Fragen & Antworten

Bremer Arzt warnt: Kaum Nachwuchs in der Drogensuchtmedizin

Blick in den ersten Drogenkonsumraum in Baden-Württemberg.
Schwerpunktpraxen und Konsumräume sollen helfen, drogenabhängige Menschen gesundheitlich und sozial zu stabilisieren und Kriminalität einzudämmen. (Symbolbild) Bild: dpa | Uli Deck

Der Substitutionsarzt John Koc warnt vor den Folgen der Crack-Welle. Wenn die Drogenhilfe nicht mehr Geld erhält, rechnet er mit steigenden Todeszahlen.

Die Substitution, also die Drogenersatztherapie, gilt mittlerweile als wichtige Säule im Umgang mit Menschen, die zum Beispiel heroinabhängig sind. Sie ist in Deutschland gesetzlich geregelt und wird von so genannten Substitutionsärztinnen und Substitutionsärzten durchgeführt. Das Problem: Bundesweit fehlt es inzwischen an medizinischem Personal, das diese Aufgabe übernehmen könnte.

Warum das Land Bremen derzeit in diesem Punkt noch eine Ausnahme ist und welche Probleme dennoch auf die Hansestadt zurollen, erklären wir hier.

Wieviele Drogenabhängige gibt es in Bremen?

Dem jüngsten Substitutionsregister im Bundesland Bremen zufolge waren im Juli 2022 in Bremen und Bremerhaven 1.688 Substitutionspatientinnen und -patienten gemeldet. Wieviele drogenabhängige Menschen nicht gemeldet sind, ist allerdings offen.

Eine grobe Einschätzung bringt die Auswertung des Epidemiologischen Suchtsurveys 2021 für das Bundesland Bremen. Den Befragung zufolge ergibt sich eine Zahl von 5.300 Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren im Land Bremen, die zumindest Suchtmittel konsumieren.

Das "Spritzbesteck" eines Drogenabhängigen mit einer bereits aufgezogenen Heroinspritze.
Spritzbesteck eines Drogenabhängigen: In Bremen sind derzeit mehr als 1.600 Abhängige in Behandlung. Bild: dpa | Boris Roessler

Wieviele Substitutionsärzte gibt es in Bremen?

Den gemeldeten 1.688 Substitutionspatienten im Bundesland Bremen standen im Juli 2022 insgesamt 49 versorgende Ärztinnen und Ärzte gegenüber, teilt das Gesundheitsressort mit. Die für die Versorgungsplanung im Land Bremen zuständige Kassenärztliche Vereinigung spricht aktuell sogar von 51 Ärztinnen und Ärzten, die über eine Genehmigung für die Substitution von Suchtpatienten verfügen.

In der Stadt Bremen praktizieren dem Gesundheitsressort zufolge 39 Ärzte, davon 18 in vier Schwerpunktpraxen mit zum Teil mehreren Hundert Patienten am Bahnhof, in Utbremen, im Bremer Osten und in Blumenthal.

In Bremerhaven, wo derzeit rund 340 Patienten betreut werden, gibt es dem Ressort zufolge derzeit zehn substituierende Ärzte, wobei fünf von ihnen in einer Schwerpunktpraxis für Suchtkranke arbeiten.

Wie hat sich die Betreuungsquote verändert?

Bundesweit sinkt die Zahl der Substitutionsmediziner seit Jahren. Auch in Bremen ist die Zahl gesunken. So waren dem Gesundheitsressort zufolge 2019 noch 57 substituierende Ärzte im Bundesland Bremen gemeldet – im Vergleich zu den 49 im Jahr 2022.

Die Betreuungsquote, also die Anzahl der Patienten pro Ärztin, schwankte allerdings zuletzt. Lag sie 2019 noch bei 31,1 Personen, waren es 2020 im Schnitt 32,6 Personen, 2021 nur 30,2 und 2022 schließlich 34,4 Patienten pro Ärztin.

Drogenkonsumenten am Bremer Hauptbahnhof
Drogenkonsum am Bremer Hauptbahnhof: Ab Oktober ist das verboten. Wo sich die Süchtigen dann aufhalten werden, ist offen. Bild: Radio Bremen

Herrscht ein Mangel an Substitutionsmedizinern?

Obwohl die Betreuungsquote sich zuletzt zu Ungunsten der Suchtpatienten verschlechtert hat, gilt die Versorgung in Bremen aufgrund der hier angesiedelten Schwerpunktpraxen als vergleichsweise gut. "Nach unserer Einschätzung liegt noch kein Mangel vor", sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, Christoph Fox.

"Die Zahl der substituierenden Ärzte hat abgenommen, die Zahl pro Patient ist in Bremen aber höher als im gesamten Bundesgebiet", sagt auch John Koc, der selbst eine Schwerpunktpraxis in Bremen betreibt. Im Nordwesten Deutschlands gebe es vor allem einen Versorgungsmangel im ländlichen Raum, sagt der Psychiater. Die Folge: lange und strapaziöse Wege für viele Patientinnen und Patienten.

Allerdings könnte sich auch in Bremen und Bremerhaven die Versorgungslage bald verschlechtern. "Angesichts des Nachwuchsmangels werden die einzelnen Ärzte immer älter", sagt Koc. Er selbst ist 65 Jahre alt, will aber noch weitere zehn Jahre arbeiten – wie auch viele seiner Kolleginnen und Kollegen.

Das ist eine Frage der Haltung.

John Koc, Psychiater und Substitutionsmediziner in Bremen

"Zumindest für die nächsten fünf bis zehn Jahre zeichnet sich daher noch kein allzu großer Mangel in Bremen ab", sagt Koc. Danach sei allerdings absehbar: "Wir werden einen eklatanten Mangel kriegen."

Warum fehlt der Nachwuchs?

Dass es inzwischen immer weniger Substitutionsmediziner gibt, hat vielfältige Gründe. Ein Teil der Suchtmediziner gehöre noch zu den überzeugten Alt-68ern. "Die haben schon vor der Anfang der 1990er erfolgten Genehmigung der Krankenkassen grau substituiert", sagt der Psychiater Koc, der selbst seit 1986 Drogenpatienten behandelt.

Heute fehle es hingegen an Anreizen für den medizinischen Nachwuchs, sich mit dem Thema eingehend zu beschäftigen. Im Vorlesungskanon spiele die Drogensuchtmedizin derzeit praktisch keine Rolle. So würden Studenten gar nicht an das Thema herangeführt. "Sobald sie dann in die Facharztausbildung kommen, kriegen sie das ganz ausgetrieben", sagt Koc. Denn eine Facharztweiterbildung zum Suchtmediziner gebe es nicht.

Stattdessen können Ärztinnen und Ärzte, die bereits eine Facharztweiterbildung haben, eine 50-stündige "Zusatz-Weiterbildung Suchmedizinische Grundversorgung" absolvieren. "Da kann man dann Substitution machen, ohne je einen Drogenabhängigen gesehen zu haben", sagt Koc.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bremen sieht den Nachwuchsmangel hingegen noch in einem größeren Kontext. "Eine dezentrale Versorgung von Patienten mit Suchterkrankungen kann nur von Praxen übernommen werden, die im Stadtgebiet verteilt sind", sagt KV-Sprecher Fox. Eine Niederlassung oder eine Tätigkeit in einer Praxis sei für viele Mediziner allerdings unattraktiv geworden – unter anderem aus finanziellen und bürokratischen Gründen. Hier müsse die Politik entsprechende Weichen stellen.

Crack Pfeife
Crack, wie hier in kleinen Pfeifen geraucht, gilt kurzfristig als größte Gefahr für die Substitutionsmedizin in Bremen. Bild: dpa | picture alliance / PYMCA/Photoshot | Tom Oldham

Warum gefährdet Crack Bremens Drogensubstitution?

Das größte akute Problem für die Substitutionsmedizin in Bremen ist kurzfristig jedoch ein anderes: "Das neue Schreckgespenst ist das Kokain", sagt der Substitutionsarzt Koc. Vor allem die aufkommende Droge Crack sorgt ihn und seine Kollegen. Bei der Droge handelt es sich um kokainhaltige Kristallkörner, die in kleinen Pfeifen geraucht werden. Die Wirkung tritt bei Crack, anders als bei Heroin, schon nach wenigen Sekunden ein. Sie hält jedoch nur fünf bis fünfzehn Minuten an. Beim Heroin dauert der Rausch hingegen mehrere Stunden.

"Die Heroin-Abhängigkeit macht uns weniger Sorge", sagt der Psychiater. Beim Crack hingegen gebe es zwei Probleme: Ersten seien die Patienten meist kaum noch erreichbar. "Die Patienten halbieren ihr Gewicht, verbrennen Kalorien wie ein Hochleistungssportler und neigen zur Gewalttätigkeit." Außerdem gebe es, anders als zum Beispiel Methadon beim Heroin, kein Substitut für Kokain.

Gegen Crack ist kein Kraut gewachsen.

John Koc, Psychiater und Substitutionsmediziner in Bremen

Daher brauche es mehr finanzielle Mittel für weitere Drogenkonsumräume zum Beispiel in Bremen-Nord und anderen Stadtteilen. Außerdem müsse in Bremen die Zahl der Street Worker gesteigert werden. "Man muss befürchten, dass die Todesfallzahlen sonst absehbar steigen", sagt Koc.

Bremer Drogen-Probleme: So hat sich die Szene in 40 Jahren verändert

Bild: Radio Bremen

Mehr zur Drogenproblematik in Bremen:

Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 5. September 2023, 19:30 Uhr