Grabler
    Jochen Grabler Redakteur und Autor