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Geheime Dokumente der Brebau: Rassismus bei der Wohnungsvergabe

Bild: Radio Bremen

E40 steht für "People of color", KT für Kopftuch: Nach Recherchen von buten un binnen gibt es bei der Brebau Rassismus bei der Wohnungsvergabe. Die Brebau reagiert und stoppt die Vorgehensweise.

Die städtische Bremer Wohnungsbaugesellschaft Brebau diskriminiert offenbar systematisch Menschen, die sich bei ihnen um Wohnungen bewerben. Das geht aus internen schriftlichen Anweisungen hervor, die buten un binnen vorliegen. Demnach sollen etwa Bewerberinnen und Bewerber, die ihre Wurzeln außerhalb Deutschlands haben, gezielt von Brebau-Wohnungen ferngehalten werden. Das Unternehmen kündigte in einer schriftlichen Stellungnahme bereits an, den Sachverhalt aufklären zu wollen.

Die entsprechenden Anweisungen und Handreichungen richten sich an die Kundenbetreuerinnen und -betreuer der Brebau. Ein Informant hat sie buten un binnen zugespielt.

Das sind interne Dokumente, die auf einem Laufwerk abgespeichert sind, Gebrauchsanweisungen quasi.

Informant zu buten un binnen

Aus den Papieren geht hervor, dass die Brebau ihre Wohnungen wie auch Bewerber in Kategorien einteilt. Anhand dieser Einteilung sollen die Kundenbetreuer und -betreuerinnen festlegen, wer welche Wohnung angeboten bekommt – und wer nicht. Dabei spielt die Staatsangehörigkeit ebenso eine Rolle, wie Sprachkenntnisse, aber auch eine sogenannte "Nähe zur deutschen Kultur". Selbst die Hautfarbe listet die Brebau als Kriterium auf.

Der Ablauf ist so: Für Wohnungen werden von den Sachbearbeitern Zielgruppen erstellt. Das sind dann Dinge wie 'hier gerne Studenten' oder 'hier nur Senioren ab 60'. Aber es werden eben auch solche Dinge hingeschrieben wie 'Nur an Deutsche mit eigenem Einkommen'.

Informant aus der Brebau
Auf zwei Bildschirmen sind Dokumente der Brebau zu erkennen.
Interne Dokumente der Brebau zeigen, dass es für Wohnungen und Interessenten Kategorien gibt, in die diese eingeteilt werden. Bild: Radio Bremen

Für die meisten Vermerke hat sich die Brebau eigene Codes ausgedacht. Ein Kopftuch bei einer Bewerberin wird etwa mit der Abkürzung KT vermerkt. Ein Schwarzer Mensch bekommt die Abkürzung E40. Zu dieser Kategorie heißt es in der entsprechenden Anweisung weiter: "Keine 'People of Colour' (dazu gehören auch Sinti, Roma, Bulgaren, Rumänen)". Dabei differenziert die Brebau offenbar nicht, ob Menschen in Deutschland geboren, eingebürgert, bestens ausgebildet, voll integriert sind oder besonders gut verdienen.

Zur Begründung heißt es, wenn wir das jetzt nicht so machen, dann bekommen wir die ganzen Molukken, die wollen wir hier nicht.

Informant aus der Brebau

Mit dem Kürzel WE sind potenzielle Mieterinnen und Mieter gemeint, die laut Vorstellung der Brebau als "westlich integriert" anzusehen sind. Etwa Menschen mit Migrationshintergrund (in Deutschland lebende Ausländer, eingebürgerte Deutsche) und Migranten, die mit der deutschen Kultur vertraut seien, heißt es in einem entsprechenden Vermerk.

Brebau-Mitarbeitende sollen persönliche Eindrücke festhalten

Konkret ist in der betreffenden Anweisung von "Zielgruppendefinitionen" die Rede. Darunter fällt unter anderem das Aussehen der Interessenten. Die Kundenbetreuerinnen und -betreuer sind angehalten zu notieren, ob die Person gepflegt und ordentlich wirkt. Auch die Deutschkenntnisse sind festzuhalten. Ebenso, ob zwei Menschen des gleichen Geschlechts ein Paar sind oder als WG eine Wohnung suchen.

Es fühlt sich einfach total falsch an, sowas mitzubekommen. Menschen mit Kopftuch haben gefühlt keine Chance.

Informant aus der Brebau

Laut übereinstimmenden Schilderungen aus der Brebau-Belegschaft werden die persönlichen Daten und Bewertungen der Bewerber erhoben, ohne dass die Betroffenen dies wissen. Interne Anweisungen ans Brebau-Personal liefern sogar Tricks, wie die illegale Datensammlung geheim gehalten werden kann.

Unrechtsbewusstsein gibt es im Unternehmen laut Informant nicht

Auf einem Bildschirm ist ein Dokument mit Stichpunkten zu erkennen.
Auch das Aussehen von Menschen wird teilweise notiert – und bei zwei Menschen des gleichen Geschlechts, ob die beiden als WG oder Paar suchen. Bild: Radio Bremen

Etwa für den Fall, dass sich ein Wohnungsbewerber direkt in der Brebau-Zentrale an der Schlachte bewerben und die Angaben auf dem Bildschirm kontrollieren wolle. Mittels einer Tastenkombination könne das Brebau-Personal binnen Sekunden alle verfänglichen Daten verschwinden lassen und später – mit einer anderen Kombination – wiederherstellen.

Ein Unrechtsbewusstsein gibt es im Unternehmen laut eines der buten-un-binnen-Informanten nicht.

Wenn du was dagegen sagst, […] dann bist du der Außenseiter. Dann heißt es: 'Was willst du denn, das machen doch alle Wohnungsgesellschaften so.'

Informant aus der Brebau

Diese internen Dokumente der Brebau liegen buten un binnen vor

Bild: Radio Bremen

Vier Lockvögel auf Wohnungssuche bei der Brebau

Vier junge Männer stehen vor dem Gebäude der Brebau an der Schlachte in Bremen.
Tim Schoenian, Karim El Korhaly, Livingsoul Dupe Igunbor und Felix Arndt (von links) haben sich für buten un binnen auf Wohnungssuche bei der Brebau begeben. Bild: Radio Bremen

Nachdem buten un binnen von den Praktiken erfahren hatte, hat die Redaktion einen Test arrangiert: buten un binnen bat vier junge Deutsche, im April bei der Brebau nach Mietwohnungen zu fragen. Tim Schoenian, Karim El Korhaly, Felix Arndt und Livingsoul Dupe Igunbor. Alle vier hatten ein ähnliches Budget zur Verfügung. Livingsoul und Karim hatten sogar mehr Geld zur Verfügung. Alle wollten in bessere Stadtteile ziehen.

Nur zwei haben von der Brebau ernstgemeinte Wohnungsangebote bekommen – die beiden Weißen. Karim wurde auf Nachfrage mitgeteilt, der Wohnungsmarkt in den entsprechenden Stadtteilen sei derzeit leergefegt. Livingsoul wurde gar nicht erst geantwortet.

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Diskriminierung findet auch durch aktuelle Wohnanschrift statt

Nach den Recherchen von buten un binnen führt die Brebau zudem eine sogenannte Liste "Schlechte Adressen". Hier sind gut 20 soziale Einrichtungen wie die Therapiehilfe für Suchtkranke, Rehabilitationseinrichtungen, Übergangsheime für Obdachlose oder Wohnungen in sozialen Brennpunkten benannt. Nach Aussagen aus dem Mitarbeiterkreis der Brebau sollen hier Gemeldete keine Wohnungsangebote der Brebau bekommen.

Brebau will den Sachverhalt mit aller Konsequenz aufklären

Die Brebau äußerte sich zunächst telefonisch und gab an, keine Kenntnis von den beschriebenen Praktiken zu haben. Anschließend äußerte sich die Geschäftsführung schriftlich zu den Vorwürfen. Dort heißt es, dass die Brebau von den Vorwürfen sehr getroffen sei, da "diese im deutlichen Gegensatz zu unserer unternehmerischen Haltung" stehe. Des Weiteren sei es das Ziel der Brebau, Menschen unterschiedlicher Herkunft ein Zuhause zu geben. Auch bemühe sich die Wohnungsbaugesellschaft nach eigenen Angaben darum, Wohnungslose unterzubringen. Es gebe in den Nachbarschaften und Wohnungen der Brebau wohl kaum eine Herkunft oder Lebenssituation, die nicht vertreten sei.

Vor diesem Hintergrund nehmen wir die Vorwürfe der Diskriminierung sehr ernst und werden den Sachverhalt mit aller Konsequenz aufklären. Uns ist abschließend wichtig zu betonen: Wir tolerieren keinerlei Diskriminierung. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, werden wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ein solches Verhalten zu unterbinden.

Schriftliche Stellungnahme der Brebau zu den Vorwürfen

Am Donnertag reagierte die Brebau auf die Berichterstattung und kündigte an, ein Sofortprogramm auf den Weg gebracht zu haben, um die Wohnungsvergabe transparenter zu gestalten. Darüber hinaus räumte sie jetzt "nicht autorisierte Prozesse" ein und der Geschäftsführer Bernd Botzenhardt sagte zu den Zielgruppenbeschreibung: "Diese Vorgehensweise haben wir unmittelbar gestoppt." Die Brebau prüfe in diesem Zusammenhang auch alle notwendigen arbeitsrechtlichen Schritte, heißt es weiter.

Brebau gehört zu 100 Prozent der Stadt Bremen

Besonders pikant: Die Brebau samt ihrer rund 6.000 Wohnungen gehört zu 100 Prozent der Stadt Bremen. Die Stadt hatte 2019 die Anteile der Sparkasse an dem Unternehmen übernommen. Die Sparkasse hatte laut einer Stellungnahme gegenüber buten un binnen keine Kenntnisse von den Praktiken. Als Bremen die Brebau übernahm, hieß es zur Begründung aus dem Senat, der Staat müsse sich gerade in der Wohnungswirtschaft engagieren. Es ginge um bezahlbare Mieten und um Gerechtigkeit bei der Wohnungsvergabe.

Es ist wichtiger denn je, das Recht auf Wohnen nicht den Kräften des Marktes zu überlassen.

Carsten Sieling, ehemaliger Bürgermeister Bremens (SPD) zur Übernahme der Brebau

Derzeit sitzen sowohl Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), als auch Bausenatorin Maike Schaefer (Grüne) und Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) im Aufsichtsrat des Unternehmens. Aufsichtsratsvorsitzender ist Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne). Der zeigte sich von den Recherche-Ergebnissen schockiert: "Ich nehme [...] Ihre Anschuldigungen sehr ernst. Das Thema macht mich sehr betroffen und wir werden es jetzt schnell und zügig mit der Brebau aufklären."

Aufsichtsratsvorsitzender zieht noch keine Konsequenzen

Der Aufsichtsrat habe laut Strehl nie über dieses Thema diskutiert, da gebe es scheinbar eine Lücke. Diese werde in Zukunft geschlossen und die Verfahren in der Brebau ganz genau angeschaut. Über möglichen Konsequenzen wollte Strehl nicht spekulieren.

Wir müssen das jetzt genau aufklären, ob es da strukturelle Verfahrensweisen gibt bei der Brebau. Wer zuständig, wer verantwortlich ist. Das werden jetzt ein paar Tage Arbeit, die wir vor uns haben und wir nehmen es sehr ernst – vor allem, weil wir in Bremen eine bunte Stadt sind.

Dietmar Strehl, Finanzsenator und Aufsichtsratsvorsitzender der Brebau (Grüne)

Strehl kündigte gegenüber buten un binnen an, dass er in Gesprächen mit dem Aufsichtsrat sei und er schnell eine Sitzung einberufen wolle, um das Thema aufzuarbeiten.

Damit der Leitsatz der Brebau künftig auch wirklich für alle Menschen gleichermaßen gilt. "Sie suchen eine Wohnung – wir schaffen ein Zuhause."

Autorinnen

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 20. Mai 2021, 19:30 Uhr

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