Der Vegesacker Hafen wird 400 Jahre alt - und das macht ihn besonders

Der Vegesacker Hafen in den 50ern
So sah der Vegesacker Hafen in den 50er Jahren noch aus. Bild: Staatsarchiv Bremen

Den Angaben nach ist er einer der ältesten künstlichen Häfen Deutschlands. Wo jetzt der Hafen liegt, war vor 400 Jahren noch eine grüne Wiese. Zwei Historiker haben die Hafengeschichte studiert.

Vegesacks Hafengeschichte soll einzigartig in Deutschland sein: Aber die immer wieder aufgestellte Behauptung, Vegesack habe den ältesten künstlichen Hafen Deutschlands, stimmt wohl nicht. Die Historiker Ulrich Weidinger und Konrad Elmshäuser bestätigen immerhin, dass Vegesacks Hafen genau vor 400 Jahren in das Flüsschen Schönebecker Aue hinein gebaut worden ist – der erste Hafen im Nirgendwo, auf der grünen Wiese geplant.

Ich höre immer, es sei der erste künstliche Hafen Deutschlands. Ich habe Zweifel, dass das so war. Ich habe da auch recherchiert und bin auf Tönning gekommen in Schleswig-Holstein an der Eidermündung. Das ist sieben bis acht Jahre vorher und auch ein künstlicher Hafen.

Ulrich Weidinger, Historiker und Autor
Konrad Elmshäuser und Ulrich Weidinger (rechts) vorm Vegesacker Hafen
Konrad Elmshäuser und Ulrich Weidinger zusammen am Vegesacker Hafen. Bild: Radio Bremen

Auf 400 Seiten in seinem Buch "Der Vegesacker Hafen von 1622" hat Weidinger nur die ersten 200 Jahre des Hafenplatzes ergründet – binnen einer Recherche von zwanzig Jahren. Weidinger: "Ich habe mich immer mal wieder rangesetzt, wenn Luft war bei meinen anderen Projekten und Lehrtätigkeiten. Aber den Impuls zu dem Buch kam schlussendlich von Konrad Elmshäuser, der mich auf das Jubiläum hingewiesen hat."

Elmshäuser ist Leiter des Staatsarchivs Bremen und mit dabei, als die Edition Falkenberg das Buch in Vegesack präsentiert. Trotz Jubiläum ist Elmshäuser weit davon entfernt, den Hafenbau hoch zu jubeln. Der Bau sei vielmehr die logische Konsequenz aus mehreren Faktoren gewesen: Einmal aus der Versandung der Weser und andererseits der Tatsache, dass schon damals die Handelsschiffe immer größer wurden und entsprechend tiefes Wasser benötigten.

Bremens Geschichte ist immer auch die vom Kampf gegen den Fluss – bis heute geht es immer wieder um Vertiefungen. Vegesacks Hafenbau ist ein Beispiel, die Gründung Bremerhavens 1827 ein weiteres. Heute sprechen wir wieder von Weservertiefungen.

Konrad Elmshäuser, Leiter des Staatsarchivs Bremen

Der Vorhafen auf dem Weg nach Bremen

Das Buch der Historiker beginnt damit, wie die Kahnschiffer für ihren Ankerplatz in Vegesack an der Lesummündung beim Bremer Rat den Hafenbau durchsetzten: Weil die Weser flussaufwärts versandete und sie einen sicheren Winterhafen brauchten. Konrad Elmshäuser: "Das Problem vor 400 Jahren war, dass die Weser als große geschlossene Wasserfläche, wie wir sie heute sehen, gar nicht da war. Es war eine Urlandschaft. Der Fluss mäanderte vor sich hin. Überall gab es Sandbänke und Nebenarme. Und fast keinen Tidenhub." Ebbe und Flut wurden mit jeder Weserkorrektur immer stärker bis Bremen spürbar.

Damals kam man von Vegesack aus nur mit sehr flach gehenden Kähnen von zwanzig Metern Länge segelnd und mit Pferden am Ufer gezogen weiter zum Bremer Hafen an die Schlachte. Große Seeschiffe schafften es nur noch bis an die Lesummündung. Sie ankerten praktisch im Nirgendwo, weit vor der Stadtgrenze. Ulrich Weidinger findet daran dann doch noch das Besondere an Vegesacks Hafenbau: "Es wurde hier zum ersten Mal ein Hafen praktisch auf die grüne Wiese gebaut. Außer ein paar Bauernhöfen gab es hier vorher nichts."

Ingo Kramer vor dem "Haus Seefahrt"
Ingo Kramer ist der kaufmännische Verwalter vom Haus Seefahrt. Bild: Radio Bremen

Die Bremer Kapitäne und Kaufleute baten den Senat schon um das Jahr 1600 händeringend in mindestens zwei verbrieften Bittschriften um einen neuen Hafen: Ihre heute noch existierende Stiftung Haus Seefahrt steuerte 5000 Taler der Kosten des Hafenbaus bei – damals ein Vermögen. Es wurden Begehungen mit dem Rat unternommen, bevor der Bauauftrag schließlich an niederländische Hafenbauer ging. Pläne, Berichte oder Abrechnungen gibt es heute nicht mehr aus dieser Zeit. Aber sogar aus Sicht eines heute erfolgreichen Kaufmanns wie Ingo Kramer machte die Investition der von ihm mit geführten Stiftung Haus Seefahrt Sinn: "Die Rechnung war doch einfach: Ohne Hafen gibt es keinen Handel, ohne Schifffahrt gibt es keine Seeleute und auch all die nicht, die um dieses Geschäft herum im 17. Jahrhundert beschäftigt waren." Man dürfe nicht vergessen, dass es damals noch keine Industrie gegeben habe, so Ingo Kramer, der kaufmännische Verwalter von Haus Seefahrt: "Das wesentliche Geschäft waren Handel und Schifffahrt im Lande Bremen."

Neue Schiffbauzentrale statt Stadtentwicklung

Der neue Hafen war vor allem das Winterlager für die Bremer Schiffe. Walfangexpeditionen wurden in Vegesack vorbereitet. Im Hafenhaus direkt am Utkiek betrieb der Hafenmeister eine Gaststätte. Das Havenhus-Gebäude ist das letzte historische Zeugnis aus der Anfangszeit des Hafens. Vom ursprünglichen Hafen ist nur der Grundriss des 285 Meter langen Hafenbeckens geblieben. Konrad Elmshäuser sagt mit Blick auf erste historische Skizzen der Hafenanlagen:

Auffallend ist, wie wenig Infrastruktur es hier gegeben hat. Man erwartet eigentlich, dass sich bei einer Hafengründung auch schnell ein Hafenstädtchen entwickelt, also eine prosperierende Siedlung, die dann auch ein Eigenleben entwickelt.

Konrad Elmshäuser

Genau das aber sei in Vegesack lange nicht passiert. Es sei ungewöhnlich lange eine Umladestation und Winterlager mit kleinen Reparaturbetrieben geblieben. Elmshäuser: "Und man darf davon ausgehen, dass der Bremer Senat auch gar kein Interesse an solch einer Entwicklung hatte." Der Ort der Waage, der Standort der Kontore und Speicherhäuser sei weiter die Bremer Innenstadt geblieben. 

Der Flussraddampfer "Weser"
In der Langenwerft entstand der erste deutsche Flussraddampfer "Weser". Bild: Staatsarchiv Bremen

Die unbebauten Ufer lockten dafür bald Schiffbauer an. Das heutige Vegesacker Geschichtenhaus war der alte Speicher der Langewerft. Die Werft baute hier 1817 das erste deutsche Dampfschiff, den Flußraddampfer "Weser" unter der Regie von Anna Lange, der Witwe des vormaligen Werftinhabers Johann Lange. Hier war die Keimzelle des Eisenschiffbaus an der Unterweser. Bis heute steuern die Chefs der Lürssen-Werftengruppe ihre Geschäfte direkt vom Vegesacker Hafen aus. 

Ulrich Weidinger beschreibt, wie sich an den Ufern von Weser und Lesum damals mehr und mehr Schiffbaubetriebe gründeten: "Es blieb nicht bei Schiffbau in Vegesack. Wir sprechen über die ganze Strecke von Burg bis Blumenthal und Elsfleth und über beide Ufer. Das war im 18. Jahrhundert und beginnenden 19. Jahrhundert die Schiffbauzentrale Deutschlands schlechthin, kann man sagen."

Weidingers Buch behandelt nur die ersten 200 Jahre des Vegesacker Hafens. Dass danach hier 1938 auch noch Europas größte Heringsloggerflotte lag – das will er vielleicht noch in den kommenden Jahren in einem weiteren Buch verarbeiten.

So feierten Seeleute in den 50er Jahren am Utkiek in Vegesack

Bild: Radio Bremen

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Autor

  • Volker Kölling Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 14. Mai 2022, 19:30 Uhr