Interview

Warum sich Sozialarbeiter offen gegen Bremens Drogenpolitik stellen

Eine offene Tür an der ein Schild mit Konsumraum steht
Ein Drogenkonsumraum entsteht derzeit – doch das reiche nicht, meinen die Sozialarbeiter von fix it. Bild: IMAGO / Papsch

Sozialarbeiter aus der Drogenhilfe kritisieren Bremens Drogenpolitik. Einer von ihnen erklärt, warum Kontrollen die Lage nicht verbessern würden.

Felix Moh ist täglich mit der Situation am Bremer Hauptbahnhof konfrontiert. Er arbeitet in einer Kontakt- und Beratungsstelle und als Streetworker. Die Drogenszene wächst und Bremens Regierung versucht mit einem Drogenkonsumraum und regelmäßigen Polizeikontrollen, dem entgegenzuwirken. Doch Kontrollen und Polizeipräsenz werden das Problem nicht lösen, sagt Moh. Zusammen mit anderen Sozialarbeiter hat er die Kampagne "fix it" gegründet, die die Bremer Drogenpolitik kritisiert. Dahinter stecken etwa 15 Sozialarbeiter aus der Bremer Drogenhilfe.

Herr Moh, Sie arbeiten in der Drogenhilfe und veröffentlichen nun ein Positionspapier gegen die aktuelle Politik, was sagt Ihr Arbeitgeber dazu?

Die Drogenhilfeträger sind teilweise in Aufruhr, weil wir nun unser Positionspapier veröffentlicht haben. Wir sehen sie aber gar nicht als Feind, im Gegenteil, als Arbeitskreis können wir unabhängig Forderungen aufstellen und Kritik äußern, die im Sinne der Drogenhilfe ist. Unsere Träger hängen am Geldtopf der Politik und müssen mit derartiger Kritik vorsichtiger sein.

Werden denn die Vorschläge der Sozialarbeiter gar nicht gehört in der Politik?

Doch, ich sitze als Mitarbeiter der Drogenhilfe auch selbst in verschiedenen Gremien. Sicher würde auch unsere Bremer Suchtreferentin, wenn ich alle Vorschläge auf den Tisch lege, nicken und sagen, dass vieles davon sinnvoll sei — aber es mangelt in Bremen am Budget und es wird eben nicht in dem aus unserer Sicht erforderlichen Maße investiert. Beziehungsweise falsch, wenn man sich mal anschaut, was für enorme Summen in Repressionsmaßnahmen gesteckt werden. Allein, wie teuer ein Tag in Haft ist, die Kontrollen am Bahnhof und so weiter. Wenn man diese Summen in den Ausbau von Prävention und Hilfsangeboten stecken würde, könnte man wirklich bei Menschen eine Stabilisierung erreichen.

Die vermehrten Kontrollen und der Drogenkonsumraum in der Friedrich-Rauers-Straße haben aber schon eine leichte Verschiebung gebracht, oder?

Ja, aber eben nur eine Verschiebung. Manchmal würde ich gerne auf einer Karte aufzeichnen, wie sich die Szenepunkte von Stadtteil zu Stadtteil verschieben und dies dann dem Innenressort zeigen. Klar kann man mit Polizeikontrollen Menschen verjagen, aber die tauchen dann eben woanders wieder auf. Ich bin im Steintor aufgewachsen, dort gab es in den 80er und 90er-Jahren eine große Drogenszene. Mit Kontrollen und Hilfsangeboten wurde die dann Anfang der 2000er zum Bahnhof gelockt — tja und nun will man sie da nicht mehr haben.

Mäurer stellt sich auf den Bahnhofsvorplatz und skandiert Sauberkeit mitten im Wahlkampf, aber man muss sich doch fragen, was wirklich die Ursachen sind, warum die Leute dort sind – nur so kann man etwas verändern.

Felix Moh, Sozialarbeiter in der Drogenhilfe

Abgesehen davon kann man einer bestimmten Personengruppe nicht das Recht absprechen, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten.

Die Verschiebung soll stattfinden, weil sich viele Bürger unsicher fühlen. Sie sind täglich am Hauptbahnhof, wie geht es Ihnen damit?

Das Sicherheitsgefühl, was in der Berichterstattung und von der Politik immer wieder genannt wird, ist ja erstmal subjektiv. Ich kann mir vorstellen, dass es für viele auch einfach das soziale Elend ist, was sie nicht sehen wollen. Es ist aber einfach eine Realität, dass es zunehmend Menschen gibt, die sich in einer katastrophalen psychosozialen Situation befinden. Wir müssen die dahinterliegenden Ursachen identifizieren und bearbeiten und können das Problem nicht einfach aus dem Stadtbild und den Köpfen verdrängen.

Im Übrigen beobachte ich und auch einige meiner Kollegen, dass durch die Kontrollen unsere Klienten in erster Linie gestresst und aggressiv werden.

Immer wenn es wieder große Polizeikontrollen gab, kam es zu einer erhöhten Aggression – untereinander und uns gegenüber. Die tägliche Ablehnung, die hier den Personen entgegentritt, führt am Ende vor allem zu einer Sache: Der Stabilisierung von Suchtstrukturen.

Felix Moh, Sozialarbeiter in der Drogenhilfe

Die Polizeikontrollen sind aber nur ein Teil der Drogenpolitik, was halten Sie von Angeboten wie dem Drogenkonsumraum?

Ich finde wirklich gut, dass hier auch in diese Richtung investiert wird, das möchte ich auch betonen. Aber es ist eben viel zu wenig und teilweise nicht ausgearbeitet.

Es wurde beispielsweise ein Regenerationszentrum in der Nähe des Drogenkonsumraums geschaffen – hier können sich die Menschen ausruhen und schlafen. Einen derartigen Ort hatten wir Soziarbeiter uns erhofft und auch gefordert. Sowas ist total wichtig, denn gerade Crack lässt Menschen oft tagelang nicht zur Ruhe kommen. Aber die Öffnungszeiten sind beispielsweise nur tagsüber, und die Betten wurden erstmal nur zum Übergang dort hingestellt und auch der Drogenkonsumraum ist erstmal nur eine Containerlösung.

Dabei bräuchte es eigentlich sogar mehrere davon – auch in der Nähe des Hauptbahnhofs oder anderen aktuellen Brennpunkten wie der Neustadt, Gröpelingen oder Bremen Nord.

Sie sprechen im Positionspapier von Ursachen bekämpfen und mehr Investition in Hilfsprogramme — wie kann man sich das denn konkret vorstellen?

Es gibt ja beispielsweise einen guten Grund, warum sich die Leute an Orten wie dem Bahnhof aufhalten: Sie haben keine Wohnung und sie suchen einen Platz, wo sie mit anderen Menschen zu tun haben — es ist ein wichtiger sozialer Raum für unsere Klienten.

Seitdem ich in der Drogenhilfe tätig bin, ist mir beispielsweise aufgefallen, dass immer weniger Menschen überhaupt Wohnraum haben. Wir könnten auch kaum welchen suchen mit ihnen, oft geht es nur um das Überleben. Projekte wie Housing First sind beispielsweise eine gute Maßnahme. Aber auch Akzeptanzorte — irgendwo muss man den Menschen eben gestatten, sich aufzuhalten.

Aber gibt es denn überhaupt reale Hoffnung auf eine Verbesserung bei den Personen?

Für manche ist der Ausstieg nicht realistisch, aber aus meiner Erfahrung kann ich eins sagen: Selbst ich kann nicht abschätzen, wer es raus schafft. Wir werden oft überrascht. Ein Klient von mir, der tief in der Sucht drinsteckte, entdeckte irgendwann das Angeln für sich. Er hat sich sukzessiv spezialisiert und irgendwann sogar ein Restaurant gefunden, das seine Fische kauft. Von dem Alltag rund um Drogen kam er dahin, dass er morgens früh aufstand und rausfuhr zum Angeln. Niemals hätte ich bei ihm gedacht, dass er sich so verändert. Aber manchmal, das beobachte ich immer wieder, entwickeln Menschen eine innere Motivation, aus der heraus sie vieles schaffen — doch das funktioniert nur ohne Zwang und mit Menschenwürde.

Kundgebung zum Gedenktag für Drogenopfer in Bremen

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 21. Juli 2023, 19:30 Uhr