So fährt es sich auf einem alten Dampf-Eisbrecher – Übelkeit inklusive

Ankunft in Bremerhaven bei Nacht auf dem Dampfeisbrecher Wal
Nach über 9 Stunden Fahrt: Ankunft in Bremerhaven

So fährt es sich auf einem alten Dampf-Eisbrecher – Übelkeit inklusive

Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

Mit der "Wal" aus Bremerhaven, Baujahr 1938, war Reporter Till Kohlwes auf hoher See unterwegs: Neun Stunden Fahrt, Übelkeit, nette Gespräche und viel Geschichte.

Ich schwanke von einer auf die andere Seite des Schiffes. Backbord oder Steuerbord ist mir in dem Moment völlig egal. Meine Knie zittern. Ich halte mich fest und starre vor mich hin. Die Wellen toben und der Wind zischt an meinen Ohren vorbei. Ich denke mir, warum habe ich als Fischkopp bloß die Tabletten gegen Seekrankheit abgelehnt.

Der Liegeplatz des Dampfeisbrechers Wal in Wilhelmshaven.
Die "Wal" auf Station in Wilhelmshaven. Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

Fünf Stunden davor spüre ich nur eins: Vorfreude. Leise summe ich den Klassiker "Seemann, deine Heimat ist das Meer" von Freddy Quinn. Mit einem breiten Grinsen begrüßt mich Kapitän Sebastian Trudwig an Bord des Traditionsschiffs "Wal" – es hatte gerade Station beim "Wochenende an der Jade" in Wilhelmshaven gemacht. Erkannt hatte ich den Eis-Dampfbrecher sofort an seinem unverkennbaren gelb-schwarzen Schornstein.

Ohne Ehrenamtliche geht nichts

Insgesamt sind wir 33 Menschen an Bord. Darunter auch einige zahlende Gäste. Zehn davon sind seit über zehn Tagen mit auf Törn. Fünf Tagesgäste suchen wie ich das kurze Abenteuer. Und natürlich auch die Mannschaft. Sie besteht aus 18 Ehrenamtlichen, die sich um das Bekochen und Betreuen der Gäste kümmern. Aber auch um das Anheizen und das Steuern der "Wal". Und das teils noch mit Gerätschaften aus dem Baujahr.

1942 von Fliegerbomben getroffen

Kapitän Sebastian Trudwig an Bord der Wal
Kurze Verschnaufpause für Kapitän Sebastian Trudwig. Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

Bereits 1938 lief der Dampf-Eisbrecher in Stettin vom Stapel. Die Aufgabe der "Wal": Eis brechen auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Nach mehreren Testfahrten, kommt es dann zwei Jahre später im Zweiten Weltkrieg zum ersten, offiziellen Einsatz. Die Kriegsmarine forderte in der Folge immer öfter das Schiff an. Im April 1942 wird die "Wal" dann von Fliegerbomben im Rostocker Hafen getroffen und geht auf Grund. Doch das ist nicht das Ende des Dampf-Eisbrechers. Ein Monat später wird er dann gehoben und repariert. Und die Reparatur rettete womöglich vielen Menschen das Leben, denn zum Ende des Krieges nimmt die "Wal" Flüchtlinge aus Danzig auf und bringt sie über die Ostsee in den Westen.

Ich bin stolz, hier fahren zu dürfen auf so einem alten, historischen Schiff. Da ist ja auch eine Menge Vergangenheit mit dabei und steckt viel Arbeit drin. Das ist schon eine Ehre hier als Kapitän zu fahren.

Sebastian Trudwig, Kapitän

Geschichte kann hautnah an Bord erlebt werden.

Schild auf der Wal: Stettiner Oderwerke-Aktiengesellschaft/Stettin 1938
Gebaut wurde das Schiff in Stettin. Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

Nachdem 1952 Helgoland von den englischen Besatzungstruppen freigegeben wird, findet die "Wal" dann ein weiteres Einsatzgebiet. Den Menschen auf der Insel bringt sie Wasser und Lebensmittel. Doch auch die Arbeit als Dampf-Eisbrecher kommt nicht zu kurz. Bis 1988 ist sie dafür noch mehrfach im Einsatz. Vor der Verschrottung rettet sie dann 1990 die Schiffahrts-Compagnie Bremerhaven e.V. Die "Wal" wird daraufhin nach Bremerhaven überführt. Seitdem heißt es öfter im Jahr: Leinen los!

Leidenschaft ohne Ende

Eine Stunde vor Abfahrt darf ich rückwärts eine Leiter in den Kesselraum runtersteigen. Es zischt und dampft – ich komme direkt nur vom Zugucken leicht ins Schwitzen. Mir wird einiges erklärt und die Begeisterung springt direkt auf mich über. Genau an solchen Orten ginge bei einem jedem Techniker das Herz auf, sagt mir einer der Ehrenamtlichen. Ein Hauch von Nostalgie kommt auf. Jeder der Crew weiß genau, was er zu tun hat.

Dampf ohne schwarzen Ruß

Von einer Befeuerung mit Kohle kann nicht mehr die Rede sein, in den 60er Jahren wurde diese auf Öl umgestellt. Grund dafür war ein defekter Kessel, der nicht repariert werden konnte. So konnte Besatzung eingespart werden und es wurde gleichzeitig eine umweltfreundlichere Antriebsart gefunden. Denn eine Ölbefeuerung rußt nicht. Keine schwarzen Rauchwolken mehr über dem Schiff.

Historisches Bild aus den 1960er Jahren: der Dampfeisbrecher Wal im Eis
Bis in die 1960er Jahre war noch eine schwarze Rußwolke über dem Dampfer zu sehen. Bild: Schiffahrts-Compagnie Bremerhaven

Aus dem Maschinenraum führt ein Sprachrohr zur Schiffsbrücke – ein Relikt aus dem Jahr 1938. Daneben noch ein altes Telefon. Ich fühle mich, wie in einer Zeitreise. Das Schiff soll seinen Charme behalten, das ist Kapitän Sebastian Trudwig sehr wichtig. Auch deshalb fahren die Gäste immer wieder gerne mit der "Wal" mit.

Stammfahrgäste aus Franken

Und das sind nicht alles Fischköppe wie ich. Sie kommen aus ganz Deutschland. Bevor es losgeht, möchte ich noch erfahren, was mich erwartet und komme mit Renate aus Pappenheim in Franken ins Gespräch. Sie ist mit ihrem Mann schon zum vierten Mal mit an Bord. Die Beiden haben eine Vorliebe für Traditionsschiffe und den Norden. Jedes Jahr machen sie Urlaub in Cuxhaven.

Ich habe auf der 'Wal' schon sehr großen Sturm erlebt, aber sie hat sich tapfer geschlagen. Es waren viele Leute seekrank. Aber das Team und die Mannschaft waren super. Wir sind gut angekommen.

Fahrgast Renate Prusakow aus Pappenheim

Erbsensuppe mit Bockwurst

Mit mehreren Dampfsignalen – weißer Dampf strömt aus dem Schornstein – verabschieden wir uns um 13:30 Uhr aus Wilhelmshaven. Die Kaiser-Wilhelm-Brücke wird aufgeklappt und auch die Seeschleuse wird passiert. Ich stehe auf dem Deck und winke einzelnen Schaulustigen zu. Gleichzeitig wird in der Kombüse für die komplette Mannschaft und die Gäste kräftig gekocht. Ein Topf voller Erbsensuppe, daneben ein Teller mit knackigen Bockwürstchen. Es sei wichtig, sich zu stärken sagt man mir.

Wir fahren tatsächlich noch mit Papier-Seekarten, wir haben natürlich auch elektronische Seekarten, aber mit Zirkel und allem – das gehört einfach dazu.

Sebastian Trudwig, Kapitän
Blick auf
Der Blick auf's Wasser von einer Bank aus. Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

Vorbei an der Düneninsel Mellum passieren wir Wangerooge und drehen Richtung Osten ab: Dabei klatschen die Wellen seitlich gegen unser Schiff. Immer mehr Wasser kommt aufs Deck. Auf der Schiffsbrücke herrscht gute Stimmung, die Seemänner und Gäste scheinen genau dieses Abenteuer zu lieben. Wellengang und das Schaukeln machen ihnen nichts aus. Alles Gewöhnungssache, denke ich mir. Ich selbst gehe erstmal runter und setze mich auf eine Bank an Deck. Ich merke, dass ich nachdenklich werde. Ich schau auf die Wellen, in die Weite. Fühle mich unsicher.

Nachwuchs gesucht

Schnell bekomme ich den Tipp, auf die andere Seite zu wechseln, hier würde ich den nächsten zehn Minuten klitschnass werden. Gesagt getan. Alleine bleibe ich nicht. Gut für die Ablenkung. Immer wieder kommen Männer zu mir und ich erfahre mehr über ihren Werdegang und ihre Leidenschaft zur "Wal". Zum großen Teil sind die Kümmerer schon in Rente. Jeden Dienstag und Donnerstag treffen sie sich am Stellplatz im Neuen Hafen in Bremerhaven, um das Traditionsschiff in Schuss zu halten.

Veränderung der Gesichtsfarbe

Blick von der Wal: ein Autotransporter setzt zum Überholen an.
Der Autotransporter "Morning Lucy" setzt zum Überholen an. Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

Von oben winkt ein Fahrgast aus dem Fenster der Schiffsbrücke. Die Frau hat ein breites Lächeln im Gesicht. Mir ist nicht mehr zum Lächeln zu Mute. Ich denke nicht lang nach und suche mir einen Ort, an dem ich mich sicher fühle. Ich reiße die Tür zur Messe auf, dem gemütlichen Treffpunkt. Ich setze mich auf die Eckbank entgegengesetzt der Fahrtrichtung. Das war ein Fehler. Die "Wal" gerät immer mehr ins Wanken. Meine Gesichtsfarbe verändert sich von rot zu weiß.

Antworten fällt schwer

Ich vergrabe mein Gesicht in meiner Hand. Ein Gast fragt mich etwas, doch das Antworten fällt mir schwer. In der Kombüse scheppert es, Teller in den Regalen rutschen von einer zur anderen Seite. Eine Kaffeekanne fällt um. Ich höre nur noch, meine Augen lasse ich lieber zu. Die Zeit scheint nicht vorbei zu gehen. Dann die Entwarnung durch den Kapitän. Das Schlimmste sei überstanden. Ich atme durch. Was mache ich hier eigentlich? Ich dachte, als Fischkopp wird man nicht seekrank.  

Da sind wir gerade drei Stunden unterwegs, über sechs Stunden liegen noch vor uns. Genug Zeit damit sich mein Magen wieder entspannen kann. Der Kapitän bringt mir einen bequemen Stuhl aufs Deck.

So nah und doch so fern

Papierseekarten auf der Brücke der Wal
Papier-Seekarten dürfen auf der Brücke nicht fehlen. Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

Auf der Karte scheinen Wilhelmshaven und Bremerhaven so nah, doch über See ist es doch komplexer. Gerade das Niedrigwasser macht der "Wal" sehr zu schaffen. Auch das Unesco-Welterbe Wattenmeer liegt auf der Strecke, das nicht durchquert werden darf. Zurück in ruhigeren Gewässer hoffen wir auf die Tide – die Flut – so geplant – sollte uns viel Schwung geben auf dem Weg nach Bremerhaven geben. Doch sie bleibt aus. So fahren wir mit sechs Knoten Richtung Heimathafen. Auf höchstens zehn Knoten ist der ehemalige Dampf-Eisbrecher ausgelegt

Wasserschiffahrtsstraßen laufen da lang, wo das Wasser tief ist. Die laufen nicht direkt von Hafen zu Hafen wie eine Autostraße.

Sebastian Trudwig, Kapitän

Beim Abendbrot kommt einiges auf den Tisch

In der Zwischenzeit hat die Küchencrew Abendbrot für uns vorbereitet. Brot, Käse, Wurst und Gewürzgurken stehen für uns bereit. Kann ich wirklich schon wieder essen? Zuerst mal etwas Tee auf den flauen Magen. Eine Mischung aus Früchtetee und schwarzem Tee. Ein richtiger Wachmacher. Danach beiße ich immer wieder von Butterbroten mit Sülze ab. Alles bleibt drin. Bei den restlichen Männern und Frauen scheint alles gut zu sein, der ein oder andere mitfühlende Blick erreicht mich.

Langsam traue ich mich auch wieder hoch auf die Brücke. Im Rücken taucht ein Autotransporter auf. Es knackt in der Leitung, es ist ein Funkspruch mit der Bitte das deutlich größere Schiff passieren zu lassen. Wir müssen das zähneknirschend akzeptieren, denn der Transporter ist zusammen mit der "Wal" in der Kaiserschleuse in Bremerhaven angemeldet. Zieht der Autotransporter nun an uns vorbei und ist deutlich früher dort, wird eventuell nicht auf uns gewartet. Dann wären wir erst bei der nächsten Schleusenöffnung dabei und wären erst nach Mitternacht in Bremerhaven.

Was ist im Maschinenraum los?

Unser Ziel klar im Blick hat Nils Sieger, der am Steuerrad sitzt und seinen Blick nicht vom Wasser lassen darf. Erst seit kurzem ist er Teil des Teams. Derweil läuft Kapitän Sebastian Trudwig immer wieder auf der Schiffsbrücke auf und ab. Ansagen in welche Richtung gesteuert werden soll, müssen wiederholt und umgehend bestätigt werden. Ein Modell, das sich über Jahrzehnte bewährt hat.

Gleichzeitig heißt es: mit dem Maschinenraum zu kommunizieren. Hierfür immer noch im Einsatz ist der Maschinentelegraf. Dieser gibt an auf welcher Geschwindigkeit die Maschinen gestellt werden sollen. Die Konzentration muss ständig hochgehalten werden. Ich selbst lasse alles auf mich wirken, die Zeit vergeht unheimlich schnell.

Fazit: Auf einer Seefahrt kann man was erleben

Der Autotransporter hat für uns in der Kaiserschleuse noch Platz gelassen. Nach über neun Stunden sehen wir das erleuchtete Sail City Hotel vor uns. Der Wind pustet uns ins Gesicht. Das Anlegemanöver klappt. Wir können das Schiff verlassen. Endlich wieder sicherer Boden unter den Füßen. Ich bin sehr dankbar, habe so viel über die Traditionsschifffahrt und die harte Arbeit an Bord erfahren. Und auch etwas über mich selbst: Das nächste Mal werde ich Tabletten gegen Seekrankheit ganz sicher nicht wieder ablehnen. Ein Fischkopp kann eben doch seekrank werden.

Reporter Till Kohlwes auf Deck des Dampfeisbrechers Wal
Reporter Till Kohlwes erholt sich nach den aufregenden Momenten Bild: Radio Bremen | Till Kohlwes

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  • Till Kohlwes mit Brille und Bart lächelt in die Kamera
    Till Kohlwes

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, 9. Juli 2023, 10:40 Uhr