Interview

Feuerwehrchef verrät: So vorbereitet ist Bremerhaven auf Katastrophen

Der Leiter der Feuerwehr Bremerhaven, Jens Cordes, steht vor roten Feuerwehrwagen
Sieht Bremerhaven beim Katastrophenschutz gut aufgestellt: der Leiter der Feuerwehr Jens Cordes

Feuerwehrchef verrät: So vorbereitet ist Bremerhaven auf Katastrophen

Bild: Feuerwehr Bremerhaven

Strom, Wasser, Lebensmittel: Wie ist Bremerhaven für Katastrophen gewappnet? Feuerwehr-Chef Jens Cordes findet, die Stadt ist auf einem guten Weg. Er appelliert aber auch an die Menschen.

Herr Cordes, der Begriff "Katastrophe" wird schnell verwendet: Was aber ist eine Katastrophe?

Eine Katastrophe ist in unserer Bedeutung ein Ereignis, bei dem die ganzen Kräfte, die wir hier vor Ort haben, überhaupt nicht mehr in der Lage sind, der Gefährdung zu begegnen. Dann müssen wir Prioritäten bilden und alle Kräfte unter eine zentrale Leitung stellen. Außerdem benötigen wir dann Hilfe von außerhalb, etwa von der Bundeswehr.

Können Sie das konkreter machen?

Eine Sturmflut zum Beispiel, die vielleicht gewisse Beschädigungen erzeugt, kann eine Lage sein, die durchaus beherrschbar ist. Sowas wird medial dann als Katastrophe bezeichnet, ist formal aber keine Katastrophe, weil wir keinen Katastrophenfall ausgerufen haben.

Wie viele Menschen kümmern sich bei der Feuerwehr Bremerhaven um Katastrophenschutz?

Ich glaube, da müssen wir etwas weiter zurückblicken. In den 70er und 80er-Jahren, als wir natürlich eine ganz andere Bedrohungslage hatten, mit dem Eisernen Vorhang, da sind deutschlandweit Katastrophenschutzämter noch vorhanden gewesen. Wenn man das auf Bremerhaven bezieht, so zwischen fünf und 20 Mitarbeiter. Das wurde sukzessive, gerade auch nach den 90er-Jahren, zurückgebaut, sodass wir am Ende bei uns in diesem Bereich circa eine halbe Stelle hatten.

Das war eigentlich mehr ein Reagieren. Und da haben wir in den letzten Jahren deutlich darauf reagiert, auch mit Unterstützung der Politik. Einerseits wurde dieser Bereich, dieses Kernteam, was die Planung und Organisation des Stabes macht, aufgebaut. Zusätzlich ist aber auch der Bereich Ausbildung aufgebaut worden – wir haben jetzt also insgesamt fünf Mitarbeiter. Aber das ist nicht der ganze Katastrophenschutz. Drumherum arbeiten natürlich sehr, sehr viele zu.

Reicht das denn? Wie ist der Katastrophenschutz aus Ihrer Sicht in Bremerhaven aufgestellt?

Wenn wir den Katastrophenschutz sehen, glaube ich tatsächlich, dass wir in Bremerhaven ganz gut aufgestellt sind, im Vergleich vielleicht auch zu anderen Kommunen. Ein sehr gutes Beispiel ist, das Sirenennetz. Das ist ja angestoßen worden in Bremerhaven, deutlich vor dieser Eskalationslage in der Ukraine. Und da ist das erste Teilnetz fertiggestellt. Da werden wir mit dem zweiten Teilnetz, wenn das fertiggestellt ist Anfang nächsten Jahres, ein voll funktionsfähiges Netz haben. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Ich glaube auch, dass die personelle Ausstattung, die wir erhalten haben, der richtige Weg ist.

Dann wollen wir mal konkret reingehen: Stellen wir uns vor, es ist Blackout, also ein Stromausfall in ganz Bremerhaven. Was würde das bedeuten?

Wir gehen nicht davon aus, dass so ein Szenario sehr wahrscheinlich ist. Auch, wenn zu wenig Strom da ist, werden Netzabschaltmöglichkeiten vorhanden sein, um Last abzuwerfen, also um den Energieverbrauch zu reduzieren. Wenn wir tatsächlich in einen Bereich reinkommen, dass aus welchen Gründen auch immer – sehr unwahrscheinlich – eine ganze Stadt ohne Strom ist, dann sind die Folgen natürlich fast ein Worst-Case-Szenario für den Katastrophenschutz. Das muss man ganz deutlich betonen.

Wir haben dann keinen Mobilfunk mehr. Wir können nicht mehr einkaufen gehen. Wir müssen uns sehr genau überlegen: Funktioniert Trinkwasser noch? Funktioniert Abwasser noch? Kann die kritische Infrastruktur gerade hier im Bereich auch Gesundheitswesen, Krankenhäuser et cetera noch funktionieren? Wie sind die drauf vorbereitet? Können die durchhalten mit Stromerzeuger? Da wird man sich auf Notbereiche konzentrieren müssen. Das wären schon erhebliche Ausmaße.

Was sind Herausforderungen in solchen Situationen?

Für uns ist die Herausforderung einerseits, dass wir selbst betriebsbereit bleiben. Wir selbst heißt: die Kräfte des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr, des Rettungsdienstes. Eigener Strom, Ersatzanlagen, eigene Verpflegung. Wie kriegen wir unsere Mitarbeiter alarmiert? Auch das Handynetz funktioniert nicht mehr.

Zweite große Herausforderung ist: Wie kriegen wir die Bevölkerung informiert? Natürlich gibt es dann ein Sirenennetz, was auch netzunabhängig ist. Aber die Sirene alleine ersetzt keine Information, und gegebenenfalls ist auch das Handy nicht mehr da und auch andere Zugangsmöglichkeiten bestehen nicht mehr. Und dann sind natürlich vielleicht batteriebetriebene Radios Möglichkeiten, die wir aber auch in der Resilienz der Bevölkerung verankern müssen.

Ist ein SMS-System eine Lösung oder was gibt es für Ansätze?

Also zumindest müssen Sie in einem Worst-Case-Szenario davon ausgehen, dass Mobilfunk insgesamt, einschließlich SMS und Internet nicht zur Verfügung steht. Die öffentlich-rechtlichen Sender verfügen alle über Notstromversorgung, werden entsprechend auch Nachrichten und Informationen ausstrahlen können.

Auf der anderen Seite muss man natürlich den Empfänger haben. Da sind wir wieder bei dem Batterie- oder Kurbel betriebenen Radio, um das auch entsprechend zu empfangen. Des Weiteren plant man zentrale Informationspunkte für Bürgerinnen und Bürger. Da sind wir in der Vorplanung, in Bremerhaven geeignete Orte mit Betreibern festzulegen. Für ein absolutes Worst-Case-Szenario. Ich hoffe nicht, dass wir tatsächlich einen Verlust unserer gesamten Informationsquellen haben würden.

Wie läuft die Planung solcher Szenarien ab?

In Zusammenarbeit mit den Betreibern der kritischen Infrastruktur, zum Beispiel Krankenhäusern, wird besprochen, wie sieht das mit eurer Notstromerzeugung aus? Habt ihr die sichergestellt? Wo kriegt ihr Treibstoff her?

Wir haben den Energiesektor. Das ist ein großer Bereich. Wir haben den Ernährungs- und Logistikbereich. Wie kriege ich sichergestellt, dass ich bei einem Stromausfall, wo Supermärkte, Kassen nicht mehr funktionieren, eine Ernährung sicherstellen kann. Das sind beispielhaft drei Sektoren, die ich jetzt benannt habe. Natürlich werden wir dort abstimmen, was sie in der internen Planung für ihren Bereich machen.

Der Katastrophenschutz kann nicht gewährleisten, dass bei einem Stromausfall in jedem Haus in Bremerhaven ein Stromerzeuger hingestellt wird. Wir müssen sicherstellen, dass diese kritischen Infrastrukturen überlebensfähig sind.

Wie kommen Bremerhavenerinnen und Bremerhavener in einer Notlage an Trinkwasser?

Wir haben in Bremerhaven 29 Notbrunnen. Das sind Brunnen, die tiefer in die Erde reingehen und das Wasser wird auch regelmäßig geprüft von Laboren. Das wird dann gefördert mit Pumpen. Und letztendlich stehen in diesem Bereich auch als Entnahmestellen zur Verfügung. Dort kann dann gebrauchsfertiges Wasser abgeholt werden, in Kanistern und in Flaschen.

Was sollte ich für einen Vorrat an Lebensmitteln zu Hause haben?

Ganz wichtig ist, dass wir es schaffen, ohne eine Panikmache, die Resilienz, das heißt also, die Widerstandsfähigkeit in der Bevölkerung, bei jeder Bürgerin und bei jedem Bürger, zu erhöhen. Damit meine ich, dass man auch selbst in der Lage ist, ein paar Tage ohne Strom oder auch bei anderen Ereignissen ohne Einkaufsmöglichkeiten zu überleben. Das sollte jetzt nicht zum Hamstern gehen.

Es sollte mehr in die Richtung hineingehen, dass man sich wirklich gute Überlegungen macht. Was habe ich an gewissem Grundvorrat, an Getränken und Lebensmittel zu Hause? Habe ich ein paar Kerzen zu Hause? Habe ich eine Taschenlampe zu Hause? Das geht auch in Richtung Hygieneartikel. Diese Resilienz, die brauchen wir, das können wir nicht kompensieren als Katastrophenschutz-Kräfte.

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Autorin

  • Carolin Henkenberens
    Carolin Henkenberens Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Das Wochenende aus Bremerhaven, 13. November 2022, 11:40 Uhr