Infografik
Diese Orte erzählen über jüdisches Leben in Bremen – und den Holocaust
Der Bunker "Valentin" ist das brachiale Ausrufezeichen hinter den Nazi-Verbrechen in Bremen. Zum internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust zeigen wir weitere Orte.

Es sind Orte der Besinnung. Sie schreien den Passanten nicht mit ihrer Botschaft an. Orte, die jüdisches Leben in Bremen in irgendeiner Weise symbolisieren, ohne als Denk- oder Mahnmal prominent zu sein. Doch wer sie kennt, kann darüber eine Beziehung zur Geschichte aufbauen.
Drei Studentinnen der Uni Bremen haben im November 2019 einen Stadtrundgang zu sechs solchen Orten konzipiert. Es sind bei weitem nicht alle, die sich finden ließen. Doch sie geben ein gutes Bild davon ab, wie vielfältig solche Orte sein können. Die Geschichts-Studentinnen Julia Chapiro, Clara Hafner und Franziska Nobis haben dazu über jüdisches Leben in Bremen recherchiert und dann die Route zusammengestellt. Anlässlich des heutigen Holocaust-Gedenktages zeichnen wir die Route mithilfe Julia Chapiros nach.
Die Stationen des Rundgangs
1 Der Dom
Hier braucht man den kunsthistorischen Blick fürs Detail. Der Kölner Bildhauer Peter Fuchs arbeitete in den 1890er Jahren bei einer Renovierung verwitterter Steinmetzarbeiten biblische Szenen ein, die "deutlich antisemitische Züge" tragen, wie es auf einer am Dom befestigten Gedenktafel heißt.

Julia Chapiro fallen etwa die negativen Gesichtszüge der dargestellten Juden auf. Die Arbeiten würden einen Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten Antisemitismus spiegeln, sagt sie. "Die St. Petri Domgemeinde ist sich bewusst, dass es sich hierbei um christliche Antijudaismen handelt," heißt es auf der Gedenktafel. Das Doppelportal des Doms sei in diesem Sinne als Mahnmal zu verstehen.
2 Das Rosenak-Haus
Das Rosenak-Haus in der Kolpingstraße 7 am Rande des Schnoor muss man wirklich suchen. Es ist denkbar unauffällig. Es war seit 1926 das Gemeindehaus der Israelitischen Gemeinde Bremen, die im Nachbarhaus ihre Synagoge hatte und Platz brauchte.

Benannt ist es nach Dr. Leopold Rosenak, dem Bremer Rabbiner von 1896 bis zu seinem Tod 1923. Kern seiner Arbeit sei es, dass es sich ganz besonders um die Integration ostjüdischer Emigranten verdient gemacht habe, hebt Julia Chapiro hervor. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde das Haus durch die SA abgebrannt. "Die Feuerwehr war auch dabei, aber nur zum Schutz der benachbarten Häuser," sagt Chapiro. Nach dem Krieg ging das Haus nach langen Verhandlungen an die jüdische Gemeinde Bremen zurück, die es aber nicht wieder aufbauen konnte und daher wieder verkaufte. Danach geriet seine Geschichte in Vergessenheit. 1959 schließlich wurden bei Wiederaufbauarbeiten Reste der "kleinen Synagoge" im Keller entdeckt. Das Haus wurde zu einer Gedenkstätte und beherbergt heute die Caritas.
3 Das Mahnmal Landherrnamt
Zwischen den anderen Orten sticht dieser heraus, denn es ist das einzige ausdrückliche Mahnmal, das als solches auch auffällt: Am Landherrnamt/Ecke Dechanatstraße steht direkt vor der katholischen St.-Johannis-Schule das Bremer Mahnmal für die Opfer der Pogromnacht. Es wurde 1982 eingeweiht.

Entworfen hat es der Bremer Künstler Hans Dieter Voss, der jedoch bereits 1980 starb. Es besteht aus schwarzem Beton. Das schlichte Mahnmal erinnert an die fünf Personen, die in der Pogromnacht von den Nazis ermordet wurden. Seine Inschrift lautet: "Unsere Jüdischen Mitbürger Martha Goldberg, Dr. Adolf Goldberg, Heinrich Rosenblum, Leopold Sinasohn, Selma Swinitzki wurden in dieser Stadt in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 ermordet." Alljährlich gedenken die Fraktionen in der Bremischen Bürgerschaft an diesem Ort der Opfer.
4 Die ehemalige Jüdische Schule
In der Kohlhöker Straße 6 steht die ehemalige Jüdische Schule. Das Gebäude gehörte Mitgliedern der Israelitischen Gemeinde Bremen und die nutze es nach der Zerstörung der Synagoge als Gemeindehaus.

Ab der Pogromnacht durften jüdische Kinder nicht mehr auf die staatlichen Schulen, die Schulpflicht galt aber weiter. Also eröffnete die Gemeinde eine eigene Schule im jüdischen Gemeindehaus. Am 18. November 1941 wurden zusammen mit allen anderen Jüdinnen und Juden Bremens auch die über 30 Bewohner des Hauses Kohlhöker Straße sowie die Kinder, die dort unterrichtet wurden, nach Minsk deportiert. Von den deportierten Kindern überlebte keines. Für Julia Chapiro ist es besonders, dass die Bedeutung dieses Gebäudes erst von den Bewohnern entdeckt und durch Gedenktafeln der Öffentlichkeit vermittelt wurde.
5 Die Oberschule am Barkhof
In der Oberschule am Barkhof mussten sich die 443 Jüdinnen und Juden aus Bremen versammeln, die am 18. November 1941 in das Minsker Ghetto deportiert wurden. Hinzu kamen noch 130 Kinder, Frauen und Männer aus Bremerhaven und Verden.

Insgesamt also wurden dort rund 570 Personen zusammengetrieben. Die Fahrt in Güterwaggons dauerte vier Tage. Von den Bremer Deportierten überlebten nur sechs das Ghetto. Eine Gedenktafel erinnert auch hier in aller Schlichtheit an die Geschichte des Hauses. Zu der für Julia Chapiro auch gehört, dass die erste Gedenktafel 2014 von Vandalen entfernt und durch eine neue ersetzt werden musste.
6 Stolperstein Parkallee 31
Die Parkallee 31 war der letzte eigene Wohnort des Kaufmanns Moritz Gompertz. Er stammte aus Nordrhein-Westfalen, wo er im August 1865 geboren wurde. Er starb am 1. Januar 1943 im Ghetto Theresienstadt.

Details sind unbekannt, doch liegt es nahe, dass die Begleiterscheinungen die gewesen sein dürfte, die im Minsker Ghetto Tausende in den Tod trieben, vermutet Julia Chapiro: Harte Arbeit, Hunger, Erfrierungen bei Frost bis minus 40 Grad Celsius. Von 1929 bis zu seiner Deportation am 23. Juli 1942 wohnte er in Bremen, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Gompertz war Vertreter der Rodewischer Wäschefabrik, wurde 1936 jedoch entlassen, weil er Jude war. Eine ungewöhnliche, besonders dramatische Geschichte? Leider nein, sagt Julia Chapiro: "Das Schicksal, das Moritz Gompertz erlebt hat, haben sehr viele erlebt."
Film-Tipp: 36 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sprachen erstmals Zeitzeugen des Holocausts im deutschen Fernsehen. 60 Überlebende hatte Regisseur Karl Fruchtmann dafür interviewt. Ein Einblick in die Entstehung der dramatischen Dokumentationen zeigt der Radio-Bremen-Film "Zeugen - Wie der Holocaust ins Fernsehen kam", der in der ARD-Mediathek zu sehen ist:
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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. Januar 2021, 19:30 Uhr