Neue Bremerhavener Rundfahrt zeigt auch Schattenseiten im Hafenbetrieb
In Bremerhaven gibt es nun Hafenrundfahrten ohne maritime Romantik – dafür mit kritischer Betrachtung vom Leben der Seeleute oder globaler Warenströme. Eine Probefahrt.
Was kann man bei einer Hafenrundfahrt sehen, erleben, lernen? Sehen: Schiffe, klar. Erleben: Atmosphäre. Lernen: bei dieser Rundfahrt einiges. In Bremerhaven bietet ein Netzwerk nun Touren an, die nicht nur bis zur Bordwand der Schiffe schauen. Es soll um Hintergründe gehen, die Geschichte des Hafens, aber auch aktuelle Fragen – etwa Arbeitsbedingungen und Belastungen der Seeleute oder globale Lieferketten.
Der Wind pfeift an diesem späten Nachmittag am Neuen Hafen, zerrt an Regenparkas und weht den Wartenden an der Anlegestelle die Haare ins Gesicht. Der angesagte Regen war keine leere Drohung, aber Besucherin Madeleine Kern will trotzdem mit auf die Hafenrundfahrt der etwas anderen Art.
"Erstmal kenne ich Bremerhaven von der Wasserseite her nicht und dann bin ich schon sehr gespannt, was alternativ an Vortrag läuft", so Kern. Zum Glück hat das Ausflugsschiff "Hein Mück" ein Glasdach, sodass alle trocken bleiben. Türen zu, Leinen los – Abfahrt.
Herzlich willkommen an Sie und euch alle hier an Bord. Ich freue mich, dass wir heute ein ziemlich gut beladenes Schiff haben. Mein Name ist Johanna Zschornack vom Entwicklungspolitischen Netzwerk.
Johanna Zschornack, Entwicklungspolitisches Netzwerk Bremen
Keine herkömmliche Hafenrundfahrt in Bremerhaven
Die Hafenrundfahrt steht unter dem Motto "Kurswechsel", veranstaltet vom Bremer Entwicklungspolitischen Netzwerk zusammen mit der Bremerhavener Seemannsmission, dem Nord-Süd-Forum Bremerhaven und dem Stadtarchiv Bremerhaven. Auch Besucher Michael Rink fährt mit – gerade weil es keine herkömmliche Hafenrundfahrt ist.
Eine ganz normale Fahrt habe ich auch schon gemacht, aber hier interessieren mich Kolonialgeschichte und Arbeitsbedingungen an Bord. Dass einem das nähergebracht wird, direkt am Beispiel vor Ort.
Michael Rink, Besucher
Die "Hein Mück" schiebt sich durch den Neuen Hafen, am Auswandererhaus vorbei Richtung Kaiserhafen. Es geht um das Thema Auswanderung, dann um den Handel mit Waren aus den Kolonien im 19. Jahrhundert. Als Erklärung heißt es: "Wichtig waren natürlich Kaffee, Kakao, Baumwolle, in Bremen die Baumwollbörse. Das heißt, diese Kolonialwaren wurden hierhin verschifft."
"Spannende" und "gruselige" Vorstellung
Im Kaiserhafen ragen riesige Autotransporter von beiden Seiten über das Panorama-Glasdach, man kann an ihren Bordwänden hoch gucken. Wie viele Seeleute arbeiten auf den großen Containerschiffen, wie lange sind sie an Bord, wie viel verdienen sie und aus welchen Ländern kommen sie? Die Antworten überraschen – zum Teil: 20 Seeleute reichen aus, ein großes Containerschiff über die Ozeane zu steuern. Die meisten Seeleute sind monatelang an Bord und haben harte Arbeitsbedingungen.
Die drei größten Reedereien – deren Schiffe auch im Bremerhavener Hafen liegen – sitzen im Norden. Die meisten Seeleute aber stammen aus den Ländern des sogenannten Globalen Südens, zum Beispiel aus Indonesien und von den Philippinen. Zurück am Anleger im Neuen Hafen sagt Besucherin Madeleine Klein, sie nehme viele neue Informationen mit, könne aber gar nicht alle behalten.
Man wurde aufgefordert, sich mit seiner Phantasie vorzustellen, wie es als Seemann oder Seefrau ist. Das fand ich wirklich spannend und konnte es mir gut vorstellen. Die Vorstellung finde ich ganz gruselig, für die Menschen, die das machen müssen, weil sie davon leben.
Madeleine Klein, Besucherin
Es gehe trotz hinterfragender Betrachtung und Konsumkritik nicht darum, die Schifffahrt abzuschaffen, sagt Johanna Zschornack vom Bremer Entwicklungspolitischen Netzwerk, als alle Gäste von Bord gegangen sind.
Das Ziel ist, die globalen Zusammenhänge aufzuzeigen, die unser aller Alltag mit der Schifffahrt hat. Sowohl historisch gesehen als auch heute, welche Waren wir konsumieren, wie die über See transportiert werden, wie die Arbeits- und Lebensbedingungen von Seeleuten sind.
Johanna Zschornack, Entwicklungspolitisches Netzwerk Bremen
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 12. September 2024, 7:36 Uhr