Diese 6 Fakten zeigen die Rolle Bremens in der Kolonialgeschichte

Brinkmann-Mosaik in der Bahnhofshalle des Bremer Hauptbahnhofs
Das Brinkmann-Mosaik im Bremer Hauptbahnhof passieren täglich tausende Menschen. Der Handel mit Tabak aus den ehemaligen Kolonien war für Bremen immens wichtig. Bild: Imago | Schöning

Die Verflechtungen durch Überseehandel und Dependancen Bremer Unternehmen in ehemaligen Kolonien wirken teils bis heute nach. Wir zeigen wo und wie man damit umgeht.

"Was wissen Sie über Bremens Kolonialerbe?" Das wollte Radio Bremen in einer "Meinungsmelder"-Befragung von Meinungsmelderinnen und Meinungsmeldern wissen. Rund 1.700 Menschen haben an der nicht-repräsentativen Befragung teilgenommen. Mehr als ein Drittel von ihnen (35 Prozent) gab an, dass es einen Test über Bremens koloniale Vergangenheit nicht bestehen würde.

Tatsächlich ist die Kolonialgeschichte Bremens ein weites Feld. Durch Überseehandel und Dependancen Bremer Unternehmen in ehemaligen Kolonien gab es vielfältige Verflechtungen, die teils bis heute nachwirken. Wir zeigen eine Auswahl an historischem Hintergrundwissen und aktuellen Debatten, wie diese Kolonialgeschichte aufgearbeitet wird.

1 Nach diesem Bremer Kaufmann ist eine Stadt in Namibia benannt

Porträt von Lüderitz
Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz kam mit illegalen Mitteln im heutigen Namiibia zu Ländereien. Bild: Staatsarchiv Bremen

Sie liegt am Meer, an der namibischen Küste: Lüderitz. Die Stadt trägt ihren Namen nach dem Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz. Doch die Geschichte ist unrühmlich. Denn Lüderitz sicherte sich dort 1883 durch einen Betrug ein großes Stück Land. Lüderitz wollte dem Chief des Stamms der Nama, Joseph Frederiks, Land abkaufen. Das ließ er von seinem Bevollmächtigten, dem Bremer Heinrich Vogelsang, machen. Die Kaufleute hatten dabei ein anderes Längenmaß im Sinn als ihr Vertragspartner, nur ließen sie das nicht durchblicken: Der geschlossene Kaufvertrag lautete über Land im Umkreis von fünf Meilen. Sie ließen Frederiks in dem Glauben, es handele sich um englische Meilen, etwa 1,6 Kilometer. Tatsächlich legten sie preußische Meilen von etwa 7,4 Kilometern zugrunde. Dies ging als "Meilenschwindel" in die Geschichte ein. Ein Jahr später erklärt das Deutsche Reich dieses Land zu einem "Schutzgebiet": die erste deutsche Kolonie, Deutsch-Südwestafrika.

2 ...und diese Straße in Bremen auch

Auch in Bremen erinnert bis heute eine Straße in Schwachhausen an den Tabakwarenhändler Lüderitz. Versuche, sie umzubenennen, scheiterten bislang. Dafür einigte man sich im Beirat Schwachhausen auf folgende Beschreibung, die am Straßenschild lesbar ist: "Adolf Lüderitz (1834–1886), Bremer Kaufmann, legte mit betrügerischem Landerwerb und geschäftlichen Unternehmungen im heutigen Namibia die Grundlage für die spätere gewalttätige Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika (1884–1915)". Gudrun Eickelberg (Grüne), Sprecherin des Beirates Schwachhausen, erzählt, dass es beim Versuch, die Straße umzubenennen nicht nur im Beirat, sondern auch von Seiten der Anwohner Widerstand gab. "Manche wollten offenbar nicht ihre Adresse ändern, ohne umzuziehen."

3 Diese koloniale Erbe versteckt sich hinter Straßennamen

Mit entsprechenden Erklärtexten versehen sind auch die Vogelsang- und die Hedwig-Heyl-Straße in Schwachhausen. Heinrich Vogelsang war als Bevollmächtigter von Lüderitz an dessen Geschäften beteiligt. Hedwig Heyl war "Vorsitzende des rassistischen 'Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft' (1910-1920). Heyl stand im Alter dem Nationalsozialismus nahe", heißt es in der Legende. Auch im Bremer Westen gibt es Straßen, die dem Namen nach an Personen oder Orte aus der Kolonialgeschichte erinnern. Versteckt ist das manchmal, sagt Lilli Hasche. Sie gibt Stadtführungen durch die Überseestadt und Walle, und macht auf koloniale Spuren aufmerksam. Wie bei der Südweststraße. "Es ist ein Skandal, dass sie noch so heißt, obwohl es die Kolonie Deutsch-Südwestafrika nicht mehr gibt."

Andere Beispiele: Die Waterbergstraße, die nach dem Ort benannt ist, an dem am 11. August 1904 der Völkermord gegen die Herero und Nama seinen Anfang nahm. Die Leutweinstraße, benannt nach Theodor Leutwein, einem Kommandeur der Kaiserlichen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika, der mit seiner Truppe die sich widersetzende Bevölkerung gewaltsam in Schach hielt und unter sogenannte Schutzverträge zwang. Oder die Karl-Peters-Straße, benannt nach dem Kolonialisten Karl Peters, der sich den Beinamen "Hänge-Peters" verdiente, nachdem er sein Dienstmädchen und einen Diener, mit dem sie offenbar eine Beziehung begonnen hatte, im heutigen Tansania hängen und ihre Heimatdörfer verwüsten ließ. Die Karl-Peters-Straße in Bremen-Walle wurde mittlerweile umgewidmet und erinnert nun an einen Strafrechtsreformer gleichen Namens.

4 Diese Bauwerke zeugen von kolonialem Erbe

Lloydgebäude um 1900
Das Verwaltungsgebäude des Norddeutschen Lloyd um 1900. Heute befinden sich an der Stelle Lloydpassage und -Hof. Bild: Staatsarchiv Bremen

Das gesamte frühere Hafengebiet hat einen Bezug zur Kolonialgeschichte, findet Lilli Hasche. "Der Hafen wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut. Das fällt zeitlich mit der Gründung deutscher Kolonien zusammen. Unsere These ist daher: Diese Infrastruktur war nötig für den Kolonialismus." Besonders prägnant: Der Speicher XI, in dem damals Baumwolle gelagert wurde.

Tabak, Kaffee, Tee, Kakao, Baumwolle – alles Rohstoffe aus Übersee, die im Bremer Hafen umgeschlagen wurden. Kolonialwaren auch genannt. Im Bremer Hauptbahnhof findet sich das 1957 angelegte "Brinkmann-Mosaik", das auf die große Bedeutung Bremens und seines Hafens im Tabakhandel anspielt. "Auch Begriffe wie die Lloydpassage und der Lloydhof spielen auf die koloniale Geschichte an. Der in Bremen gegründete Norddeutsche Lloyd stellte Kaufleuten und der Norddeutschen Mission mit seinen Schiffen Transportmittel zur Verfügung", sagt Anna Greve, Direktorin des Focke-Museums.

5 Das wenig bekannte Mahnmal neben dem "Elefant"

Das Bremer Herero-Mahnmal, das an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft im heutigen Namibia erinnern soll, vor dem steinernen Elefanten als Anti-Kolonialdenkmal, hinter dem Bremer Hauptbahnhof.
Das Ohamakari-Mahnmal für die Opfer des Völkermords an den Herero und Nama. Bild: Imago | epd

Ein Bauwerk, das viele Bremer mit dem Thema Kolonialgeschichte in Verbindung bringen, ist der Elefant aus Backstein in Bremen-Schwachhausen. 1931 wurde er als "Reichskolonial-Ehrenmal" angelegt, heute ist er als "Antikolonial-Denkmal" bekannt. In unmittelbarer Nähe findet sich das weit weniger bekannte Ohamakari-Mahnmal für die Opfer des Völkermords im heutigen Namibia. "Viel wichtiger als der Elefant ist der Steinkreis. Er ist aus Felsbrocken vom Waterberg gestaltet. Dort begann 1904 der Völkermord gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika", sagt Greve.

6 Was aus dem Bremer "Kolonialmuseum" wurde

Städtisches Museum 1911
Das heutige Übersee-Museum im Jahr 1911. In der Nazi-Zeit bekam es den Titel "Kolonial- und Übersee-Museum". Bild: Staatsarchiv Bremen

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Bremen als "Stadt der Kolonien" bezeichnet, und das im späten 19. Jahrhundert gebaute "Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde" zum "Deutschen Kolonial- und Übersee-Museum". Heute heißt es nur noch Übersee-Museum und arbeitet die eigene Geschichte und die seiner Sammlungen in langwierigen Forschungen auf. "Man kann die Sammlung des Museums nicht eins zu eins mit der deutschen Kolonialzeit gleichsetzen. Wo die Bremer Kaufleute intensive Handelsbeziehungen hatten, da kommen viele Sammlungen her", sagt Direktorin Wiebke Ahrndt. Sie schätzt, dass etwa ein Viertel der Afrika-Sammlung aus den ehemaligen Kolonien stammt.

Im Laufe der Jahrzehnte wurden immer wieder menschliche Überreste, Objekte und Dokumente an die rechtmäßigen Erben in ehemaligen Kolonien zurückgegeben. "Das Übersee-Museum hat bereits in den 1950er-Jahren erste menschliche Überreste nach Tansania, das ehemalige Deutsch-Ostafrika, zurückgegeben. Das war für die deutsche Museumslandschaft in dieser Zeit sicher eher ungewöhnlich", sagt Ahrndt. Zurzeit wird die Ozeanien-Ausstellung umgearbeitet. So soll unter anderem auf den Zusammenhang zwischen Kolonialismus und Klimawandel aufmerksam gemacht werden. Denn viele Folgen der Kolonialzeit spüren die Menschen vor Ort dort noch heute, erklärt Ahrndt. "Neben tiefgreifenden kulturellen und sozialen Umwälzungen ist zum Beispiel durch die von den Kolonialmächten eingeführte Plantagenwirtschaft viel an ökologischer Vielfalt verloren gegangen."

Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 11. August 2021, 19:30 Uhr