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"Wunschzettel" oder ernst zu nehmen? Bremens neuer Koalitionsvertrag

Bildung, Arbeit und Klimaschutz: Das steht im neuen Koalitionsvertrag

Bild: dpa | Sina Schuldt

Bremens SPD, Grüne und Linke haben sich auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Doch rechtlich gesehen verpflichtet sie das Papier zu nichts. Welchen Sinn hat das Abkommen?

Kein Regierungsbündnis ohne Koalitionsvertrag, auch nicht in Bremen. Gleich nach der Senatswahl am 5. Juli wird die 169 Seiten starke Vereinbarung in Kraft treten. Doch mit welchen Konsequenzen? Einklagen lässt sich nicht, was im Koalitionsvertrag steht. Doch verzichten möchte trotzdem keiner auf das Papier. buten un binnen erklärt, was es mit Koalitionsverträgen auf sich hat. 

Der Leiter Landeszentrale für politische Bildung Bremen Thomas Köcher im buten un binnen Studio.
Leitet Bremens Landeszentrale für politische Bildung: Thomas Köcher. Bild: Radio Bremen

Wie verbindlich sind Koalitionsverträge?

Zwar kann niemand einklagen, was in Koalitionsverträgen steht. Überflüssig sind sie deswegen aber noch lange nicht, sagt Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen: "Koalitionsverträge sind politische Maßnahmenpläne." Sie werden bei Koalitionsvereinbarungen niedergeschrieben, um Eckpfeiler für die Zusammenarbeit festzulegen und die gemeinsamen Ziele zu definieren, sagt er. Und das sei sinnvoll, auch aus Gründen der Transparenz.

Allerdings könnten die beteiligten Akteure die genauen Rahmenbedingungen der kommenden vier Jahre nicht kennen, wenn sie ihren Koalitionsvertrag aushandeln. Entsprechend müssten Abweichungen vom Abkommen immer möglich sein. Konkret denkt Köcher etwa an Haushaltsvorbehalte, aber auch an unvorhersehbare globale Entwicklungen. Mit Blick auf die auslaufende Legislatur in Bremen verweist er auf die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg und die Energiekrise als Ereignisse, die für völlig neue Rahmenbedingungen gesorgt hätten und die man vor vier Jahren nicht habe absehen können.

"Es macht Politik aus, dass sie sich Bedingungen anpasst", sagt Köcher dazu. Daher sei er kein Freund der verbreiteten Praxis, einen Koalitionsvertrag nach vier Jahren hervorzukramen und die Leistung eines Regierungsbündnisses allein daran zu messen, wie viel es aus dem Vertrag umgesetzt hat: "Das sagt unter Umständen gar nichts aus", so Köcher.

Alexandra Werwath, Björn Fecker und Florian Pfeffer von den Bremer Grünen, Reinhold Wetjen, und Bürgermeister Andreas Bovenschulte von der Bremer SPD und Kristina Vogt, Christoph Spehr und Anna Fischer von der Bremer Linken, bei der Vorstellung des neu ausgehandelten Koalitionsvertrags
Präsentieren den Koalitionsvertrag (von links): die Grünen Werwath, Fecker und Pfeffer, die SPD-Politiker Wetjen und Bovenschulte sowie Vogt, Spehr und Fischer von der Linkspartei. Bild: dpa | Marco Rauch

Trotzdem sprechen Bremens SPD, Grüne und Linke ausdrücklich von einem "Koalitionsvertrag" und nicht von einer "Ideensammlung" oder von einem "Wunschzettel", wie Oppositionsführer Frank Imhoff (CDU) das Papier des neuen Bündnisses nennt. Wie ernst ist es den Parteien mit den Vorhaben, die sie im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben?

Roland Pahl, Geschäftsführer der SPD Bremen, sagt, der Vertrag beschreibe die grundlegenden Verabredungen der Parteien und dokumentiere zugleich den ernsthaften Willen dahinter. Zwar könnten sich die Rahmenbedingungen ändern. Trotzdem sei klar: "Wenn etwas nicht so ausgestaltet wird, wie versprochen, dann müssen wir das erklären können." Völlig zurecht fragten nicht nur die Opposition und die Medien immer wieder nach, inwiefern ein Koalitionsvertrag umgesetzt werde, sondern auch die Parteigremien der Bündnispartner, so auch die Ortsvereine der SPD.

Alexandra Werwath, Landesvorstandssprecherin der Bremer Grünen, hat den Koalitionsvertrag für ihre Partei mit ausgehandelt. "Ich erwarte schon, dass wir möglichst viel daraus umsetzen", sagt sie dazu. Sie betrachtet den Vertrag als "Arbeitsprogramm für die Landesregierung."

Das ist eine To-do-Liste.

Alexandra Werwath, Landesvorstandssprecherin der Bremer Grünen

Christoph Spehr, Landesvorsitzender der Bremer Linkspartei, hat für die Linkspartei am Koalitionsvertrag mitgewirkt. Koalitionsverträge seien unverzichtbar, sagt er, wenn auch klar sei, dass keine Koalition alles daraus umsetzen könne. "Aber der Vertrag bestimmt wesentlich die Agenda für Haushaltsberatungen", so Spehr. Außerdem beuge er innerhalb eines Regierungsbündnisses unnötigen Grundsatz-Debatten in einer laufenden Legislatur vor, da er davon zeuge, worauf sich die Parteien anfangs grundsätzlich geeinigt hätten.

Man kann darüber streiten, ob diese Verträge immer detaillierter werden müssen.

Christoph Spehr, Die Linke

Im neuen Bremer Koalitionsvertrag tauchen einige Formulierungen nicht mehr auf, die man noch aus anderen Abkommen wie dem Verkehrsentwicklungsplan kennt. Setzt der Koalitionsvertrag alte Verträge außer Kraft? Plant Bremen nun beispielsweise keine autofreie Innenstadt mehr?

Doch, selbstverständlich haben alte Verträge weiterhin Bestand, sagt Thomas Köcher von der Landeszentrale für politische Bildung. "Was die Bürgerschaft beschlossen hat, kann eine neue Regierung nicht einfach ignorieren", sagt Köcher. "Aber es kann natürlich passieren, dass auf der Grundlage eines Koalitionsvertrags alte Verträge mit neuen Mehrheiten geändert werden." Hierzu sei dann aber eine entsprechende Abstimmung in der Bürgerschaft vonnöten.

Dass es dazu im Falle des Verkehrsentwicklungsplans kommen wird, glaubt zumindest Alexandra Werwath von den Grünen allerdings nicht: "Der Verkehrsentwicklungsplan und auch das Klimaschutzkonzept Bremens werden durch den Koalitionsvertrag nicht infrage gestellt", betont sie. Auch wären derartige Paradigmenwechsel wie die Abkehr von einer autofreien Innenstadt eher typisch in der Folge kompletter Regierungswechsel. In Bremen aber regiere weiter Rot-Grün-Rot. Und dieses Bündnis habe kein Interesse daran, mühsam eigens auf den Weg gebrachte sinnvolle Prozesse wieder umzukehren.

Auch im Mobilitätsressort geht man davon aus, dass sich durch den neuen Koalitionsvertrag nichts am Verkehrsentwicklungsplan ändert, wie ein Sprecher mitteilt. Entsprechend werde Bremen auch an seinen Plänen, die City bis zum Jahr 2030 autofrei zu gestalten, festhalten.

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Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. Juni 2023, 19:30 Uhr