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Weniger Bremer im Bundestag? Diese Folgen hätte die Wahlrechtsreform

Zu sehen ist der Reichstag in Berlin von außen.

Entwurf einer Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition

Bild: Imago | Joko

Der Bundestag soll kleiner werden und auf seine ursprüngliche Größe von 598 Sitzen zurückkehren. Auch Abgeordnete aus Bremen könnten das Parlament dann verlassen müssen.

Zu Beginn der Woche haben Innenpolitiker der SPD, der Grünen und der FDP einen Vorschlag zu einer Reform vorgelegt, mit der sich das Wahlrecht zur nächsten Bundestagswahl im Jahr 2025 ändern würde. Dieser wird seitdem eifrig diskutiert und auch kritisiert. Wir erklären, was genau geplant ist und welche Auswirkungen das auf das Land Bremen und seine Abgeordneten in Berlin hätte.

Warum soll es überhaupt eine Wahlrechtsreform geben?

Der Bundestag ist schlichtweg sehr groß geworden. Schon seit rund zehn Jahren wird daher darüber debattiert, wie dies geändert werden kann. Zum großen Wurf hat es bisher aber nie gereicht. Die ursprüngliche Größe des Parlaments liegt bei 598 Abgeordnetinnen und Abgeordneten. Derzeit sitzen jedoch 736 Abgeordnete im Bundestag. Also 138 mehr, als eigentlich angedacht. So groß war das Parlament noch nie.

Die Ursache hierfür sind die Überhang- und Ausgleichsmandate. Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis das Direktmandat gewinnen, ziehen derzeit sicher in den Bundestag ein. Häufig stellen Parteien aufgrund der gewonnenen Direktmandate in einem Bundesland jedoch mehr Abgeordnete, als ihnen eigentlich aufgrund des Ergebnisses der Zweitstimmen zustehen würden. Dadurch entstehen die Überhangmandate.

Beispiel:
Die CSU hat bei der Bundestagswahl 2021 5,2 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Dadurch stünden ihr 34 Sitze im Bundestag zu. Zugleich hat sie in Bayern allerdings 45 der 46 Direktmandate gewonnen. Durch diese Differenz entstehen elf Überhangmandate.

Und was sind die Ausgleichsmandate?

Seit der Bundestagswahl 2013 werden die Überhangmandate ausgeglichen. Erhält eine Partei beispielsweise 20 Prozent der Zweitstimmen, darf ihre Fraktion unter den in den Bundestag gewählten Parteien auch lediglich 20 Prozent der Abgeordneten stellen – auch, wenn sie mehr Direktmandate gewinnt.

Die anderen Parteien dürfen von ihren Landeslisten deshalb auch mehr Abgeordnete in den Bundestag entsenden, damit bei der Sitzverteilung die Mehrheitsverhältnisse des Ergebnisses der Zweitstimmen nicht verzerrt werden. Das sind die Ausgleichsmandate. Die derzeit 34 Überhangmandate im aktuellen Parlament haben dafür gesorgt , dass 104 weitere Abgeordnete durch ein Ausgleichsmandat in den Bundestag eingezogen sind, um die prozentualen Verhältnisse der Zweistimme wieder herzustellen.

Das folgende Video zur Rolle der Überhang- und Ausgleichsmandate erklärt den Zusammenhang. Es wurde vor der Bundestagswahl 2021 erstellt. Deshalb wird noch von 709 Sitzen im Bundestag gesprochen. Mittlerweile liegt die Anzahl bei 736 Sitzen.

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Wie soll die geplante Wahlrechtsreform aussehen?

Innenpolitiker der Fraktionen der SPD, der Grünen und der FDP haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ab der Bundestagswahl 2025 der Bundestag zur Größe von 598 Sitzen zurückkehren soll. Überhang- und Ausgleichsmandate würden dann abgeschafft werden. Geplant ist zudem, die Anzahl der derzeit 299 Wahlkreise doch nicht zu verringern. Zuvor hatte die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD eigentlich beschlossen, diese zur Bundestagswahl 2025 auf 280 zu reduzieren. Im Land Bremen blieben auch in diesem Falle die beiden Wahlkreise Bremen I und Bremen II – Bremerhaven erhalten.

Zu sehen ist ein Wahlzettel der Bundestagswahl.
Bei der Bundestagswahl wird eine Erst- und eine Zweitstimme abgegeben. Diese sollen neue Bezeichnungen erhalten. Bild: Imago | Blickwinkel

Wie stark die Fraktion einer Partei im Bundestag vertreten wäre, würde ohne Überhangmandate zukünftig allein von der Zweitstimme abhängen. Diese hieße dann "Hauptstimme" – und hätte fortan auch Auswirkungen auf die Zuteilung der Mandate durch die Erststimme, die in "Wahlkreisstimme" unbenannt werden soll.

Ziehen Gewinner der Wahlkreisstimme dann noch direkt in den Bundestag ein?

Nein, und das ist die wichtigste Änderung: Kandidaten, die ihren Wahlkreis direkt gewinnen, würden zukünftig nicht mehr zwingend einen Sitz im Bundestag erhalten. Ob sie ins Parlament einziehen oder nicht, hinge dann auch vom Ergebnis der Hauptstimmen ihrer Partei ab. Dieses wird auf die Bundesländer umgelegt.

Falls eine Partei durch die Wahlkreisstimme in einem Bundesland also mehr direkt gewählte Abgeordnete in den Bundestag schicken würde, als ihr durch das Resultat bei den Hauptstimmen zustünde, müsste ausgesiebt werden. Die Gewinner der Direktmandate, die im Vergleich die schlechtesten Resultate eingefahren haben, würden dann in der Folge keinen Sitz mehr im Bundestag erhalten.

Hätte Bremen dann zukünftig weniger Abgeordnete im Bundestag?

Wenn der Bundestag um beinahe 20 Prozent schrumpft, wird dies im Normalfall auch am Land Bremen nicht vorbeigehen. Exakte Daten hängen jedoch stets vom Ausgang der Bundestagswahl ab. Derzeit sitzen aus Bremen Sarah Ryglewski, Uwe Schmidt (beide SPD), Thomas Röwekamp (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und Volker Redder (FDP) im Bundestag.

Wie die "Zeit" ermittelt hat, würde es allerdings anders ausschauen, falls die geplante Wahlrechtsreform bereits bei der Bundestagswahl 2021 gegolten hätte. Dann wären Ryglewski und Redder leer ausgegangen.

Aber Ryglewski hat doch ein Direktmandat gewonnen?

Collage zeigt die 5 Bremer Mandatsträger*innen: Sarah Ryglewski, Uwe Schmidt, Thomas Röwekamp, Kirsten Kappert-Gonther und Volker Redder
Die Abgeordneten aus Bremen im Bundestag: Sarah Ryglewski links, Uwe Schmidt, Thomas Röwekamp, Kirsten Kappert-Gonther, Volker Redder. Bild: SPD. CDU, Die Grünen, FDP

Exakt, und das ist eben pikant dabei: Ryglewski wäre nicht in das Parlament eingezogen, obwohl sie den Wahlkreis Bremen I gewonnen hat. Als direkt gewählter Abgeordneter aus dem Land Bremen hätte nur Schmidt als Sieger des Wahlkreises Bremen II – Bremerhaven einen Sitz erhalten. Das Hauptstimmen-Ergebnis der SPD wäre nicht stark genug gewesen, um aus beiden Bremer Wahlkreisen einen direkt gewählten Abgeordneten nach Berlin schicken zu dürfen.

Schmidt hätte hierbei gegenüber Ryglewski die Nase vorn gehabt. Der Grund: Ryglewski hat in ihrem Wahlkreis zwar mehr Stimmen (55.934) erhalten als Schmidt in seinem (52.498), doch beim prozentualen Anteil der Stimmen im jeweiligen Wahlkreis wäre Schmidt (36,9 Prozent) eben stärker gewesen als Ryglewski (30,2 Prozent).

Die Folge: Der Wahlkreis Bremen I mit seinen mehr als 245.000 Wahlberechtigten hätte keinen direkt gewählten Abgeordneten in den Bundestag entsandt. Dieser wäre in Berlin allerdings durch Röwekamp und Kappert-Gonther, die über die Landeslisten ihrer Parteien ins Parlament eingezogen sind, weiterhin vertreten gewesen.

Welche Kritik gibt es an den Plänen?

Kritik am Reformvorschlag wird allem durch die CDU und die CSU geäußert. Sie standen in der Vergangenheit bei einer Wahlrechtsreform stets auf der Bremse. Martin Huber, Generalsekretär der CSU, sprach nun mit Blick auf die vorgelegten Pläne gar von "organisierter Wahlfälschung" und einem Vorgehen, das er nur "von Schurkenstaaten" kenne. Für Friedrich Merz, Parteichef und Fraktionsvorsitzender der CDU, ist der Vorschlag der Ampel-Fraktionen zur Wahlrechtsreform "inakzeptabel". Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU, kündigte an, dass auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe denkbar sei, sofern die Reform so beschlossen werden sollte.

Martin Huber steht am Pult und spricht.
Schweres Geschütz: Martin Huber von der CSU hat die vorgelegten Plänen zur Wahlrechtsreform als "organiserte Wahlforschung" bezeichnet. Bild: Imago | Sven Simon

Im Fokus der Kritik steht dabei, dass die direkt gewählten Kandidaten in den Wahlkreisen nicht mehr die Garantie besäßen, definitiv in den Bundestag einzuziehen. Dies kann in der Tat problematisch sein. Möglich ist, dass ganze Wahlkreise zukünftig nicht mehr im Parlament repräsentiert wären, falls das Ergebnis des Gewinners der Wählerstimme zu schwach ist und auch über die Landeslisten kein Kandidat aus dem Wahlkreis den Sprung ins Parlament geschafft hat.

Hierdurch könnte wiederum die Politikverdrossenheit steigen, falls der Gewinner der Wahlkreisstimme am Ende doch nicht in den Bundestag einziehen darf. Der möglicherweise entstehende Eindruck: "Wählen gehen lohnt sich eh nicht." Als unfair könnte es darüber hinaus aufgefasst werden, wenn stattdessen einer der bei der Wahlkreisstimme unterlegenen Kandidaten dank der Platzierung auf der Landesliste einen Sitz im Bundestag erhalten sollte.

Manche Wahlkreise sind zudem heiß umkämpft, weil sich mehrere Kandidaten ein enges Rennen um das Direktmandat liefern. Auch der Gewinner erhält dann meist nur über 20, aber unter 30 Prozent der Stimmen. Für geeignete Kandidaten würde die geplante Wahlrechtsreform es unattraktiver machen, sich in solchen Wahlkreisen aufstellen zu lassen, weil sie davon ausgehen müssen, dass es am Ende ohnehin nicht für den Einzug in den Bundestag reicht.

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Wie geht es nun weiter?

Die Wahlrechtsreform kann im Bundestag mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Das heißt, dass die Ampel-Fraktionen der SPD, der Grünen und der FDP hierfür nicht die Zustimmung der Opposition benötigen. Dennoch wird darauf gesetzt, mit der CDU und der CSU einen Konsens zu finden, um die Reform im Parlament mit einer breiten Mehrheit zu beschließen. Die AfD hat bereits angekündigt, die vorgelegten Reformpläne zu unterstützen. Die Linke zeigt sich skeptisch.

Gleichwohl gibt es auch bei der SPD, den Grünen und der FDP nicht nur Anhänger der Pläne. Abgeordnete aus ihren Reihen würden schließlich aktiv dafür votieren, dass sie nach der Bundestagswahl 2025 eventuell ihren aktuellen Job verlieren.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau, 16. Januar 2023, 17 Uhr