Interview

Wie Bremens Polizeibeauftragte Polizeigewalt sichtbar machen will

Der Rücken eines Polizisten.

Studie erforscht Polizeigewalt

Bild: dpa | M.Jenkins

Wann ist Polizeigewalt übermäßig? Laut einer Studie gehen die Meinungen darüber auseinander. Bremens Polizeibeauftragte will Bürger und Polizisten ermutigen, zu reden.

Ob bei Demonstrationen, bei Fußballspielen oder Personenkontrollen: Die Frage danach, was Polizei darf, kommt immer wieder auf. Bei einer Studie des unabhängigen Forschungsprojekts "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen" wurde unter anderem deutlich: Die Schwelle, Gewalt als übermäßig zu betrachten, ist bei Polizstinnen und Polizisten vergleichsweise hoch. Und: Betroffene von übermäßiger Gewalt haben es schwer, zu ihrem Recht zu kommen.

Die Juristin sowie Polizei- und Feuerwehrbeauftragte Sermin Riedel im Interview.
Seit einem Jahr und drei Monaten ist Sermin Riedel Polizei- und Feuerwehrbeauftragte in Bremen. (Archivbild) Bild: Radio Bremen

Sermin Riedel ist Polizei- und Feuerwehrbeauftragte in Bremen. Sie will Ansprechstelle sein für Polizeibeschäftigte und Bürgerinnen und Bürger. Im Gespräch mit buten un binnen erklärt Riedel, was es so schwer macht, übermäßige, illegitime Gewalt zu erkennen und wie es gelingen soll, unentdeckte Fälle sichtbar zu machen, um daraus zu lernen.

Sie sind seit einem guten Jahr Polizei- und Feuerwehrbeauftragte. Welche Rolle spielt das Thema "Polizeigewalt" aus Ihrer Sicht im Land Bremen?

In meiner Arbeit habe ich noch kein großes Erfahrungswissen. Doch in der Studie wird herausgestellt, dass polizeiliche Gewaltanwendungen immer in komplexen und spannungsgeladenen Situationen vorkommt – und dadurch unterschiedlich bewertet werden. Das ist etwas, was auch wir bei den wenigen Fällen, die wir hier auf dem Tisch haben, sehen können. Auch, dass die strafrechtliche Aufarbeitung von Fällen, in denen Gewalt an Polizeikräften ausgeübt worden sein soll, meistens schneller erfolgt als in Situationen, in denen Gewalt durch Polizei ausgeübt worden sein soll. Das können wir auch beobachten.

Sie sprechen die unterschiedliche Bewertung an. Die Studie sagt, dass die Schwelle, Gewalt als übermäßig zu bewerten, bei Polizisten vergleichsweise hoch ist. Was macht es so schwierig, zu sagen, was übermäßige Gewalt ist und was nicht?

Das ist erst einmal situationsabhängig: Es gibt eine spannungsgeladene Situation und die dynamischen Prozesse, die entstehen und auch die unterschiedlichen Bewertungsperspektiven, machen eine Objektivierbarkeit fast unmöglich. Man muss jede Situation einzeln angucken und man muss sich insbesondere mit dem Thema an sich beschäftigen. Da ist die Studie, die uns jetzt vorliegt, ein Schritt in die Richtung, sich dem Thema zu nähern und zwar unabhängig von etwaigen Schuldvorwürfen und Richtig-und-Falsch-Diskussionen, sondern zu gucken, was passiert da eigentlich, um Hintergrundinformationen zu gewinnen.

Die Tabelle zeigt die Anzahl an Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Bremen von mutmaßlicher Polizeigewalt – und die Anzahl der Fälle, in denen es zu einer Anklage gekommen ist.

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Welche Gründe für Polizeigewalt gibt es aus Ihrer Sicht?

Der wesentlichste Grund ist, dass es eine rechtliche Legitimation gibt. Die Polizei ist das Exekutiv-Organ, das das Gewaltmonopol innehat. Dadurch sind sie nicht nur befugt, sondern können auch in vielen Situationen gar nicht anders, als unmittelbaren Zwang und damit Gewalt anzuwenden – das ist erst mal die Hauptursache. Ob und wie es dann auch zu einer übermäßigen, illegitimen Gewaltanwendung kommt, kann verschiedene Ursachen haben, das hat die Studie ja auch gezeigt.

Und was bei uns ankommt, ist, dass es häufig zu einer Eskalation gekommen ist, und die Frage ist, wie es zur Eskalation, zur Situation eines gefühlten Kontrollverlustes gekommen ist. Und da merken wir auch anhand der wenigen Fälle, die wir haben, dass es häufig mit Stress und Überforderung zu tun hat, mit Handlungsunsicherheiten und mit Dynamiken, Interaktions-Mechanismen, die entstehen.

Kann man Polizistinnen und Polizisten besser auswählen oder ausbilden, um Polizeigewalt zu vermeiden?

Dazu müsste man erst einmal die Frage beantwortet haben, was die häufigsten Ursachen dafür sind, dass es zu illegitimer Polizeigewalt kommt. Experten in der Aus- und Weiterbildung werden die richtigen Antworten dazu einfallen, aber erst mal muss man es anerkennen und die Bereitschaft zeigen, sich damit auseinandersetzen zu wollen.

Es gibt ja Anzeichen, dass bei Eskalationen die Aspekte, die ich gerade genannt habe, eine Rolle spielen: Stress, Überforderung, vielleicht mangelhafte oder situationsunangemessen Kommunikation. Dann ist die Organisation gefragt, die Beschäftigten zu schützen, ihnen Erholungsphasen zu ermöglichen, Phasen der Aufarbeitung oder ihnen Handlungssicherheit zu vermitteln.

Das kollidiert außerdem mit dem Alltag, dem Polizeibeschäftigte ausgesetzt sind: Eine schwierige Personalsituation, steigende Arbeitsbelastung, Überstunden, Arbeit im Schichtdienst, ständige Konfliktsituationen. Das ist ja eine sehr herausfordernde und belastende Arbeit, die Polizeibeschäftigte machen. Auf der anderen Seite erwarten wir, das sie stark und einsatzbereit sind und stressresilient. Trotzdem schaffen es viele Polizeibeschäftigte, gute Arbeits-Ergebnisse zu erzielen und das finde ich sehr bewunderns- und anerkennswert.

Wie erfahren Sie von solchen Fällen hier in Bremen?

Betroffene oder Polizeibeschäftigte kommen auf uns zu und wir halten auch die Augen und Ohren offen und gucken, was passiert in den sozialen Medien und wird sonst berichtet. Es ist noch nicht so, dass unser Wissensschatz so viel größer ist, als das, was die Öffentlichkeit erfährt. Aber das ist es ja, wo wir hin wollen. Das ist mein Ziel, dass ich es mit meiner unabhängigen und neutralen Position dazu führen kann, dass Betroffene in der Bevölkerung und Polizeibeschäftigte, den Mut fassen, Dinge zur Sprache zu bringen, für die sie bisher höhere Hürden hatten.

Und diese Hürden sind offenbar sehr hoch. 2018 hat ein Bremer Polizist eine Person grundlos mit Pfefferspray besprüht. Sieben Kollegen schwiegen. Das kam heraus, weil zwei Kollegen Wochen später doch geredet haben. Wie wollen Sie so ein Schweigen durchbrechen?

Es gibt diesen Fall und daraus können wir lernen. Weshalb haben die anderen geschwiegen? Weshalb haben zwei dann doch gesprochen? Was können wir aus diesen Erkenntnissen an Handlungsempfehlungen entwickeln, sodass in Zukunft nicht nur zwei sprechen, sondern alle? Solche Erfahrungen muss man dafür nutzen, um besser werden. (Der Polizist wurde 2022 verurteilt, die Kollegen, die geschwiegen haben, wurden freigesprochen, d. Red.)

Was braucht ein Polizist, um mit seiner Macht gut umzugehen?

Reflexion, immer wieder Situationen zu reflektieren und auch Räume zu haben, um Situationen zu besprechen, sich selber und auch die Tätigkeiten von anderen zu reflektieren. Und die Möglichkeit zu haben, Fehler zu machen, ohne gleich in der Repressionen zu landen, die Ängste sind vielschichtig, vor Ausgrenzung, einem Karriereende. Fehler passieren, es braucht eine Plattform, um das zu reflektieren.

Kommen wir zurück zu den Betroffenen. Die Legitimation, Gewalt anwenden zu dürfen, macht es laut Studie den Opfern so schwer, zu ihrem Recht zu kommen. Was können Sie da tun?

Wir haben im vergangenen Jahr viele Einsätze gefahren, haben viele Gespräche mit Polizistinnen und Polizisten geführt. Wir haben eine Transparenz geschaffen, dafür, was meine Aufgabe ist: eine Rolle im präventiven Bereich. Und es geht darum, Dinge und Sachverhalte sichtbar zu machen, um sie aufarbeiten zu können. Wir haben großen Zuspruch bekommen, viele Polizistinnen und Polizisten würden sich mit unterschiedlichen Anliegen an uns wenden.

Gleichzeitig wollen in die Bevölkerung gehen und die Fälle abholen, die vielleicht nicht zur Sprache kommen, weil Menschen Sorgen haben vor Repression, oder eine Frustration haben, dass es eh nichts bringt, weil sie die Erfolgsaussichten für zu gering halten. Diese Fälle wollen wir abholen und eine Sichtbarkeit schaffen, um sie einer konstruktiven Aufarbeitung zugänglich zu machen.

Dafür wollen wir uns der Bevölkerung öffnen, indem wir vor allem auch zivilgesellschaftliche Organisationen nutzen und über das Erzählen von unserer Arbeit auch die Menschen erreichen, die das jetzt noch nicht als Möglichkeit für sich sehen, aber dann doch irgendwann sagen: 'Das könnt eine Stelle sein, wo ich auch mit dem Thema, das ich schon lange mit mir rumtrage Gehör finden kann.'

So lief das erste Jahr von Bremens Polizei- und Feuerwehrbeauftragter

Bild: Radio Bremen

Autorin

  • Autorin
    Birgit Reichardt Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Mittag, 16. Mai 2023, 13:20 Uhr