Interview

Bremer Kinderklinik: Eine besondere Arbeit – aber herausfordernd

Bremer Kinderklinik will neue Maßstäbe in der Maximalversorgung setzen

Bild: dpa | Christoph Soeder

Schwerer Erkrankungen wie Krebs und leichtere behandelt die Bremer Kinderklinik. Doch die Lage ist schwierig, auch weil Personal fehlt. Chefarzt Lauten erklärt, wie die Klinik aufgestellt ist.

Herr Lauten, was macht denn die Arbeit mit Kindern so besonders – was unterscheidet sie von der Arbeit in einer normalen Klinik?

Wir haben zum Beispiel die Situation: Die Pflege geht in ein Zimmer, um einem kleinen Kind, das mit einer Hautinfektion da liegt, einfach nur Medikamente zu geben. Das ist im Erwachsenen-Bereich völlig normal. Hier ist es so: Wenn ein zweijähriges Kind keine Lust hat, das Medikament zu nehmen, dann braucht man Einfühlungsvermögen. Man muss sich mit dem Kind beschäftigen, mit dem spielen. Man muss gucken, dass man die bitteren Tabletten vielleicht auflöst in irgendetwas Süßem.

Man muss einen spielerischen Umgang in jeder Situation mit diesem Kind finden. Damit das Kind das, was medizinisch notwendig ist, in irgendeiner Form mitmacht. Und das ist einfach extrem zeitaufwendig.

Melchior Lauten, Chefarzt der Pädiatrie

Wie gut können Sie das aktuell in der Bremer Klinik umsetzen?

Das ist natürlich eingeschränkt. Wir haben einfach unfassbar viele offene Stellen, aktuell grob 50 in der Kinderpflege. Damit können wir nicht so viele Kinder versorgen, wie wir gerne versorgen würden. Aber die Kinder, die wir aufnehmen, die versuchen wir dann natürlich mit Hilfe der Eltern genau so zu versorgen. Das ist auch etwas, das zum Kinderpflege-Berufsethos gehört.

Aber wenn wir Zeiten haben wie zum Beispiel im Dezember und Januar, als dieses Krankenhaus völlig überrannt wurde von Kinder, die alle am Sauerstoff liegen. Dann haben wir natürlich eine andere Gewichtung dessen, was man mit dem Kind tut. Da geht es dann erstmal darum, zu gucken, dass es jedem Kind gut geht. Und wenn man in solchen Situationen nicht mehr Pfleger als dafür nötig zur Verfügung hat, dann bleibt das alles auf der Strecke. Dann kann man das in dieser Zeit nicht machen.

Gibt es noch andere Baustellen aktuell, neben den fehlenden Pflegern und Pflegerinnen?

In einer idealen Welt müssten auch die ganzen nicht-ärztlichen Therapiemaßnahmen in eine Routineversorgung aufgenomen und durch ein Krankenhaus-Finanzierungssystem getragen werden. Also Physiotherapie für alle Kinder, die hier liegen. Logopädie, Ergotherapie, künstlerische Therapien, Musiktherapie. Dieses ganze Angebot von dem wir wissen, dass es den Heilungsprozess einfach sehr sehr unterstützt. Das wird aktuell vor allem durch Drittmittel getragen.

Und die Kinderheilkunde ist ein Sammeltopf. Wir haben zum Beispiel Kinder-Nephrologen, Kinder-Neurologen, Kinder-Onkologen, Kinder-Kardiologen, Kinder-Gastroenterologen und so weiter. Also eine große Bandbreite, die wir anbieten, die einfach teuer ist. Für jede dieser Untergruppen haben wir die Vorhaltekosten, die in der Erwachsenenheilkunde jeweils nur für diese eine Sparte notwendig sind.

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Wie gut ist denn dann die Versorgung der Kinder hier in Bremen?

Wenn wir uns vergleichbare Häuser in Deutschland angucken, sind wir ganz durchschnittlich gut aufgestellt. Von der Bandbreite des Angebots würde ich sagen, da sind wir wirklich gut. Ich glaube wir können im Land Bremen wirklich für jeden Fachbereich eine Expertise anbieten.

Es gibt Bereiche, wo wir zu eng sind. Zum Beispiel die Nephrologie und die Pneumologie, die Lunge. Das ist so. Weil natürlich Bremen auch ein kleines Land ist. Und so große Behandlungszentren wie Hannover und eingeschränkt Oldenburg auch in der Nähe sind. Das zeigt: Man muss dahin kommen, dass wir auch landesübergreifend überlegen: Was muss man alles in welcher Entfernung vorhalten. Die Überlegungen dazu von Gesunheitsminister Lauterbach sind ja inhaltlich erstmal richtig, das muss man schon sagen.

Wenn man ein kleines Bundesland hat, dann ist die Frage: Wenn man eine Krankheit hat, die im Jahr vielleicht nur 50 Patienten betrifft. Ob man dafür dann wirklich immer alles vorhält? Oder ob man sagt: Gut, das ist der Preis, den wir zahlen, dass man diesen 50 Patienten zumuten muss, eine etwas weitere Strecke zu fahren.

Melchior Lauten, Chefarzt der Pädiatrie

Also wäre es nötig, eine bessere Vernetzung zu schaffen zwischen den Kliniken in der Region?

Ja, ganz genau.

Haben Sie denn Hoffnung, dass sich das und auch die anderen Baustellen in naher Zukunft ändern?

Tja, wenn ich das wüsste. Man muss schon zugestehen, dass auch nicht nur die Pädiatrie Probleme hat. Sondern dass natürlich viele andere Bereiche auch Probleme haben. Und wenn man anguckt, welchen Bevölkerungsanteil wir als Pädiatrie haben, machen die Kinder, die wir versorgen, natürlich letztenendes nur ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus.

Aber klar, alles, was ich sinnvoll in die Pädiatrie investiere, hat natürlich zur Folge, dass ich hoffentlich viele Erkrankungen im Erwachsenenalter verhindere oder geringer ausfallen lasse. Und damit hinterher weniger viele Menschen im Erwachsenenbereich habe, die das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen müssen. Somit ist das natürlich in gewisser Weise eine Zukunftsinvestition. Da muss also eine politische Gewichtung stattfinden, die sich fragt: Wie wollen wir das aufstellen?

Könnte ich das entscheiden würde ich natürlich sagen: Klar, die Kinder sind eine ganz ganz vulnerable Gruppe. Und gerade für die müssen wir sehr sehr gut gucken, dass wir die gut durch diese Entwicklung bringen. Und da hat Corona die Situation ganz maßgeblich verschlechtert.

Melchior Lauten, Chefarzt der Pädiatrie

Inwiefern hat Corona das beeinflusst?

Sämtliche psychischen oder psychosomatischen Auffälligkeiten haben einfach drastisch zugenommen. Das merken wir besonders in Bremen: Bremen ist die Stadt in Deutschland mit der höchsten Kinderarmutsrate. Da geht Corona nicht spurlos an den Kindern vorüber. Das ist das, womit wir hier kämpfen. Wir sehen sehr viel mehr
alkoholisierte Jugendliche, wir sehen mehr Drogengebrauch und mehr Angststörungen. Und dem müssen wir begegnen.

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Und wie begegnen Sie dem? Haben Sie für solche Fälle auch einen Bereich?

Ja, das ist ein Problem. Diesen Bereich haben wir nicht. Und den gibt es in der Form auch im ganzen Bundesland nicht. Bremen-Ost hat natürlich die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Aber im Vergleich zum Bedarf ist das ein sehr sehr kleiner Bereich. Und da haben wir im Land Bremen einen enormen Bedarf an mehr. Das wäre ein Wunsch, dass wir es hinkriegen, diesen Teil der Versorgung zu verbessern.

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Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 12. März 2023, 19:30 Uhr