Interview

Bremer Virologe: "Ich fürchte, man wird nicht schnell genug reagieren"

Virologe Andreas Dotzauer steht auf einem Flur.
Virologe Andreas Dotzauer hält die geplanten Maßnahmen vom Bund für einen momentanen Kompromiss. (ARchivbild) Bild: Radio Bremen

Zum Herbst können die Länder laut geplantem Infektionsschutzgesetz Corona-Maßnahmen einführen. Aber keine Extreme, wie einen Lockdown. Laut Andreas Dotzauer "ein verwirrender Kompromiss".

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminster Martin Buschmann (FDP) haben gemeinsam einen Vorschlag gemacht, um das Infektionschutzgesetz zum Herbst anzupassen. Danach sollen die Länder wieder eine Maskenpflicht in Innenräumen einführen dürfen, die je nach Infektionslage auch auf Veranstaltungen draußen erweitertet werden kann. Zudem könnte es wieder ein Testpflicht geben für Schulen, Kitas und andere Einrichtungen. Extreme Maßnahmen wie ein Lockdown oder Schulschließungen sind demnach nicht vorgesehen.

Für den Bremer Virologen Andreas Dotzauer ist dieser Vorschlag nur ein Kompromiss. "Ein Momentaufnahme, die Verwirrung stiftet", weil sie entstanden ist aus der "Worst-Case-Annahme von Lauterbach und einer aus meiner Sicht völligen Fehleinschätzung der Lage von Buschmann und von Seiten der FDP", sagte der Virologe buten un binnen. Er fürchtet sogar, dass alte Fehler wiederholt werden.

Herr Dotzauer, wie bewerten Sie als Virologe die Corona-Maßnahmen, die zum Herbst geplant sind?

Ganz allgemein kann ich sagen, dass das, was präsentiert wurde, nichts ausschließt. Der Bund macht rudimentäre Aussagen und die Bundesländer haben die Möglichkeit dann situationsangemessen zu reagieren. Das macht Sinn, weil niemand weiß, welche Situation wir im Herbst haben werden.

"Schließt nichts aus", heißt, es könnte doch einen Lockdown geben, der ja in der Tat ausgeschlossen wurde von der Bundesregierung?

Das ist eindeutig abhängig davon, ob die Situation so bleibt, ob sich das Virus verändert, wie es sich weiterentwickelt. Aber die Aussage, ein Lockdown werde nicht kommen, ist so nicht haltbar. Das kann man doch nicht kategorisch ausschließen. Das wissen auch die Beteiligten – ich hoffe zumindest, dass das allen Beteiligten klar ist. Wenn sich die Situation extrem verschlimmert, kann man sich doch nicht bockig stellen und wie ein kleines Kind und sagen: "Nein, wir machen keinen Lockdown". Was wir bekommen haben, ist eine Richtschnur.

Dann sind die bisher vereinbarten möglichen Maßnahmen dehnbar aus Ihrer Sicht?

Die Vorgaben sind ein Kompromiss, der zur Verwirrung führt zwischen der Worst-Case-Annahme von Lauterbach auf der einen Seite und auf der anderen Seite der aus meiner Sicht völligen Fehleinschätzung der Lage von Buschmann und von Seiten der FDP. Wenn extreme Maßnahmen notwendig sind, dann ist das so. Ich sehe das als momentanen Kompromiss, es sind auch noch drei Monate bis dahin. Man kann jetzt keine Maßnahmen festlegen über eine Lage, die wir heute noch nicht kennen.

Was erwarten Sie denn als Virologe im Herbst und Winter?

Das hängt von der Virus-Variante ab – und wie schwer die Erkrankungen verlaufen. Wir haben doch gelernt, dass sich das Ganze ausgesprochen dynamisch verhält. Und das wird erst mal so bleiben. Der Mindestabstand von 1,50 Meter ist bei der jetzigen hochinfektiösen Variante zu gering. Ich verstehe die Vereinbarung über die Maßnahmen im Herbst nicht so, dass dieser Abstand festgeschrieben ist. Was offensichtlich im Bewusstsein angekommen ist, ist, dass die Masken Menschen schützen und dass das Tragen von Masken als zumutbar zu sehen ist – und dass sie vielleicht auch im Außenbereich notwendig werden. Es bleiben aber Themen unbehandelt.

Welche sind das?

Die Quarantäne von Infizierten. Da eiert man ja ohnehin herum. Wenn man darüber spricht, muss man sich auf sinnvolle und wirksame Zeiten der Isolation einigen. Und das ist wiederum abhängig von der Virusvariante. Auch da kann man heute noch nicht konkret für den Herbst planen, nicht auf den Herbst vorgreifen. Es ist auch ein Nachteil, dass die Kriterien nicht formuliert werden, die herangezogen werden, um Maßnahmen zu ergreifen. Es bleibt ja auch den Ländern überlassen, wie sie die Lage einschätzen und im Herbst darauf reagieren.

Hat Bremen in der Vergangenheit denn verantwortungsvoll aus Ihrer Sicht entschieden?

Ja, Bremen ist damit verantwortungsvoll umgegangen. Das sehe ich schon so. Ich gehe auch davon aus, dass die Maßnahmen angepasst sein werden. Aber ich fürchte auch, dass man sich zu viel Zeit lassen wird – dass man nicht schnell genug reagiert, weil es extrem viele Bedenkenträger gibt, egal was man für Maßnahmen beschließt.

Dieser Vorwurf wurde schon in der Vergangenheit laut. Machen wir dieselben Fehler wieder?

Das soll ja vermieden werden – aber ich sehe das nicht passieren.

So kommen die neuen Corona Schutzmaßnahmen in Bremen an

Bild: Radio Bremen

Autorin

  • Autorin
    Birgit Reichardt Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 4. August 2022, 19:30 Uhr